Sind Lawinen häufiger und gefährlicher geworden?

Eine Einheit der Hochgebirgspolizei (PGHM) entsendet einen Hubschrauber während einer Such- und Rettungsübung bei Brienson in den französischen Alpen, 16. März 2023
Eine Einheit der Hochgebirgspolizei (PGHM) entsendet einen Hubschrauber während einer Such- und Rettungsübung bei Brienson in den französischen Alpen, 16. März 2023 Copyright NICOLAS TUCAT/AFP or licensors
Von Knarik Papoyan
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Sind Lawinen jetzt häufiger? Sind sie stärker? Diese und andere Fragen haben wir mit Dr. Benjamin Zweifel vom Eidgenössischen Institut für Schnee- und Lawinenforschung diskutiert.

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Unter den sechs Todesopfern eines Lawinenabgangs in den französischen Alpen waren auch erfahrene Bergführer. Die Lawine ging auf dem Armancette-Gletscher nieder. 

Die Wetterbedingungen in der Region waren an diesem Wochenende günstig, und der nationale Wetterdienst Meteo France gab keine Lawinenwarnung heraus, sondern stufte das Risiko als "begrenzt" ein, so François Barbier, Bürgermeister der Gemeinde Contamine-Monjois. 

Auch die Skibedingungen seien "gut" gewesen.

Was sind die Ursachen von Lawinen?

Lawinen sind ein gefährliches Naturphänomen, das in ganz Europa verbreitet ist. Mehrere Faktoren müssen zusammenkommen, um eine Lawine auszulösen.

ROBERTO SCHMIDT/AFP
Dieses Foto vom 25. April 2015 zeigt eine durch ein Erdbeben ausgelöste Wolke aus Schnee und Geröll im HimalayaROBERTO SCHMIDT/AFP

Zunächst muss sich eine große Schneemenge auf der Piste ansammeln. Und dann bricht diese Masse durch starken Schneefall, aktives Tauwetter oder Niederschlag entweder spontan weg und stürzt ab oder es kommt zu einem Schneerutsch. 

Jede, oft auch nur leichte Erschütterung, die sogar durch ein lautes Geräusch oder die Abfahrt eines Skifahrers ausgelöst werden kann, reicht aus, um eine Lawine loszutreten.

Auch starke Windböen oder steigende Temperaturen können Lawinen auslösen.

Häufigkeit von Lawinenabgängen

Italienische Rettungskräfte gaben bekannt, dass sie die Leichen von drei Personen gefunden haben, die nach einem Lawinenabgang auf der Pointe de la Golette in der Region Tignes an der Grenze zu Frankreich vermisst wurden. Der Bergführer der Gruppe konnte sich aus der Lawine befreien und sich den Rettungskräften anschließen, die die Suche leiteten.

Die Pointe de la Golette liegt auf 3100 m Höhe an der Grenze zwischen Savoyen und dem Aostatal.

STR/AFP
Eine Straße wird am 8. Dezember 2020 in Lienz, Osttirol, gesperrt, nachdem starke Schneefälle zu Lawinengefahr und Verkehrsbehinderungen geführt haben.STR/AFP

Treten Lawinen jetzt häufiger auf? Sind sie stärker? Spielt das Wetter oder der Klimawandel eine Rolle? Über diese und andere Fragen haben wir mit Dr. Benjamin Zweifel vom Eidgenössischen Institut für Schnee- und Lawinenforschung gesprochen. "Betrachtet man die europäischen Alpen, so gibt es im Durchschnitt etwa 100 Todesfälle durch Lawinen pro Jahr. Und dieser Durchschnitt ist in den letzten Jahrzehnten ziemlich stabil geblieben", sagt der Wissenschaftler. "Die Zahl der Unfälle ist parallel zur Entwicklung des Skitourismus, des Skifahrens, des Freeridens und all dieser Sportarten stark angestiegen. Aber das war vor vielen Jahren, in den 70er- und 80er-Jahren, aber seit mehr oder weniger 20 oder 30 Jahren ist die Situation, wie gesagt, relativ stabil geblieben."

Welche Rolle spielt der Klimawandel?

Beeinflussen bestimmte Wetterbedingungen die Häufigkeit und Stärke von Lawinenabgängen? Und welche Rolle spielt der Klimawandel?

"Eine Lawine ist das Ergebnis der Wetterbedingungen der vergangenen Tage oder Wochen und kein klimatisches Phänomen. Die Elemente sind also genau dieselben wie vor 100 Jahren. Lawinen haben die gleiche Form, die gleiche Größe. Es handelt sich also um etwas, das sich durch den Klimawandel nicht verändert. Was sich jedoch geändert hat, ist Folgendes. Die Temperaturen sind gestiegen, und Lawinen ereignen sich jetzt in höheren Lagen. Wir können sagen, dass es in 1500 Metern Höhe fast keine Lawinen gibt, weil dort fast kein Schnee liegt. Aber wir sehen Lawinen in höheren Lagen, und das ist das Neue durch den Klimawandel", meint Zweifel.

FABRICE COFFRINI/AFP
Bagger beseitigen den Schnee an der Stelle, an der eine Lawine die Gleise der Brig Visp Zermatt Bahn verschüttet hat, am 10. Januar 2018 in den Schweizer AlpenFABRICE COFFRINI/AFP

Sicherheitsvorkehrungen: Tipps vom Experten

Wie kann man sich in den Bergen so sicher wie möglich verhalten?

Ratschläge von Benjamin Zweifel:

  • Das Wichtigste ist, gut über die Situation in den Bergen und die Lawinengefahr informiert zu sein.
  • Der zweite Punkt ist, die richtige Wahl der Route und des Berges zu treffen. 
  • Und drittens: Wenn man keine Ahnung von der Lawinengefahr und deren Einschätzung im Gelände hat, ist es besser, einen professionellen Bergführer zu fragen, der weiß, wo man am sichersten ist.

Lawinenkatastrophen in den Alpen: eine Chronik

  • Eine der bedeutendsten beschreibt der römische Historiker Polybius (2. Jahrhundert v. Chr.). Als die Karthager die Alpen überquerten, kam ein Teil des Heeres des Feldherrn Hannibal in einer Lawine ums Leben.
  • Während des Ersten Weltkriegs (1915-1918) kamen an der österreichisch-italienischen Front in den Tiroler Alpen zwischen 40.000 und 80.000 Menschen ums Leben.
  • Am 13. Dezember 1916, nach neun Tagen mit Schneefall, gingen Dutzende von riesigen Lawinen in der alpinen Kriegsfront nieder, auch an Orten, die bisher eigentlich als sicher gegolten hatten. Ganze Kompanien wurden verschüttet. Nach neuesten Schätzungen fielen an diesem Tag bis zu 5000 Soldaten den Lawinen zum Opfer. Das erste Bataillon des Kaiserschützenregiments Nr. III zum Beispiel hatte an diesem Tag 230 Tote zu beklagen und an der Marmolata, dem höchsten Berg der Dolomiten, riss eine einzige Lawine zwischen 270 und 332 Männer in den Tod.
  • Januar 1954: Im österreichischen Bundesland Vorarlberg werden durch Lawinenabgänge 125 Menschen getötet.

April 1970: Auf dem Plateau d'Assy in den Savoyen sterben 74 Menschen - darunter 56 Kinder - unter den Schneemassen einer Lawine.

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  • Januar 1982: Eine Gruppe von Berchtesgadener Schülern wird beim Skifahren an einem Hang im Tennengebirge im Salzburger Land von einer Lawine verschüttet. Zehn Schüler und drei Begleiter, darunter der Bergführer, können nur noch tot geborgen werden, vier Schüler überleben.
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