Ennahda-Chef Ghannouchi: "Die AKP steht uns am nächsten"

Ennahda-Chef Ghannouchi: "Die AKP steht uns am nächsten"
Copyright 
Von Euronews
Diesen Artikel teilenKommentare
Diesen Artikel teilenClose Button

Ein Jahr nach der Jasminrevolution schauen wir nach Tunesien: Was hat sich in dem Land seither getan?

Euronews hat den Vorsitzenden der regierenden Ennahda-Partei, Rachid Ghannouchi, zu einem Interview getroffen.

euronews:

Herr Ghannouchi, Vorsitzender der Ennahda-Partei, willkommen bei Euronews.

Rachid Ghannouchi:

Guten Tag.

euronews:

Tunesien stand immer für Laizismus, die Trennung von Staat und Religion. Politiker in Tunesien und im Ausland sehen in der Ennahda-Partei nun eine Bedrohung für das laizistische System. Können Sie diese Menschen beruhigen?

Rachid Ghannouchi:

Tunesien ist kein laizistischer Staat, die Landessprache ist Arabisch und die Religion ist der Islam.

Wir geben allen Tunesiern – egal ob sie laizistisch oder religiös orientiert sind – die Garantie, dass ihre Rechte in diesem Staat gesichert sind. Alle Bürger sind vor dem Gesetz gleich, ganz egal ob es Männer oder Frauen sind, und egal,

welchen Glauben und welche politische Einstellung sie vertreten.

euronews:

Ein Vorfall an der Universität Mannouba hat vor kurzen für Aufsehen gesorgt: Eine Studentin im Ganzkörperschleier, der “Burka”, durfte nicht zum Examen antreten. Das führte zu Protesten der Salafisten. Was denken Sie darüber?

Rachid Ghannouchi:

Der Konflikt hätte vermieden werden können, wenn beide Seiten flexibler gewesen wären. Selbstverständlich muss sich die Universität an Sicherheitsvorschriften halten. So eine Institution muss die Identität der Menschen prüfen können. Sie muss wissen, wer ihre Studenten sind. Es müssen also Kontrollen durchgeführt werden dürfen, das ist wichtig.

euronews:

Derzeit wird untersucht, welche Rolle die Armee und die Sicherheitskräfte während der Revolution

gespielt haben.

Wann werden die Ergebnisse dieser Untersuchung veröffentlicht?

Rachid Ghannouchi:

Das hängt von den Gerichten ab. Es stimmt, dass die Arbeit sehr langsam vorangeht, man müsste die Untersuchungen beschleunigen.

Ein Jahr ist bereits vergangen, und die Tunesier haben immer noch keine Ergebnisse vorliegen.

Fälle von Diebstahl wurden bereits offengelegt. Doch was das Blutvergießen angeht, dauern die Untersuchungen noch an. Es geht langsam voran, doch wir hoffen, alle Fälle so schnell wie möglich aufzuklären.

euronews:

Die tunesische Wirtschaft macht eine schwierige Phase durch: Verringertes Wachstum, ein Einbruch im Tourismus – einer der wichtigsten Einnahmequellen -, und rund 800 000 Arbeitslose.

Wie wollen Sie das Land aus der Krise führen?

Rachid Ghannouchi:

Für dieses Problem gibt es keine Sofortlösung. Wir haben keine Zaubertricks, um die Arbeitslosigkeit abzuschaffen und die Wachstumsrate von null auf die angestrebten acht Prozent zu erhöhen.

Jetzt müssen alle Tunesier zusammenarbeiten, die Regierung und die Opposition. Alle Bürger, alle sozialen Schichten müssen sich solidarisieren, um aus dieser schwierigen Lage herauszukommen. Aus dem Ausland gibt es viele Versprechen für Investitionen in Tunesien, es gibt Perspektiven…

euronews:

Was die Investitionen betrifft – wer sind ihre Partner im Ausland?

Rachid Ghannouchi:

Da gibt es viele….

euronews: Wer?

Rachid Ghannouchi:

Die ganze Welt hat die Revolution in Tunesien begrüßt – und die ganze Welt ist jetzt bei uns willkommen.

euronews:

Gibt es konkrete Namen, Länder, Organisationen…?

Rachid Ghannouchi:

Europa ist unser engster Partner, und wir wollen die Zusammenarbeit weiter ausbauen.

Tunesien ist ein Wallfahrtsort geworden, die Außenminister Italiens, Frankreichs und Deutschlands sind zu Besuch gekommen…

euronews: Und die Europäische Union?

Rachid Ghannouchi:

Die Europäische Union ist willkommen.

euronews:

Was hat Ihnen die EU versprochen?

Rachid Ghannouchi:

Sie hat uns Investitionen, Kredite und finanzielle Hilfen versprochen, und dass die Zusammenarbeit mit unserem Land ausgebaut wird.

Die USA wollen im Bereich Tourismus investieren, ebenso die Golfstaaten – die die grössten Investoren in unserem Land sind – und unsere Nachbarländer Algerien, Libyen, Marokko und die arabische Welt.

euronews:

Die türkische Partei AKP ist die einzige islamische

Partei, die mit ihrer Politik erfolgreich ist…

Rachid Ghannouchi:

Auch wirtschaftlich ist sie sehr erfolgreich… .

euronews:

…auch wirtschaftlich, natürlich, verglichen mit zum Beispiel Algerien der frühen 1980er Jahre. Oder mit der aktuellen Situation in Somalia und in anderen moslemischen Ländern.

Wird die tunesische Ennahda-Partei in die Fusstapfen der türkischen AKP treten?

Rachid Ghannouchi:

Die AKP steht uns als Partei am nächsten, und die Türkei und Tunesien haben viel gemeinsam. Es gibt historische Parallelen: beide Länder stehen dem Westen sehr nahe und haben im 19. Jahrhundert wichtige Reformen durchgemacht.

Aufgrund der Gemeinsamkeiten fühlen wir uns der AKP und anderen gemäßigten Parteien sehr nahe. Wir können davon profitieren, dass die AKP grosse wirtschaftliche Erfolge und Erfolge im Bereich der Demokratie und der Menschenrechte erzielt hat – doch letztendlich ist jedes Land anders…

euronews: Die AKP gilt als laizistisch – trotz ihrer religiösen Wurzeln…

Rachid Ghannouchi:

Ich sage ja: Jedes Land ist anders.

euronews:

In der tunesischen Medienbranche wurden Personaländerungen vorgenommen, viele Journalisten sind deshalb aufgebracht.

Versucht die Ennahda-Partei, die Medien zu kontrollieren? Und könnte das Folgen für die Pressefreiheit haben?

Rachid Ghannouchi:

Die Regierung muss manchmal eingreifen, und sie hat eingegriffen, um neue Chefs für die Medienhäuser zu finden.

euronews:

Waren Sie sehr unzufrieden mit den tunesischen Medien?

Rachid Ghannouchi:

Nicht mit allen tunesischen Medien. Und auch nicht mit unbedingt mit den Medien, die uns kritisiert haben.

Wir waren unzufrieden mit den Medien, die ihre Arbeit nicht professionell gemacht haben.

euronews:

Regiert die Ennahdha-Partei Tunesien?

Rachid Ghannouchi:

Tunesien wird von einer Koalition regiert, die von der Ennahda angeführt wird.

euronews:

Herr Rashid Ghannouchi, vielen Dank …

Rachid Ghannouchi: Danke

Diesen Artikel teilenKommentare

Zum selben Thema

Im Zeichen des Frühlings: Millionen Tulpen blühen in Istanbul

Brand in Istanbuler Nachtclub mit 29 Toten: Club-Manager verhaftet

Wahlerfolg der Opposition in der Türkei: Erdogan-Fans verstehen die Welt nicht mehr