Verlassen, hungrig, unter Beschuss: Russlands Soldaten fühlen sich wie "Hackfleisch" in Ukraine

Militärübungen in Krasnodar: Am 21. September kündigte Putin eine Teilmobilisierung an, die Berichten und Beobachter:innen zufolge chaotisch verlief.
Militärübungen in Krasnodar: Am 21. September kündigte Putin eine Teilmobilisierung an, die Berichten und Beobachter:innen zufolge chaotisch verlief. Copyright AP
Von Alexandra Leistner
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Keine Ausrüstung, Befehlshaber, die ihre Soldaten im Stich lassen und Beschuss von der eigenen Armee: Eine Gruppe Reservisten aus Russland hat sich mit einem verzweifelten Video über ihre Situation an die Öffentlichkeit gewandt.

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Russland soll in den vergangenen zwei Wochen einen großen Teil seiner Luftlandetruppen (WDW, Russisch. Воздушно-десантные войска России, ВДВ) an die Front nach Donezk und Lukansk verlegt haben. Das geht aus Informationen des britischen Geheimdiensts hervor.

Demnach sollen die WDW-Einheiten zu weiten Teilen an der Verteidigung des Westufers des Flusses Dnipro in der Oblast Cherson beteiligt gewesen sein.

Russische Truppen hatten sich aus Cherson zuletzt zurückgezogen, nachdem die Ukraine eine erfolgreiche Gegenoffensive startete. Am 11. November wurde die Stadt befreit.

Auch die WDW-Einheiten seien "stark geschwächt".

Wie das britische Verteidigungsministerium weiter berichtet, sollen WDW-Einheiten möglicherweise durch mobilisierte Reservisten verstärkt worden sein. "Obwohl dieses schlecht ausgebildete Personal die vermeintlichen Elitefähigkeiten der WDV verwässern wird, wird Russland diese Einheiten wahrscheinlich weiterhin in Bereichen einsetzen, die als besonders wichtig erachtet werden", heißt es in dem Bericht der Briten.

"Zu den möglichen operativen Aufgaben der WDW gehören die Unterstützung der Verteidigung des Gebiets Kreminna-Swatove im Gebiet Luhansk oder die Verstärkung der Offensivoperationen gegen die Stadt Bakhmut im Gebiet Donezk."

Russische Reservisten beklagen extrem schwierige Bedigungen

Ebenfalls aus der Ostukraine, in Baraniwka unweit der russischen Grenze, meldete sich eine Einheit russischer Reservisten mit einem verzweifelten Video an die Öffentlichtkeit, um auf die erbärmlichen Verhältnisse aufmerksam zu machen, unter denen sie leiden - und ein Lebenszeichen zu senden.

Der Zeitpunkt der Aufnahme ist nicht genannt.

Wir wurden hier unserem Schicksal überlassen und wir kommen hier entweder lebend raus oder tot.

In dem Video sagen die Männer, sie stammten aus Serpuchow, etwa 90 km südlich von der russischen Hauptstadt Moskau und gehörten zum 1823. Bataillon. Sie hätten die Heimat am 7. November Richtung Ostukraine verlassen. Sie seien alle am Leben, nicht in Gefangenschaft und hätten sich auch nicht ergeben. Allerdings hätten sie keinerlei Anweisungen und seien von Befehlshabern im Stich gelassen worden.

Die wenige Ausrüstung, über die sie verfügten, sei veraltet und sei nicht dazu geeignet, sich zu schützen. Helme würden bei einem Messerstich zerfallen.

"Die Männer sind gerade unter Schock, denn wir wissen nicht, was unsere Hauptaufgabe ist", sagt einer der Soldaten. Hinter ihm steht eine Gruppe von etwa 40 Männern in Uniform.

Das Video mit englischen Untertiteln, die von russischsprachigen Journalisten bei Euronews überprüft wurden.

Ein zweiter Soldat ergreift das Wort und sagt, die Einheit sei in einem Wald umhergerirrt und dabei unter Beschuss von anderen russischen Gruppen geraten. Dabei seien die Bataillonskommandanten "weggerannt", berichtet er.  

Jetzt habe man sie zu dem Gebäude, vor dem sie stehen und das keine Fenster hat, gebracht. Auch Nahrung und Elektrizität gebe es nicht. Was als nächstes mit ihnen geschehe, wüssten sie nicht. "Die Oberbefehlshaber haben uns vergessen". Auch den Kommandanten, der sie per Zug in die Ukraine begleitete, hätten sie seither nicht wieder gesehen. "Wir wurden unserem Schicksal überlassen und wir kommen hier entweder lebend raus oder tot."

"Wir wurden hier wie ein Stück Fleisch entsorgt, das vom Feind zerfleischt wird. Die Position, in der wir uns befinden wird als 'Hackfleisch' bezeichnet."

Gegen Ende der Aufnahme sagt einer der Soldaten, sie würden zurück nach Russland gehen, um das Problem auf "höherer Ebene" zu lösen, auf ihre Lage aufmerksam zu machen und um Gerechtigkeit zu erlangen.

Chaotische Teilmobilmachung - laut Putin letztendlich erfolgreich

Schon kurz nach Beginn der Teilmobilmachung, die Russlands Präsident Wladimir Putin am 21. September überraschend bekanntgab, war von fehlender Ausrüstung und Vorbereitung der sogenannten "Mobik" berichtet worden.

Zudem wurden offenbar fälschlicherweise auch Männer einberufen, die aufgrund von chronischen Krankheiten oder hohen Alters eigentlich nicht kämpfen müssten.

Die russische Regierung entschuldigte sich für die "Fehler" und versprach, sie zu korrigieren. 

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In einem Video, das sich in sozialen Medien verbreitete, wurden Soldaten unter anderem angewiesen, Tampons und Binden einzupacken für ihren Dienst an der Front, um damit Wunden zu versorgen.

Rund einen Monat nach der Ankündigung der Teilmobilisierung, lobte Putin die Aktion, durch die 318.000 Menschen Russland zufolge einberufen wurden oder sich freiwillig meldeten.

Weitere Quellen • UK FM

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