Berlin, Babies und Grenzen: Themen, die Polens bevorstehende Wahl bestimmen

DATEI - Ein Anhänger der rechtsextremen polnischen Partei Konföderation hält ein Wahlkampfplakat eines Kandidaten in Kattowitz hoch, 23. September 2023.
DATEI - Ein Anhänger der rechtsextremen polnischen Partei Konföderation hält ein Wahlkampfplakat eines Kandidaten in Kattowitz hoch, 23. September 2023. Copyright Czarek Sokolowski/Copyright 2023 The AP. All rights reserved
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Von Joshua Askew
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Dieser Artikel wurde im Original veröffentlicht auf Englisch

Angesichts einer zunehmend angespannten Stimmung wirft Euronews einen Blick auf die wichtigsten Themen - und Krisenherde - im Vorfeld des entscheidenden Urnengangs in Polen.

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Polens Politiker machen große Versprechungen, und die Anhänger der Opposition strömen auf die Straßen - das kann nur eines bedeuten: Die Wahlen stehen vor der Tür.

Bei der entscheidenden Abstimmung am 15. Oktober wird die amtierende rechtspopulistische Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) gegen die liberale Bürgerplattform (PO) von Donald Tusk antreten, neben weiteren linken und rechten Parteien.

Die Politiker:innen kämpfen mit Händen und Füßen, aber was genau sind die wichtigsten Themen - und Krisenherde -, die den Wahlkampf bisher geprägt haben?

1. Sicherheit

Schon vor Beginn des Wahlkampfs war die Sicherheit eines der wichtigsten Themen in der polnischen Politik, da das Land Grenzen mit Weißrussland und der Ukraine hat.

Die PiS-Führung hat versprochen, die Militärausgaben zu erhöhen und eine der stärksten Armeen in Europa aufzubauen und betonen die Gefahr eines Übergreifens des russischen Krieges in der Ukraine auf ihr Land.

Die populistische Partei ist "natürlich sensibler" für dieses Thema, weil ihre Basis im Osten und Süden Polens an der Grenze zu Weißrussland und der Ukraine liegt, sagt Wojciech Przybylski, ein politischer Analyst bei Visegrad Insight.

Aber die Opposition misst den Sicherheitsbedenken die gleiche Bedeutung bei, fügt er hinzu.

Andere Beobachter gehen noch weiter und behaupten, die PiS übertreibe die Unsicherheit absichtlich, um die Wahl zu beeinflussen.

"Sie versuchen vor allem, mit den Ängsten der Menschen zu spielen", erklärt Filip Pazderski, Leiter des Programms für Demokratie und Zivilgesellschaft am Polnischen Institut für Öffentliche Angelegenheiten: "Der Krieg hilft der Regierungspartei, weil sie sich hinter der Flagge versammelt."

Teil dieser Bedrohungswahrnehmung ist die Vorstellung, dass Polen "von Fremden überfallen wird", fährt er fort und verweist auf die seit langem andauernde Migrationskrise des Landes mit Weißrussland.

Agnieszka Sadowska/Copyright 2023 The AP. All rights reserved
Mitglieder einer Gruppe von etwa 30 Asylsuchenden am 28. Mai 2023 in Bialowieza, Polen.Agnieszka Sadowska/Copyright 2023 The AP. All rights reserved

"Sie verwenden Bilder von Flüchtlingen, die das Mittelmeer überqueren, oder von Unruhen in Frankreich, um zu behaupten, dass genau das passieren werde, wenn die Pol:innen für die Opposition stimmen."

Die Anti-Migranten- und Flüchtlingsrhetorik wurde quer durch das politische Spektrum geäußert, wobei Tusk in einem in den sozialen Medien geposteten Clip schwor: "Die Pol:innen müssen die Kontrolle über dieses Land und seine Grenzen zurückgewinnen".

2. Die EU (alias: Beziehungen zu Berlin)

Im Mittelpunkt der Debatten im Vorfeld der Wahlen standen die Beziehungen Polens zur Europäischen Union (EU), insbesondere zu ihrer wichtigsten Macht Berlin.

Seit ihrem Amtsantritt im Jahr 2015 hat die PiS einen autoritären Kurs eingeschlagen und die Rechtsstaatlichkeit untergraben, was sie in Konflikt mit Brüssel gebracht hat.

Die Bürgerplattform unter der Führung von Tusk, einem ehemaligen Präsidenten des Europäischen Rates, ist entschieden pro-europäisch und sieht in der EU die beste Möglichkeit, die zukünftige Sicherheit und den Wohlstand des Landes zu garantieren.

Er hat vorgeschlagen, die Aushöhlung der Rechtsstaatlichkeit rückgängig zu machen, um eingefrorene EU-Mittel in Milliardenhöhe freizugeben - ein willkommener Schub für Warschaus Kassen.

Im Gegensatz dazu schürt die PiS antideutsche Stimmungen und vertritt eine isolationistische Haltung, sagt der Analyst Przybylski.

"Sie nutzen das Misstrauen der älteren Wählerschaft gegenüber Deutschland aus... Die PiS stellt die Opposition als Erfüllungsgehilfen Berlins dar, die angeblich den Zweiten Weltkrieg wiederholen wollen, in dem Deutschland und Russland Polen angreifen."

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"Das sind lächerliche Behauptungen", fügt er hinzu.

Polens De-facto-Regierungschef, der stellvertretende Premierminister Jarosław Kaczyński, hat Tusk wiederholt vorgeworfen, den Verkauf staatlicher Unternehmen an deutsche Investoren zu planen und ihn als Handlanger Berlins bezeichnet.

3. Ukraine

Fragen zur Ukraine haben im Wahlkampf eine wichtige Rolle gespielt.

Als ehemaliger Satellitenstaat der Sowjetunion hat sich Polen schnell hinter Kiew gestellt, als im Februar 2022 russische Panzer über die Grenze fuhren.

Das Land nahm Hunderttausende ukrainischer Flüchtlinge auf und leistete umfangreiche militärische und finanzielle Unterstützung.

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Seitdem haben sich die Beziehungen jedoch verschlechtert, und Warschau erklärte im September, dass es keine Waffen mehr an Kiew liefern werde.

Polens extreme Rechte - die an Popularität gewinnt - hat versucht, die Feindseligkeit gegenüber ukrainischen Flüchtlingen zu schüren, während polnische Landwirte gegen billige ukrainische Getreideimporte protestiert haben, die das Land überschwemmen, was zu dem Politikwechsel beigetragen hat.

Efrem Lukatsky/Copyright 2022 The AP. All rights reserved
Ein LKW entlädt Getreide in einem Getreidespeicher im Dorf Zghurivka, Ukraine, am 9. August 2022.Efrem Lukatsky/Copyright 2022 The AP. All rights reserved

"Die PiS versucht, zusätzliche Stimmen zu gewinnen, weil sie keine Gewissheit hat, eine Mehrheit wie bei früheren Wahlen zu erlangen", so Przybylski, "Sie versucht, diese [Flüchtlings-]Karte zu spielen, die zu ihrem Isolationismus und Nationalismus passt."

Die Anhänger der beiden großen Parteien seien jedoch mit überwältigender Mehrheit dafür, der Ukraine zu helfen, fährt er fort.

In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts IBRiS unter polnischen Wählern im September wurden Flüchtlinge als das am wenigsten wichtige von 12 sozialen Problemen genannt.

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"Ich denke, dass die Opposition eine gute Linie verfolgt. Sie sehen die Flüchtlinge als Herausforderung und sagen, dass sie wissen, wie man damit umgeht. Dass dieses Problem gelöst werden kann, anstatt es auszuspielen", argumentiert Przybylski.

4. Inflation

Wie in vielen anderen europäischen Ländern auch, wurde die Sorge über die explodierenden Preise für lebenswichtige Güter wie Lebensmittel und Energie heftig diskutiert.

"Die Inflation ist sehr, sehr wichtig", sagt Pazderski, "früher war sie sogar noch wichtiger, aber in letzter Zeit hat sie etwas weniger Bedetung."

"Die Opposition wird dies nutzen, um die derzeitige Regierungsmehrheit anzugreifen und zu behaupten, dass es ihre Schuld sei", fährt er fort.

Die PiS hat den Preisanstieg auf externe Ereignisse wie den Krieg in der Ukraine und die Umweltpolitik der EU zurückgeführt und damit versucht zu suggerieren, dass das Problem außerhalb ihrer Kontrolle liege, so der Experte.

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Steigende Preise wurden in der IBRiS-Umfrage vom September als das zweitwichtigste Problem der Polen genannt.

Im vergangenen Monat sank die polnische Gesamtinflationsrate auf 8,2 Prozent im Jahresvergleich und lag damit unter den Erwartungen der Analysten, die von 8,5 Prozent ausgegangen waren, so die Einschätzung der staatlichen polnischen Statistikbehörde GUS.

Es ist das erste Mal, dass die Inflationsrate seit dem Ausbruch der Kämpfe in der Ukraine unter 10 Prozent gefallen ist, und es ist der niedrigste Stand seit Ende 2021.

5. Sozialpolitik

Auch wenn sie vielleicht weniger im Vordergrund stehen als andere Themen, stehen soziale Fragen durchaus auf der Tagesordnung.

Angesichts der Überalterung der Bevölkerung wurden die Renten heftig diskutiert, ebenso wie die Politik des "Kinderkriegens", etwa die staatliche Unterstützung für Familien mit Kindern, so Przybylski.

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Polen steht vor einer enormen demographischen Herausforderung, da das Bevölkerungswachstum seit Anfang der 2000er Jahre stagniert. 

Die PiS hat versprochen, ihr 2016 eingeführtes und sehr beliebtes Kindergeldprogramm "500+" auszuweiten. So sollen polnische Familien ab dem kommenden Januar eine um 60 Prozent höhere Zahlungen erhalten.

Laut Przybylski hat die Bürgerplattform, ein politisches Sammelbündnis, den Schwerpunkt auf Maßnahmen zur Verbesserung der Gesundheit gelegt hat. Eine weitere Idee, die sie ins Spiel gebracht haben, ist die Gewährung direkter Zuschüsse für Großeltern, die zu Hause bleiben und sich um Kleinkinder kümmern wollen.

"Aber die Hauptbotschaft der PO ist, dass sie die negativen Emotionen und die toxische Energie abbauen will, die zu so viel Polarisierung und Hass gefüht haben", so Pazderski abschließend.

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