Auf der Jagd nach Schleppern

Auf der Jagd nach Schleppern
Von Hans von der Brelie
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Bayerns Polizei fahndet in zivil

Vier Uhr morgens auf der Autobahn. Die Stunde der Schleuser. Die Stunde der Zivilfahnder. Michael bremst seinen hochmotorisierten Wagen an einem verdächtigen Kleinlaster. Wir sind in Bayern, dicht hinter der Grenze zu Österreich.

Bald wird Michael neue Kollegen bekommen. Die deutsche Regierung hat beschlossen, dreitausend Polizisten zusätzlich auszubilden. Deutschland will seine Grenzen besser schützen. Deutschland will Schleuser und Menschenhändler hinter Gitter bringen.

Michael öffnet den Transporter: der Geruch der Verzweiflung schlägt uns entgegen. Der Polizist erinnert sich noch gut an das Bild, das sich im bot, als er zum ersten Mal diese Tür öffnete: “In diesem Sprinter, auf dieser Ladefläche, haben sich 39 Personen befunden insgesamt, darunter auch ein Kleinkind und ein Baby. – Wenn man sich vorstellt, wie beengt das sein muss, dass da eine Person an der anderen steht, ohne sich bewegen zu können, dann ist das schon sehr dramatisch. Man sieht hier, dass zumindest Wasser zur Verfügung gestellt wurde für diesen langen Weg. Hier haben wir aber auch schon Anderes erlebt, dass die Leute transportiert werden ohne jegliche Nahrung und Flüssigkeit, ohne Luftzufuhr. Das ist hier schon noch der Fall – es gibt hier auch eine Verbindung zum vorderen Bereich, wo der Schleuser noch Kontakt halten konnte zu den Personen. – Wir hatten schon Situationen, wo man sofort die Ärzte hinzuziehen musste, weil Leute ausgestiegen sind und dann bewusstlos auf dem Boden gelegen sind.”

Michael und seine Kollegen verhafteten den Schleuser am Steuer. Einen von vielen: seit Anfang des Jahres brachten die deutschen Zivilfahnder 2336 Schlepper hinter Gitter. Ein Rekord.

Vor wenigen Wochen wurde ein ähnlicher Transporter entdeckt. In Österreich. Die 71 Menschen auf der Ladefläche des Kühllasters waren tot. Alle. Darunter auch mehrere Kinder.

#Schlepperlkw in #Österreich: Zwei der #Schleuser sind zuvor in #Deutschland aufgefallen. http://t.co/QgBt1hPGBppic.twitter.com/C1xy7Z6SAm

— SPIEGEL ONLINE (@SPIEGELONLINE) 31 Août 2015

Die Schleuser und Schlepper sind gut vernetzt. Von den Hintermännern in Ungarn hat Michael bei Verhören und von Kollegen der Bundespolizei erfahren: “Wir haben die eine oder andere Aussage von Schleusern, die meinen, mit besserem Strafmass davonzukommen, wenn sie auspacken und die haben uns auch erzählt, dass es ein Netzwerk gibt und dass die Geld abgeben müssen an die Organisation, die in Ungarn sitzt.” Darüber hinaus hat Michael festgestellt, dass die Schleuser die Polizeiaktivitäten ausspähen und sich über ihr internes Kommunikationsnetzwerk – Telephon oder Internet – austauschen; deshalb sind die Fahnder hochmobil, wechseln oft den Standort, setzen verstärkt Zivilstreifen ein.

Schleuser vor Gericht

Michaels Kollegen, Gerhard und Christian, winken einen verdächtigen Kleintransporter aus Ungarn in die Parkbucht. Bislang kamen die Migranten über Italien oder Ungarn nach Österreich und Deutschland. Bereits seit Mai verhafteten bayerische Fahnder im Schnitt 15 Schlepper pro Nacht. Mit der Wiedereinführung der Grenzkontrollen verdoppelte sich die Zahl.

Kontrollen bei Passau: Bereits nach wenigen Stunden haben sie zahlreiche Flüchtlinge und Schleuser gestoppt. http://t.co/snfJC453bG

— SZ Bayern (@SZ_Bayern) 14 Septembre 2015

Passau – die Dreiflüssestadt. Hier fliesst die Donau von Deutschland nach Österreich. Die Bewohner der Altstadt haben sich an ein seltsames Spektakel gewöhnt: exakt im Halbstundentakt liefern graue Gefängnistransporter Schleuser beim Haftrichter ab.

Oberstaatsanwältin Ursula Raab-Gaudin hat viel zu tun: 350 Schlepper sitzen allein in ihrem Zuständigkeitsbereicht in Untersuchungshaft. Sie erklärt: “Jeder, der eine Person ohne Ausweispapiere ins Land bringt, der riskiert bis zu fünf Jahre eingesperrt zu werden, wenn die Dinge sich noch verschärfen dadurch, dass die Menschen in Gefahr gebracht werden im Transport, dann beträgt die Strafandrohung sogar bis zu zehn Jahren. Wenn ein Mensch zu Tode kommt bei so einer Fahrt, ist die Mindeststrafe drei Jahre Gefängnis und bis zu 15 Jahre rauf können hier verhängt werden.”

Auf einmal liegt das gemütliche Grenzstädtchen Passau im Zentrum des Weltgeschehens… Doch nur die “kleinen Fische” gingen hier ins Netz, meint Anwalt Markus Ihle, die Hintermänner in Designeranzügen liefen weiterhin frei herum – in Bulgarien, Ungarn, Rumänien, der Türkei. Auf dem Schreibtisch des Pflichtverteidigers stapelt sich ein halbes Hundert Schleuser-Fälle. “Ein Mandant hat mich quasi gebeten, nicht schneller zu arbeiten, weil er jetzt auf den Winter hinaus 170 Euro verdient, weil er Mäusefallen bauen darf im Gefängnis – und das sei immer noch mehr als in Rumänien, wo jetzt der Winter kommt und wo er keinen Job hat… Das sind arme Schweine, die das ausbaden müssen, womit ihre Hinterleute – die wiederum Schwerstkriminelle sind – ein Riesengeld verdienen,” so Ihle.

Aufgrund seiner Gespräche mit Mandanten, Polizei- und Strafverfolgungsbehörden hat sich Ihle ein Bild gemacht: “Ich denke, es gibt etwa vier oder fünf weitverzweigte mafiöse Schleppernetzwerke”, beurteilt er die Situation. Doch die Fahrer der Schlepperautos bekämen nur einen kleinen Teil des Schlepperlohns, “so um die 300 oder 400 Euro”. Die Flüchtlinge zahlen etwa 3000 Euro für den Schleusertransport von Budapest nach Passa, davon landet das meiste Geld in den Taschen der Hintermänner. Und an die ist schwierig dranzukommen.

Netzwerke, Routen und Preise

Hunderte Schleuser-Fahrzeuge haben Michael und seine Kollegen in den vergangenen Monaten beschlagnahmt. Die Polizei Passau musste zusätzlichen Parkraum organisieren. Die PKW und Kleinlaster werden entweder versteigert oder – wenn sich kein Käufer findet – verschrottet. Auf den Ladeflächen liegen noch Kleiderfetzen, eine Socke, ein Plüschtier…

Die meisten Menschenschmuggler kommen aus Ungarn, Rumänien, Syrien, Bulgarien und Serbien. Wie werden sie angeworben? Rechtsanwalt Ihle sagt: “Das geht teilweise über Telephonnummern, die Bekannte ihnen zustecken, in Budapest oder anderswo, nach dem Motto: Du hast gerade keinen Job, ruf den mal an. Es sind Zettel in Einkaufszentren, die ausgehängt sind: Wenn Du einen Job brauchst, ruf hier an. Manche werden auch direkt angesprochen.”

In den Gesprächen mit seinen Mandanten – den Schleusern – entdeckt Ihle Aussagen, die sich decken: “Gelegentlich taucht da ein gewisser Ali auf, ein langer, schmal gebauter Araber mit Bart, oder eine ältere Italienerin mit langen, roten Haaren. Auch einige Ortsangaben wiederholen sich, bestimmte Parkplätze, Treffpunkte, Hotels.” Für Ihle sind diese Übereinstimmungen ein Zeichen dafür, dass die Schleusungen organisiert sind, es sich um ein Netzwerk handelt.

Kurz nach Sonnenaufgang. Michael Emmer beredet sich am Rand der Autobahn Richtung Österreich mit seinen Zivilfahnderkollegen Gerhard und Christian. Fast 400 PS stecken unter der Motorhaube. Das Trio kriegt jeden Schleuser. In wenigen Sekunden setzt sich Gerhard vor einen vollbesetzten Kleinlaster mit getönten Scheiben. Falscher Alarm – die Papiere sind in Ordnung. Ein Leiharbeitertrupp. “Ein paar Stunden früher, um drei Uhr nachts, hatten wir heute eine Schleuserfestnahme”, berichtet Michael. Der Mann wollte seine “Kunden” direkt in Passau aussetzen. Bei einem Wendemanöver fiel der Transporter den Polizisten auf. Jetzt ist der Fahrer in Haft.

Europas Politiker sind sich einig: Schleuser gehören ins Gefängnis. – Michael ist stolz auf sein Team: geübte Augen, gute Nase, schnelle Reflexe. Er verrät uns, worauf er achtet: “Wie sieht das Fahrzeug insgesamt aus? Passt der Fahrer zum Fahrzeug? Wie ist der Tiefgang des Fahrzeugs, das lässt auch oft auf eine Schleusung schliessen, wenn der Abstand am Radkasten relativ gering ist, dann ist das Auto im hinteren Bereich relativ stark beladen – und dann sichtet man die Ladefläche und kontrolliert das Fahrzeug.”

Eine kurze Geisterfahrt auf der Autobahn – Michael und Gerhard dürfen das. Scharfes Abbiegen bei der Ausfahrt. Die Zivilstreife setzt Blaulicht und Martinshorn, blockiert eine Kreuzung. Wieder wird ein voll besetzer Wagen kontrolliert.

Die Europäische Union schätzt, dass derzeit etwa 30.000 Schleuser auf dem Kontinent aktiv sind – vielleicht mehr.

Am Stadtrand von Passau kontrollieren Michael und seine Kollegen eine Flüchtlingsgruppe aus Syrien. Der Schlepper hat sich bereits aus dem Staub gemacht. – Tareks Boot sank kurz vor Griechenland. Er rettete sich schwimmend. Für die Reise von Damaskus nach Passau bezahlte Tarek mehrere Schleuser. “Insgesamt zahlten wir 2000 Euro pro Kopf, um nach Griechenland zu gelangen. Das meiste Geld mussten wir in der Türkei hinterlegen, etwa tausend Euro. Später mussten wir erneut tausend Euro bezahlen,” so Tarek.

Koordiniert gegen Schleuserbanden

Michael zwängt sich in seinen besten Anzug. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann eröffnet eine neue Koordinierungsstelle: Deutsche, Österreicher und Ungarn fahnden gemeinsam nach den Hintermännern.

Europa sollte den Flüchtlingsstrom eindämmen, sagt der bayrische Minister: “Ungarn hat diese Schengenaussengrenze und nimmt das Ernst und ist verpflichtet, dafür zu sorgen, dass niemand illegal den Schengenraum betritt. Ich halte es nicht für richtig, dass man Ungarn kritisiert und auf der anderen Seite Italien ständig massenhaft Rechtsbruch gegenüber Schengenabkommen und Dublinverordnung begeht.”

Bayerns Innenminister Joachim #Herrmann rechnet mit wochenlangen #Grenzkontrollen. http://t.co/gVUoiQxo6J

— Bayern 2 (@bayern2) 14 Septembre 2015

Dramen auf der Autobahn

Wieder unterwegs mit Michael… Vor Monaten pressten Schleuser noch zehntausend Euro aus syrischen Flüchtling. Als Berlin einige Tage lang die Grenzen öffnete, sanken die Schlepper-Preise.

Genau an dieser Stelle hätte es beinahe ein Blutbad gegeben, schildert Michael. Der Schleuser bemerkte die Polizei. Michael erzählt, was dann geschah: “Dann hat er sein Fahrzeug mit einer Vollbremsung abgebremst und hat die acht Flüchtlinge, es waren acht im PKW, darunter ein Kleinkind und ein Kind, hat die auf der Überholspur zurückgelassen, ist über die Mittelleitplanke gesprungen und über die beiden gegenüberliegenden Fahrbahnen gelaufen und dann im Wald verschwunden. Der dahinterfahrende LKW hat glücklicherweise noch bremsen können – es wäre nicht auszudenken gewesen, wenn der einen Auffahrunfall gehabt hätte.”

Michael und seine Kollegen brachten auch diesen Schleuser hinter Gitter – weitere werden folgen…

Schleuser haben eine neue Strategie: #Flüchtlinge werden in Österreich ausgesetzt und überqueren zu Fuß den Inn. http://t.co/is5l2IFiER

— Süddeutsche Zeitung (@SZ) 16. September 2015

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