Je mehr Sex, desto größer die (jetzt gefundene) Gehirnregion bei Frauen

Proteste in Paris für Frauenrechte: Die Organisation "Nous Toutes" rief zu der Kundgebung gegen sexualisierte Gewalt und Belästigung auf.
Proteste in Paris für Frauenrechte: Die Organisation "Nous Toutes" rief zu der Kundgebung gegen sexualisierte Gewalt und Belästigung auf. Copyright VALENTINE CHAPUIS/AFP
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Von Alexandra LeistnerCornelia Trefflich mit AFP
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In einer Studie konnten Forscher jetzt den Bereich im Gehirn definieren, der die Klitoris repräsentiert. Für die Untersuchung wurden 20 Frauen stimuliert und die Gehirnaktivität im IRM aufgezeichnet.

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Wissenschaftler:innen haben die Stelle im Gehirn gefunden, die bei Berührungen der Region um die Klitoris von Frauen aktiv ist.

Sie fanden zudem heraus, dass bei den Probandinnen, die angaben häufig Sex zu haben, die Gehirnregion entwickelter war. Ob das auch bedeutet, dass im Umkehrschluss Frauen, die eine ausgeprägtere Hirnregion auch empfindlicher auf Berührungen reagieren, ist bisher aber nicht klar.

Für die Untersuchung wurden 20 Frauen mit einem speziell entwickelten Apparat stimuliert und ihr Gehirn gleichzeitig mit Magnetresonanztomographie (MRT) beobachtet, wie die Forscher:innen in der Fachzeitschrift JNeurosci erklären.

Demnach könnten die Ergebnisse in Zukunft genutzt werden, Menschen gezielt zu behandelt, die z. B. von sexueller Gewalt betroffen sind oder unter sexuellen Funktionsstörungen leiden.

"Es ist völlig unzureichend erforscht, wie die weiblichen Genitalien im somatosensorischen Kortex des Menschen repräsentiert sind und ob er sich in Abhängigkeit von der Erfahrung oder dem Gebrauch überhaupt verändern kann", sagte Mitautorin Christine Heim, Professorin für Medizinische Psychologie an der Charité-Universitätsklinik in Berlin, gegenüber der Nachrichtenagentur AFP.

Ob eine sich stärker entwickelnde Hirnregion, die für genitale Berührungen zuständig ist, zu mehr Geschlechtsverkehr führt, oder ob mehr Geschlechtsverkehr die Region vergrößert, so wie man einen Muskel trainiert, wissen die Forscher:innen also bisher nicht.

Bei Männern kannte man die genaue Region schon vorher

Der somatosensorische Kortex empfängt und verarbeitet sensorische Informationen aus dem gesamten Körper. Jeder Teil des Körpers entspricht einem anderen Bereich der Hirnrinde und bildet eine repräsentative Karte.

Bislang war jedoch umstritten, welcher Teil der Karte mit den weiblichen Genitalien korreliert.

In früheren Studien wurde er manchmal unter der Repräsentation des Fußes, manchmal in der Nähe der Hüfte angesiedelt.

Der Grund dafür waren ungenaue Stimulationstechniken - zum Beispiel wurden bei der manuellen Stimulation durch den Partner oder sich selbst gleichzeitig andere Körperteile berührt, oder der Vorgang löste Erregung aus, was die Ergebnisse verfälschte.

Im Jahr 2005 gelang es anderen Forschern, eine Technik zu entwickeln, die eine sehr lokalisierte taktile Stimulation des Penis bewirkte und es ihnen ermöglichte, die genaue Region zu finden, die für diesen Bereich bei Männern zuständig ist. Für Frauen gab es jedoch keinen ähnlichen Durchbruch.

Für die neue Studie wurden 20 gesunde Frauen im Alter zwischen 18 und 45 Jahren ausgewählt.

Zur Stimulation wurde ein kleiner runder Gegenstand, der speziell für diese Aufgabe entwickelt wurde, von außen auf die Unterwäsche aufgelegt - in Höhe der Klitoris. Luftdüsen bringen die Membran des Geräts in leichte Schwingungen und stimulieren so den Genitalbereich.

AFP PHOTO / KNOP ET AL., JNEUROSCI 2021
Mit diesem Gerät wurden Frauen für die Studie stimuliert: Angelegt über der Unterwäsche, in Höhe der Klitoris, bringen kleine Luftdüsen die Membranen in Schwingung.AFP PHOTO / KNOP ET AL., JNEUROSCI 2021

Für die Probandinnen sollte es "so angenehm wie möglich" sein, erklärte der Co-Autor der Studie, Neurowissenschaftler John-Dylan Haynes vom Berlin Center for Advanced Neuroimaging an der Charité.

Die Teilnehmerinnen wurden achtmal für jeweils zehn Sekunden stimuliert, unterbrochen von 10 Sekunden Pause. Das gleiche Gerät wurde auf dem Rücken der rechten Hand als Kontrolle verwendet.

Die Ergebnisse der Hirnbildgebung bestätigten, dass der somatosensorische Kortex die weiblichen Genitalien in der Nähe der Hüften repräsentiert - wie bei den Männern -, aber die genaue Position variierte bei jeder getesteten Frau.

Je mehr Sex, desto größer die Region

Dann wurde untersucht, ob dieser Bereich - je nach sexueller Aktivität - unterschiedliche Merkmale aufweist.

Die 20 Frauen wurden nach der Häufigkeit ihres Geschlechtsverkehrs im vergangenen Jahr sowie seit Beginn ihres Sexuallebens befragt.

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Dann bestimmten die Forscher:innen für jede von ihnen die zehn bei der Stimulation am stärksten aktivierten Punkte im Gehirn und maßen die Dicke dieser Bereiche.

"Wir fanden einen Zusammenhang zwischen der Häufigkeit des Geschlechtsverkehrs und der Dicke des individuell kartierten Genitalbereichs", so Heim. Je mehr Sex, desto größer die Region.

Die Autor:innen wollen bisher nicht sagen, dass mehr Sex diese Ausdehnung vorantreibt. Erst weitere Studien könnten diese Vermutung bestätigen.

Aber es gibt Hinweise aus der bisherigen Forschung. Erstens ist bekannt, dass bestimmte Teile des Gehirns umso größer werden, je mehr sie benutzt werden: Dies ist als Plastizität des Gehirns bekannt. Die Hippocampus-Region des Gehirns von Londoner Taxifahrern vergrößert sich mit zunehmender Navigationserfahrung im Großstadt-Dschungel.

Hoffnung für Opfer von Missbrauch

Zweitens haben frühere Tierversuche gezeigt, dass die Stimulation der Genitalien von Ratten und Mäusen tatsächlich zu einer Vergrößerung des diesen Organen entsprechenden Gehirnbereichs führt.

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Auch bei diesen Untersuchungen wurde nicht festgestellt, ob ein größerer Bereich zu einer besseren Wahrnehmung führt.

Heim selbst hatte zuvor in einer Studie aus dem Jahr 2013 gezeigt, dass bei Menschen, die traumatische sexuelle Gewalt erlitten haben, die Hirnareale, die den Genitalien gewidmet sind, weniger ausgeprägt sind.

"Wir spekulierten damals, dass dies die Reaktion des Gehirns sein könnte, um die schädliche Wahrnehmung des Missbrauchs zu begrenzen", sagte sie.

Sie hofft, dass ihre Forschung dazu beitragen wird, künftige Therapien zu entwickeln, die darauf abzielen, diese Region bei Missbrauchsopfern zu rehabilitieren.

Weitere Quellen • The Journal of Neuroscience

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