"Mazedonien braucht die EU-Mitgliedschaft"

"Mazedonien braucht die EU-Mitgliedschaft"
Von Euronews
Diesen Artikel teilenKommentare
Diesen Artikel teilenClose Button

Gjorge Ivanov, Präsident

Die Ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien hofft auf EU-Mitgliedschaft – aber Griechenland stellt sich den Beitrittsgesprächen des Nachbarstaates in den Weg. Grund ist weiterhin der Streit um den Namen Mazedonien. Seit 1991 ist die einstige jugoslawische Teilrepublik unabhängig. 2001 schrammte das Land an einem Bürgerkrieg zwischen Mazedoniern und Albanern vorbei. NATO und EU konnten den Konflikt beruhigen. Doch jetzt schwelen erneut Spannungen. euronews sprach mit dem mazedonischen Präsidenten, Gjorge Ivanov.

Hans von der Brelie, euronews: “Herr Präsident Ivanov, die ethnischen Spannungen und Ausschreitungen nehmen seit Jahresbeginn zu. Erklären Sie uns: Warum?”

Gjorge Ivanov, mazedonischer Präsident: “Alle Gesellschaften auf dem Balkan sind multiethnisch, mehrsprachig und multireligiös, bedingt durch die früheren Reiche. In Sachen Demokratie ist Mazedonien ein Modell für die Einbeziehung der Unterschiede und Vielfalt im gesellschaftlichen Leben. Verglichen mit anderen Ländern der Region hat Mazedonien es geschafft, ein gewisses Maß an echter Integration zu erreichen.”

euronews: “Aber wir sehen die Ausschreitungen!”

Gjorge Ivanov: “Es wird zum Problem, wenn Politik ethnisch belastet wird, denn einige Individuen versuchen, Wähler zu mobilisieren, indem sie die öffentliche Bühne missbrauchen. Dennoch hat Mazedonien alle Probleme der Ethnisierung der Politik überleben können. Diese vereinzelten Konfliktfälle können nicht verallgemeinert werden.”

euronews: “Dennoch scheint es eine Zunahme der Spannungen seit Jahresbeginn zu geben. Wie erklären Sie das?”

Gjorge Ivanov: “Was Ihre Bemerkung angeht, da gab es verschiedene Bilder von Mazedonien vor dem NATO-Gipfel in Chicago. Und das ist etwas, das regelmäßig vor NATO- oder EU-Gipfeltreffen stattfindet, denn es passt bestimmten Leuten nicht in den Kram, einen stabilisierten Balkan zu sehen… Es gibt immer noch Politiker auf dem Balkan, die Sklaven der Sichtweisen der Vergangenheit sind.”

euronews: “Ist aber die Zukunft als multiethnischer Staat in Gefahr angesichts der Tatsache, dass viele Albaner, die hier leben, sagen, wir haben nicht die gleichen Chancen in diesem Land?”

Gjorge Ivanov: “In Zukunft werden die meisten Länder multiethnisch, multireligiös und mehrsprachig sein – das wird die Herausforderung für die meisten Länder sein. Mazedonien versucht mit seinem politischen Modell und dem Rahmenabkommen von Ohrid, das Teil unserer Verfassung ist, diese Standards umzusetzen und einzuhalten. Und die Verbindungen zwischen den Bürgern sind zumeist kulturell, religiös oder historisch, nicht bloß ethnisch oder politisch.”

euronews: “Um meine Frage noch einmal aufzugreifen: Albaner haben mir gesagt, dass es immer noch Diskriminierung und keine Chancengleichheit für sie in diesem Land gibt.”

Gjorge Ivanov: “Das ist etwas, das sie bei denjenigen monieren sollten, die sie gewählt und denen sie ihr Vertrauen geschenkt haben, den albanischen Parteien, denn diese sind Koalitionspartner. Es gibt albanische Minister, Botschafter, Direktoren… Sie sollten das nicht vom Staat fordern, sondern von den albanischen Parteien, die sie gewählt haben – sie haben volle Bürgerrechte und können diese auch nutzen.”

euronews: “Kommen wir zum nächsten Thema: Der Streit mit Griechenland um den offiziellen Namen Mazedonien schwelt immer noch. Welche Botschaft haben Sie für Athen, um aus dieser Sackgasse herauszukommen?”

Gjorge Ivanov: “Griechenland muss die neue Realität hinnehmen, die “Republik Mazedonien” heißt, in der Mazedonier leben, die die mazedonische Sprache sprechen. Die Griechen leben immer noch mit einer Sichtweise des 19. Jahrhunderts, sie haben diesen Mythos ihrer Existenz geschaffen, als man die Tatsachen noch nicht überprüfen konnte, als es noch kein Internet gab, und sie sind immer noch in dieser selbstgeschaffenen Sichtweise gefangen.”

euronews: “Trotzdem ist da aber das Problem, dass die EU-Beitrittsverhandlungen wegen des Namensstreits völlig blockiert sind. SIE stecken in der Sackgasse! Wie kommen Sie da wieder raus?”

Gjorge Ivanov: “Wir haben jüngst gehört, wie Europas Spitzenpolitiker Griechenland aufforderten, seine Verpflichtungen einzuhalten. In Griechenland gibt es Politiker, die verantwortlungslos handeln – uns gegenüber, der Europäischen Union gegenüber und auch der internationalen Gemeinschaft gegenüber. Und wegen dieses unverantwortlichen Verhaltens sind wir bei unserem Weg in die Europäische Union und in die NATO blockiert, obwohl Griechenland sich verpflichtet hat, uns bei unserem Beitrittsprozess nicht zu behindern.”

euronews: “Was erhoffen Sie sich von der neuen griechischen Regierung?”

Gjorge Ivanov: “Es gibt Kooperation in der Wirtschaft, in der Kultur, Austausch zwischen Künstlern, Musikern, Studenten. Aber weder die politischen Parteien noch die Präsidenten haben sich in den vergangenen 20 Jahren getroffen, obwohl ich schon vier Einladungen an den Präsidenten geschickt habe. Wir erwarten, dass durch die Wahl Politiker in Griechenland ans Ruder kommen, die die neue Realität respektieren, sowohl bezüglich Mazedoniens, als auch gegenüber unseren Nachbarn. Und schließlich erwarten wir, dass Griechenland wieder seine Führungsrolle in der Region übernimmt.”

euronews: “Überall in der Hauptstadt Skopje werden riesige Statuen früherer Helden und Kriegsherrn errichtet. Griechenland interpretiert dies als, so wörtlich, ‘unfreundlichen Akt’. Was sagen Sie dazu?”

Gjorge Ivanov: “Wir sind UNESCO-Mitglied, und das verpflichtet uns, das gesamte kulturelle Erbe auf unserem Territorium zu wahren und zu pflegen. Man darf nicht UNS zur Last legen, dass es in der Region so viel Geschichte gibt…”

euronews: “Die Albaner sagen, dass sie sich durch diese Statuen, durch die Schaffung einer mazedonischen Identität ausgeschlossen fühlen. Was sagen Sie zu diesem Vorwurf als Präsident aller Volksgruppen im Land?”

Gjorge Ivanov: “Das sind isolierte Bemerkungen einzelner Individuen, die nicht mit der offiziellen Position der albanischen Bevölkerung übereinstimmen.”

euronews: “Kommen wir zur Europäischen Union und zum ‘Beitrittsdialog auf höchster Ebene’, wie er dort genannt wird: Bei diesem Dialog mit der EU-Kommission wurden Sorgen laut, dass einige kritische Medien jünst geschlossen wurden. Ist bei Ihnen die Meinungsfreiheit in Gefahr?”

Gjorge Ivanov: “Wie Sie wissen, haben wir hier in Mazedonien einerseits die ‘faktische Realität’, und andererseits die ‘mediale Realität’. Und oft hat die mediale Realität nichts gemein mit der faktischen Realität und den wahren Ereignissen im öffentlichen Leben. Aber was Demokratie, Pluralismus und Freiheit im öffentlichen Leben angeht, das ist bei uns alles präsent. Aber wie in allen anderen einst sozialistischen Staaten gibt es auch in Mazedonien eine Verbindung zwischen der Business-Elite und den Medien. Die Medien werden in Mazedonien zu oft dazu genutzt, die privaten Interessen bestimmter Einzelpersonen zu schützen.”

euronews: “Die Europäische Kommission scheint sich auch um die Unabhängigkeit des Justizsystems zu sorgen. Es gibt offenbar Befürchtungen, dass die Justiz den Interessen der größeren Regierungspartei dient. Ist die Unabhängigkeit der Richter gewährleistet?”

Gjorge Ivanov: “Deshalb BRAUCHEN wir die EU-Mitgliedschaft: Denn durch den Verhandlungs- und Reformprozess werden wir in der Lage sein, europäische Standards zu erreichen, und das, was andere europäische Staaten haben, auch in Mazedonien bekommen – zum Beispiel auch im Justizwesen.”

euronews: “Vielleicht etwas Positives zum Schluss: 2001 war das Land dem Bürgerkrieg nahe. Kann sich so eine Situation wiederholen? Können Sie ausschließen, dass dieser schwelende Konflikt nicht doch wieder ein heißer wird?”

Gjorge Ivanov: “Man sagt, dass der Balkan ein Pulverfass ist. Aber dieses Pulverfass ist hier in unserem südlichen Teil des Balkans nie angezündet worden…”

Diesen Artikel teilenKommentare