Luxemburgs Premier Xavier Bettel: Wir brauchen weltweit Steuerharmonisierung

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Luxemburgs Regierungschef über den digitalen Binnenmarkt, Steuerflucht und die Brexit-Verhandlungen

Am Rande des Web Summit in Lissabon, einer der größten Tech-Konferenzen Europas, trafen wir Luxemburgs Premierminister Xavier Bettel. Seine Anwesenheit beim Web Summit, bei dem es um die Chancen und Nebenwirkungen der digitalen Industrie ging, kam für manchen vielleicht eher überraschend…

Stefan Grobe, euronews:
Welchen Stellenwert hat denn die digitale Industrie in Luxemburg und welche Innovationen werden dort ersonnen?

Xavier Bettel:
Mein Land ist vielleicht nicht flächenmäßig das größte, aber bei der digitalen Infrastruktur gehört es zu den Spitzenreitern. Ob es nun das letzte Ranking der Leute in Davos war oder auf internationalem Niveau: Wir werden immer unter den zehn, fünfzehn, zwanzig ersten weltweit sein. Die digitale Agenda hat auch für Europa Priorität. Wir klemmen derzeit ein bisschen in einem Schraubstock zwischen den USA und Asien, und da ist es wichtig, eine gemeinsame Strategie zu entwickeln. Und Luxemburgs Präsenz im digitalen Bereich ist eine Realität! Fünf Prozent der Arbeitsplätze bei uns finden sich im digitalen, und das ist nur der Anfang!

Digitaler Binnenmarkt: Wenig erreicht

euronews:
Es gibt weiterhin Hindernisse im Internet, die den Zugang der Bürger zu Waren und Dienstleistungen beeinträchtigen. Was wird unternommen, um den europäischen Binnenmarkt an das digitale Zeitalter anzupassen? Es gibt immer noch regulatorische Hindernisse.

Xavier Bettel:
Wir reden viel, haben aber wenig getan. Wir reden schon seit Jahren über den digitalen Binnenmarkt. Ich selbst bin seit vier Jahren im Telecom-Rat, wir reden und reden, aber dabei kommt nur wenig heraus. Es gab viele Initiativen, aber letztlich nur wenige Gesetzverfahren. Wenn Sie ein Start-up haben und gehen in die USA, haben Sie einen Markt mit 500 Millionen Menschen und einer einzigen Gesetzgebung. In Europa haben Sie 500 Millionen Menschen, aber 27 oder 28 Gesetzgebungen, die Sie beachten müssen – als kleines Start-up! Man muss die Gesetze jedes einzelnen Landes beherzigen, um sich niederlassen zu können, um dort etwas verkaufen zu können. Es ist also wichtig, dass wir eine gemeinsame Gesetzgebung haben, einen gemeinsamen Regulierer. Wir machen da zwar Fortschritte, aber so schnell, wie sich das Digitale entwickelt – da habe ich gelegentlich den Eindruck, wir kommen bei der Anpassung der europäischen Gesetze im Schneckentempo voran.

Luxemburg ist nicht dasselbe Land wie vor ein paar Jahren

euronews:
Reden wir kurz über die Aktualität, die Enthüllungen der Paradise Papers, die diese Woche Schlagzeilen machten. Waren Sie von den Enthüllungen überrascht?

Mehr Infos zu den Paradise Papers hier

Xavier Bettel:
Nein. Ich habe von Anfang an gesagt, dass die Steuerharmonisierung für Luxemburg sehr wichtig ist. Dass wir eine Harmonisierung brauchen, die zwar nicht bedeutet, dass alle denselben Steuersatz haben, aber auch nicht, dass keine Doppelbesteuerung am Ende überhaupt keine Besteuerung heißt. Mein Land ist heute nicht mehr dasselbe wie vor ein paar Jahren. Es steht auf keiner schwarzen oder grauen Liste mehr, bei der OECD oder sonstwo. Das Großherzogtum Luxemburg meint heute, dass wir uns an einen Tisch setzen und darüber beraten müssen, wie wir verhindern, dass bestimmte Unternehmen keine Steuern zahlen. Bei den LuxLeaks haben alle gesagt, ach ja, Luxemburg. Dann hat man entdeckt, dass es das ja in ganz Europa gibt, dass es EuroLeaks war, und heute sieht man, dass das eine weltweite Situation ist mit Vorschriften und Legalität. Und ich betone: Es gibt da zwar eine Rechtmäßigkeit, es sollte aber auch die Moral geben: Sagen zu dürfen, nein, man darf nicht keine Steuern zahlen.

euronews:
Das war ein nationales Trauma, die Enthüllungen von LuxLeaks… wie haben die Leute diesen Moment erlebt?

Xavier Bettel:
Das Eigentliche war, dass das alles legal war. Es ist legal, aber es gibt auch die andere Seite – gegenüber den Leuten, denke ich… Wie soll ich denn erklären, dass jemand, der Milliarden Gewinne macht, keine Steuern zahlt, und der, der einen kleinen Laden hat oder sonst etwas, der zahlt normal Steuern? Deshalb müssen wir eine Regulierung finden, die alle verpflichtet, Steuern zu zahlen.

euronews:
Es stimmt, Luxemburg hat im vergangenen Jahr seine Steuergesetze geändert, um bestimmte missbräuchliche Steuerkonstrukte zu unterbinden, die manche multinationale Konzerne in Ihrem Land nutzten. Gleichzeitig hat man den Eindruck, dass Luxemburg Brüssel immer ausbremst. Warum?

Xavier Bettel:
Wir bremsen überhaupt nicht… Aber wir sollten mal zwei Sekunden nachdenken: Geht es heute bloß um einen europäischen Markt oder um einen Weltmarkt? Gerade, wenn man über den digitalen Bereich redet – wir sind hier ja schließlich beim Web Summit. Liegt es im Interesse Europas, dass wir die Konzerne in Europa stärker besteuern, als es die USA oder Asien tun? Deshalb finde ich es wichtig, dass wir eine Gesetzgebung auf Ebene der OECD finden, damit dann auch für die USA und die Länder um Europa herum eine einheitliche Besteuerung gilt.

Die EU: Eine Wertegemeinschaft, nicht nur ein Binnenmarkt

euronews:
Steuerhinterziehung ist ein Thema, das in Europa immer für Ärger sorgt, und das bringt uns auf die Unzufriedenheit der Bürger. Nach dem Brexit, Trump, dem Erstarken der Extremisten, dem Populismus, Katalonien: Warum und wie sind wir da hingekommen?

Xavier Bettel:
Die Leute haben Fragen, Probleme und Ängste. Und wir sagen ihnen, eines Tages finden wir eine Lösung. Die Leute erwarten Lösungen. Ich denke, sie hätten heute zum Beispiel gern eine gemeinsame Zuwanderungspolitik, um sicherzugehen, dass wir unsere Grenzen unter Kontrolle haben. Sie wüssten sicher auch gern, dass Großbritannien nach dem Brexit nicht gegenüber anderen Ländern bevorzugt wird, weil es ja von sich aus die EU verlässt. Die Leute haben Fragen, und wir müssen die Antworten finden. Europa, das sind nicht nur die Finanzen und die Wirtschaft – das sind zuerst die Werte, die Solidarität. Und das muss man sich gelegentlich mal in Erinnerung rufen.

Brexit: Annäherung?

euronews:
Die Brexit-Verhandlungen wirken wie ein Dialog unter Schwerhörigen.
Dennoch haben Sie kürzlich gesagt, dass die Briten heute realistischer seien als noch vor einem halben Jahr. Was meinen Sie damit?

Xavier Bettel:
Vor einem halben Jahr hieß es “Kein Deal ist besser als ein schlechter Deal”, es ging um den harten Brexit…

euronews:
Aber das hört man in London immer noch…

Xavier Bettel:
Ja, aber weniger, man hört es auch weniger in Brüssel. Vorher hörte man das auch in Brüssel. Es gibt eine Annäherung im Londoner und Brüsseler Diskurs, während vor sechs, sieben Monaten eher jede Seite ihre Denkweise hatte. Heute möchte man sich an einen Tisch setzen und eine gute Lösung finden.

Zwei Luxemburger im Europäischen Rat

euronews:
Wie ist Ihr Verhältnis zu Jean-Claude Juncker?

Xavier Bettel:
Sehr gut. Zwei Luxemburger im Europäischen Rat, das kommt nicht alle Tage vor! Das gab es schon mal mit Jacques Santer und Jean-Claude Juncker. Aber heute sitzt da nicht mehr ein Luxemburger, sondern ein Europäer – der Vater der Europäischen Kommission!

euronews:
Luxemburg hat eine Reihe von Premierministern hervorgebracht, die wichtig für Europa waren: Jean-Claude Juncker, Jacques Santer, Gaston Thorn… Haben Sie auch europäische Ambitionen? Sie sind noch jung, Sie sind einer der jüngsten Regierungschefs in Europa…

Xavier Bettel:
Das ist ja sehr nett, mir eine europäische Karriere zu wünschen! Erst einmal bin ich Luxemburgs Premierminister bis zu den Wahlen im nächsten Jahr, und hoffentlich auch danach. Ich habe eine Mission: Ich wollte mein Land modernisieren, ich wollte, dass es zu Europas Spitzenreitern gehört. Heute sehe ich Wachstum, sinkende Arbeitslosigkeit, ich starte eine Mission und möchte sie fortsetzen!

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