Schwitzen in Sibirien

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Von Galina Polonskaya
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Euronews-Korrespondentin Galina Polonskaya reiste mehrere Tage lang durch Sibirien. Auf den Spuren des Klimawandels. Hier eine ihrer Reportagen:

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Russlands hoher Norden hat Fieber: Sibirien gerät ins Schwitzen. 2020 ist erneut ein Jahr mit Hitzerekorden. Für die Menschen in Westsibirien gehört die "neue Hitze" mittlerweile fast schon zum Alltag. Sie haben lernen müssen: Der Klimawandel existiert ganz real, im Hier und Jetzt.

Unsere Moskauer Euronews-Korrespondentin, Galina Polonskaya, hatte die Möglichkeit, die Region im Wandel zu bereisen und dort zu filmen. In Noyabrsk wurde sie in die gute Stube der Semenkovs eingeladen.

Mit T-Shirt unterwegs in Sibirien

"Eigentlich müssten wir hier auch im Sommer eine Jacke tragen, sogar ziemlich dicke Jacken", meint Michail Semenkov. "Doch es ist 25 Grad Celsius und wir laufen im T-Shirt herum."

Michail wurde hier geboren, in Noyabrsk, einer Stadt im Westen Sibiriens. Wie sein Vater malocht auch Michail in der Ölindustrie. Seine Frau Ekaterina bestätigt: die langen, harten Winter aus Kindertagen, die gibt es nicht mehr. Dafür aber Blumen, die es hier in Sibirien so schön und groß eigentlich gar nicht geben dürfte...

“Neulich hat mir mein Mann so eine Art Riesen-Kamillen aus dem Wald mitgebracht. Echte Riesendinger", erzählt Ekaterina Semenkova. "Ich habe ihm gesagt, Mensch Micha, das gibt es doch gar nicht, wildwachsende Margeriten. Sogar Brennesseln wachsen jetzt hier im Norden."

Früher gab es diesen irren Wind nicht

Das Euronews-Team legt einen Zwischenstopp unweit Khanimeys ein. Unweit der Siedlung, am Rande eines träge dahinströmenden Wasserlaufes, treffen wir Anatoly. Auf den ersten Blick wirkt alles friedlich hier, Anatoly angelt, ein lauer Wind weht...

Doch der Schein trügt. Anatoly Dobrovolsky ist Rentner. Er kam 1978 hierher, auch er ein Ölarbeiter, wie unzählige andere. Fast ein halbes Jahrhundert lang hat er hier, im Westen Sibiriens, gearbeitet, geliebt, gelebt. Er kennt hier jeden Wasserlauf, fast jeden Baum. Anatoly ist hier daheim. Und doch: die ihm vertraute Natur kommt ihm auf einmal fremd vor.

Gegenüber Euronews berichtet er von seltsamen Wetterveränderungen: “Es regnete wochenlang, das war früher normal", erinnert sich Anatoly. "Doch es gab diesen irren Wind nicht, so wie heute. Ganze Dächer deckt der ab. Und die Fließgeschwindigkeit der Gewässer hat zugenommen. Gut, klar, es ist wärmer geworden. Es gab früher kaum Brücken, wir haben uns einfach eine Art Furt aus Eisblöcken gebaut. Am neunten Mai haben wir unseren Eis-Übergang dann jedesmal in die Luft gejagt, weil er brüchig wurde. Heute blüht am neunten Mai bereits alles und es ist warm."

Straßenunterbau wie Weichplastik

Der Permafrostboden ist fast keiner mehr. Dauerfrost - do svidanje und Tschüss. Die Euronews-Reporterin spürt es: die Straßen sind Achterbahnen. Die Wissenschaftler bestätigen die Erfahrung auf der Straße: der Permafrost schwindet 40 Prozent schneller als im üblichen Jahresmittel.

Georgy Istigichev arbeitet als Nachwuchswissenschaftler im Bereich Klimawandel an der Staatlichen Universität Tomsk: “Der Boden unter dem Straßenbelag wird instabil. Permafrost ist eigentlich etwas äußerst Festes. Doch wenn er taut, dann ist der Boden mit Schmelzwasser gesättigt und verhält sich wie Weichplastik. Wenn dann Lastkraftwagen auf der Straße fahren, dann übt deren Gewicht Druck auf den Strassenunterbau aus und ganze Schichten geraten in eine seitliche Bewegung."

Wenn der Dauerfrostboden taut, leidet Sibiriens Infrastruktur. Doch viel folgenschwerer ist die Freisetzung von CO2 und - noch schlimmer - von Methan. Der Klimawandel bringt die Permafrostschichten zum Schmelzen, was widerum den Klimawandel beschleunigt. Ein Teufelskreis. Oder wissenschaftlich formuliert: ein Kipppunkt.

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