Cohn-Bendit befragt Fischer und Von der Leyen: Müssen militärisch aktiver werden

Cohn-Bendit befragt Fischer und Von der Leyen: Müssen militärisch aktiver werden
Von Euronews
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Daniel Cohn-Bendit traf den grünen Ex-Außenminister und die aktuelle Verteidigungsministerin.

In "Uncut" mit Daniel Cohn-Bendit diskutiert der ehemalige Studentenführer, Alt-68er und frühere Europa-Abgeordnete eine halbe Stunde lang zuerst mit dem grünen Ex-Außenminister Joschka Fischer und dann mit der aktuellen CDU-Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen. Die Interviews werden unbearbeitet und ungekürzt gesendet.

Zentrales Thema ist die machtpolitische Rolle Deutschlands in Europa und der Welt.

Joschka Fischer: Zukunft des Westes hängt von Frankreich und Deutschland ab

Deutschland könne sich kein Timeout von der Geschichte nehmen, und schon gar nicht in europäischen Fragen - für Joschka Fischer hat die jahrelange außenpolitische Untätigkeit Deutschlands konkrete Gründe. Nach 1945 habe es stets geheißen: "Nicht nur nie wieder Krieg, nicht nur nie wieder Völkermord, sondern auch: Nie wieder Weltmacht! Nie wieder Weltpolitik." Stattdessen habe sich Deutschland auf seine Rolle in der Weltwirtschaft konzentriert.

Das hat Fischer auch als grüner Außenminister während der deutschen Beteiligung im Kosovokrieg beobachtet, "dass das nicht so die übliche innerlinke Debatte über Krieg oder Frieden war, sondern dass das sehr weit bis ins rechte Lager hinein reichte. Vor allen Dingen bei der älteren Generation. Belgrad bombardieren war für viele ein Schock."

"Belgrad bombardieren war für viele ein Schock"

Jetzt sieht es laut Fischer aber anders aus: Dass deutsche Truppen mittlerweile auch in Mali stationiert sind, findet er richtig: "Man kann es nicht allein Frankreich überlassen, den Kampf gegen den Terror in Westafrika zu führen." Wäre er jetzt wieder Außenminister, würde er "versuchen Himmel und Hölle in Bewegung zu setzen, um auf Frankreich zuzugehen und Europa voranzubringen." Denn Europa werde sich nicht mehr einfach so auf die USA verlassen können: "Die Zukunft des Westens wird davon abhängen, ob die Europäer es schaffen zusammen zu finden." Und das unter französischer Führung, fügt Fischer hinzu.

Joschka Fischer (geboren 1948 in Gerabronn, Baden-Württemberg)

  • 1985: Staatsminister in Hessen, erster Bundeslistenplatz bei Bündnis 90/Die Grünen.
  • 1998: Vizekanzler und Außenminister in der ersten grünen Bundesregierungsbeteiligung.
  • 1999: Entsendet Bodentruppen in den Kosovo-Krieg - erste deutsche Militärintervention seit zweitem Weltkrieg, zudem wird er Präsident des Rates der Europäischen Union.
  • 2002: Zugewinne der Grünen bei Bundestagswahl, zweite Amtszeit Schröder/Fischer.
  • Seit 2005: Karriere als strategischer Berater und Lobbyist (Siemens, BMW, RWE, OMV).

Laut Joschka Fischer hat Deutschland aber nicht nur machtpolitische Identitätsprobleme. Auch die Spaltung zwischen Ost- und Westeuropa sei auf dem Bundesgebiet spürbar: "Das alte westdeutsch-geprägte Parteiensystem ist dabei, sich dramatisch zu verändern oder gar aufzulösen. Das werden wir bei den kommenden Landtagswahlen erleben. Ich denke, die FDP unter ihrem Vorsitzenden Lindner hat einen schrecklichen Fehler gemacht. Sie hat nicht begriffen, dass 'Jamaika' eine historische Herausforderung war."

Besonders die AFD habe wesentlich ´´´zu dieser Veränderung beigetragen und werde dies weiter tun. Aber: "Ich glaube nicht, dass sie ein größeres Potenzial als zwanzig Prozent haben und sie werden an ihrem Radikalismus kaputt gehen. Es geht ihnen wie vielen linken Initiativen, die in ihrer Radikalisierung dann kaputt gegangen sind", so Fischer.

Ursula von der Leyen: Militärpolitisch aktives Deutschland, in europäischer Armee

Ursula von der Leyen scheint Joschka Fischer bereits zuvorgekommen sein. Für sie liegt es auf der Hand, dass Deutschland nicht nur ein wirtschaftlich einflussreiches Land sein soll, "sondern, dass wir auch auf den Gebieten, wo es keinen Applaus gibt, wo es Krisen und Konflikte gibt, bereit sein müssen, mehr Verantwortung zu tragen."

Es gebe nämlich viele Gebiete, wo die NATO nicht gefragt sei, die Europäische Union aber schon, zum Beispiel in Afrika, so die Verteidigungsministerin: "Wir haben in der Europäischen Union über Jahrzehnte, weil es immer die NATO gab, keine Sicherheitsstrukturen aufgebaut einer europäischen Verteidigungsunion, die diesen Namen auch verdienen. Wir haben die Strukturen, die lange im Lissabon Vertrag geschlummert haben, jetzt aus der Taufe gehoben." Und das heiße konkret: "Ich glaube die Bezeichnung 'Wir bilden eine Armee der Europäer' ist die Richtige für die derzeitige Situation."

"Müssen Probleme vor unserer Tür angehen, keiner wird uns da mehr helfen"

"Die Niederländer haben ihr letztes Panzerbataillon uns in Deutschland unterstellt, es integriert in die deutsche Panzertruppe; und wir haben Teile unserer Marine integriert in die Niederländische. Wir sind unterschiedlich und bleiben unterschiedlich, aber wir wachsen so zusammen in diesem Teil der Streitkräfte:"

Von der Leyen zeigt sich optimistisch, dass Europa in Sachen Sicherheit in der nächsten Zeit schneller voran kommen wird: "Denn ich habe die letzten anderthalb Jahre gesehen, während um uns herum in Europa es viele Probleme und Brüche gab, ist es das Gebiet gewesen in dem wir am meisten Fortschritte erreicht haben. Alle zusammen, weil alle gespürt haben, wir als Europäer müssen gemeinsam die Probleme vor unserer Tür angehen, keiner wird uns da mehr helfen."

Ursula von der Leyen (geboren 1958 in Ixelles/Esene, Belgien)

  • 2003: CDU-Ministerin in der niedersächsischen Landesregierung.
  • 2005: Bundesministerin für Familie/Senioren/Frauen/Jugend im Kabinett Merkel I.
  • 2009: Bundesministerin für Arbeit und Soziales im Kabinett Merkel II.
  • Seit 2013: Bundesverteidigungsministerin im Kabinett Merkel III.
  • 2015: Nach Plagiatvorwürfen bestätigte die Medizinische Hochschule Hannover ihren Medizinabschluss, obwohl "20% ihrer Dissertation fehlerhaft sind".

Die Frage, ob nicht die ganze Weltgemeinschaft in Syrien versagt habe, bejaht die Verteidigungsministerin: "Wir haben ihn (den Bürgerkrieg, Anm.) lange nicht wahrnehmen wollen. Und dann haben wir, als der IS auftauchte, in der Koalition gegen den Terror, den IS bekämpft."

"Was für ein fatales Signal ist das an Assad?"

"In Syrien haben wir gespürt, sehr deutlich, dass die Amerikaner, das Vakuum, dass sie hinterlassen haben - dort ist Russland reingegangen und Europa war gar nicht vorhanden." Es sei eine bittere Lektion für Europa gewesen, dass die Probleme, die durch den Bürgerkrieg entstanden sind, dann direkt vor unserer Haustür landeten, sagt von der Leyen. Aber Russland müsse sich darüber im klaren sein, "dass es uns, Amerikaner, Europäer, brauchen wird, um dieses Land wieder aufzubauen." Und das sei auch ein Druckmittel, um sich für mehr Menschenrechte einzusetzen.

Unlängst hatte die CDU-Politikerin mit der Aussage aufhorchen lassen, dass bei einem erneuten Einsatz von Chemiewaffen vonseiten des syrischen Machthaber Assad, Deutschland sich nicht wieder heraushalten und die Militärintervention Frankreich und den USA überlassen könne. Dazu meint sie nun: "Was für ein fatales Signal ist das an Assad? Wenn wir von vornherein sagen, ganz egal was Assad macht, wir sind nicht dabei."

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