Bootsunglück vor Griechenland: Verstrickt sich die Küstenwache in Widersprüchen?

Blanca Castro analysiert Widersprüche nach dem Untergang des Fischerbootes mit Migranten vor der griechischen Küste
Blanca Castro analysiert Widersprüche nach dem Untergang des Fischerbootes mit Migranten vor der griechischen Küste Copyright Euronews
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Von Blanca Castro
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Tracking-Daten zufolge blieb das Flüchtlingsboot vor dem Unglück vor der griechischen Küste stundenlang reglos im Wasser liegen. Eine Version, die den Berichten der griechischen Küstenwache widerspricht.

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Die Lokalisierung der Schiffe, die an der Rettung des Seenot geratenen Fischerboots im Mittelmeer beteiligt waren, können Hinweise darauf geben, was sich bei der Tragödie im Mittelmeer wirklich abgespielt hat. Am Mittwoch, den 14. Juni war das Boot, das mit mehr als 700 Menschen an Bord heillos überfüllt war, etwa 75 Kilometer südwestlich der griechischen Halbinsel Peloponnes in den Tiefen des Ionischen Meeres gesunken. 

Laut einer BBC-Recherche blieb das Boot mit rund 700 Migranten an Bord mehr als sieben Stunden reglos auf dem Wasser, bevor es sank. Dies steht im Widerspruch zur Version der griechischen Küstenwache, die behauptet, das Boot sei auf dem Weg nach Italien gewesen und habe nicht gerettet werden müssen.

Sehen wir uns die Chronologie des Untergangs an und decken die Unstimmigkeiten zwischen den beiden Versionen auf:

Dienstagmorgen, 13. Juni:

08:00 Uhr morgens: FRONTEX, die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache meldet die erste Sichtung des Fischkutters und alarmiert die griechischen Behörden.

12.17 Uhr erhält die gemeinnützige Organisation Alarm Phone den ersten Notruf und informiert die griechischen Behörden, dass die humanitäre Lage an Bord äußerst ernst ist.

15.00 Uhr: Nach Angaben der BBC nähert sich ein Schiff namens "Lucky Sailor" dem Boot. Dessen Besitzer teilte den britischen Medien mit, dass die Küstenwache ihn gebeten habe, die Migrant:innen mit Lebensmitteln und Wasser zu versorgen.

15.35 Uhr: Minuten später macht ein Hubschrauber der Küstenwache eine visuelle Erkundung des Gebiets und bestätigt, wenn man genau hinhört, dass sich das Boot immer noch mit gleichmäßiger Geschwindigkeit bewegt.

Gegen 18:00 Uhr steuert ein weiteres Boot mit dem Namen "Faithful Warrior" dasselbe Gebiet wie die "Lucky Sailor" an, ebenfalls, um Nahrungsmittel zu liefern. Dies deutet darauf hin, dass sich das Boot mit den Migrant:innen seit mehr als zwei Stunden nicht mehr bewegt hat.

Trotzdem verteidigt die Küstenwache ihre Version und erklärt, dass das Fischerboot zwischen 19.40 Uhr und 22:40 Uhr seinen Kurs beibehalten habe und dass das griechische Patrouillenboot in dieser Zeit mehrmals Hilfe und Rettung angeboten habe, die Migrant:innen aber abgelehnt hätten.

20:40 Uhr: Das griechische Patrouillenboot näherte sich dem Migrantenboot und bot Hilfe an.

"Um 20:40 Uhr näherten wir uns bis auf 200 Meter", sagte der Kapitän des Patrouillenboots der Küstenwache der griechischen Tageszeitung Kathimerini. "Wir meldeten, dass wir bei Bedarf Hilfe leisten würden", fügte er hinzu.

Vom Schiff habe es jedoch keine Antwort gegeben, so dass das Patrouillenboot dem Fischerboot "in sicherer Entfernung" folgte.

20.45 Uhr: Der Kapitän berichtet, dass sich das Schiff "nicht mehr vorwärts bewegte", so dass das Patrouillenboot näher heranfuhr, um eine Sichtprüfung vorzunehmen und Hilfe anzubieten.

20.50 Uhr: Das Schiff der Küstenwache wirft eine Leine über den Bug des überfüllten Fischkutters.

23:40 Uhr: Schiffbruch: das Boot bewegte sich nicht mehr und beginnt zu kippen. In diesem Moment bricht unter den Passagieren das Chaos aus und verzweifelte Schreie sind zu hören. In weniger als einer Minute kenterte das Boot, so der offizielle Bericht der griechischen Behörden.

Die Route der Schiffe, die während des Schiffbruchs auf den Notruf der Küstenwache reagierten, widerlegt die offizielle Version.

Die von der BBC analysierten MarineTraffic-Daten zeigen, dass sich gegen 23.40 Uhr  mehrere Schiffe mit hoher Geschwindigkeit auf das untergehende Boot zusteuerten, das sich an demselben Punkt im Meer befand, den die "Lucky Sailor" um 15.00 Uhr und die "Faithful Warrior" um 18.00 Uhr angesteuert hatten, um dem Trawler Lebensmittel und Wasser zu liefern.

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Diese Website hat die Route der beiden Schiffe und die der Schiffe nach der Tragödie aufgezeichnet, da sie alle mit Ortungssystemen ausgestattet sind. Das Patrouillenschiff der Küstenwache erscheint nicht in der Aufzeichnung, da es für solche Schiffe nicht vorgeschrieben ist, ihren Standort in Echtzeit zu veröffentlichen. Auch das gesunkene Fischerboot war nicht mit einem Ortungsgerät ausgestattet.

Die britischen Medien haben ein Video des _MarineTraffic_-Trackings vom 13. Juni veröffentlicht, das die Position des Unglücksbootes und die Interaktion der Boote um das Schiff herum zeigt. Sie bestätigt die Chronologie, widerspricht aber der Version der griechischen Behörden, dass das Schiff "immer auf Kurs und ohne Probleme" geblieben sei. 

Sehen Sie sich das MarineTraffic-Video hier an:

Der Stillstand des Schiffes könnte auch auf ein mögliches mechanisches Versagen hinweisen, das die 700 Migranten an Bord in eine kritische Situation gebracht haben könnte.

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