Der Schatz von Vareš

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Von Hans von der BrelieSabine Sans
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Strategische Metalle sind wichtig für die Europäische Union, die versucht, ihre Abhängigkeit von chinesischen oder russischen Rohstoffen zu verringern. Doch ein Vorzeigeprojekt in Bosnien-Herzegowina sorgt für Unmut bei Umweltschützern.

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In wenigen Wochen soll das Untertagebergwerk Vareš in Bosnien-Herzegowina in Betrieb genommen werden. Dann könnten Silber, Gold, Blei, Zink, Kupfer, Antimon und andere Metalle aus dem Muttergestein gewonnen werden. Diese strategischen Metalle sind wichtig für die Europäische Union, die versucht, ihre Abhängigkeit von chinesischen oder russischen Rohstoffen zu verringern. Die Silbermine, eine 200-Millionen-Euro-Investition, ist wichtig für die Wirtschaft Bosnien-Herzegowinas. Doch es zeichnet sich ein Problem ab: Umweltschützer haben beim Sekretariat der Berner Konvention, einem beim Europarat angesiedeltes Organ, das über die Einhaltung der Internationalen Konvention zum Schutz der Artenvielfalt wacht, Beschwerde eingelegt. Euronews hat seinen Reporter Hans von der Brelie in die bosnischen Berge geschickt, um zu sehen, was dort vor sich geht.

Um in die Vareš-Silbermine einzufahren, brauche ich ein Atemschutzgerät und ein spezielles Sicherheitstraining. Jimmy aus Neuseeland nimmt mich mit in die Grube. Er hat 26 Jahre Berufserfahrung: Australien, Mongolei, Burkina Faso, Indonesien, Demokratische Republik Kongo... und jetzt ist er eben in Bosnien-Herzegowina und arbeitet für Adriatic Metals, ein britisches Bergbauunternehmen: "Die Mineralien hier sind gut für das Land, und die Menschen hier vor Ort werden davon profitieren, da bin ich mir sicher", sagt Jimmy.

Jimmy aus Neuseeland hat Grubenerfahrung
Jimmy aus Neuseeland hat Grubenerfahrungeuronews

Größtes Bergbauprojekt in Bosnien-Herzegowina

Jährlich sollen 800.000 Tonnen Mineralien gefördert werden. Es handelt sich um das derzeit größte Bergbauprojekt in Bosnien-Herzegowina, das 25 Prozent der ausländischen Direktinvestitionen im Land ausmacht. 

Ich habe einen Termin mit Marko. Die Männer und Frauen seines Geologenteams sind die "Schatzsucher" des Unternehmens. Der 29-jährige Marko hat bereits Hunderte von Bohrkernen analysiert, die meisten von ihnen voller Metalle. Vor einem Jahr errechnete er noch rund 12 Millionen Tonnen Erzvorkommen. Das neueste Update von heute: Der Schatz dort unten wiegt 22,5 Millionen Tonnen, fast das Doppelte!

Marko Matić führt mich durch das Labor: "Das ist das Wirtsgestein der Rupice-Lagerstätte in Vareš. Es enthält die Sulfite mit Silber, Gold, Kupfer, Zink, Blei und Antimon  - mit sehr hohen Gehalten der einzelnen Elemente."

Geologe Marko Matić zeigt sein Labor
Geologe Marko Matić zeigt sein Laboreuronews

Chief Operating Officer Matthew Hine aus Australien ist stolz auf seine glänzende neue Anlage, in der Silber-, Blei- und Zinkkonzentrate aufbereitet werden sollen.

Chief Operating Officer Matthew Hine ist stolz auf seine Arbeit
Chief Operating Officer Matthew Hine ist stolz auf seine Arbeiteuronews

Die Arbeiter sind noch dabei, Rohre mit leuchtend gelben und blauen Farben zu streichen, Metallstangen zu befestigen und ein ausgeklügeltes Wasseraufbereitungssystem mit geschlossenem Kreislauf fertigzustellen. Funken von Schweißarbeiten fliegen durch die Luft, Stimmen, Geräusche schwerer Maschinen ringsum.

Vorzeigeprojekt ?

Die Mine ist eine Investition von 200 Millionen Euro. Wenn der Betrieb erst einmal angelaufen ist, wird die Mine mehr als zwei Prozent zum bosnischen BIP beitragen. Der Start ist für Anfang 2024 geplant. 

"Wir sehen die jüngste Gesetzgebung der EU zur internen Beschaffung von wichtigen Rohstoffen als Anerkennung der Notwendigkeit, dass Europa in dieser Beziehung künftig unabhängiger sein muss", sagt Adriatic-Metals-COO Hine mit einem breiten Lächeln. "Bosnien-Herzegowina spielt in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle. Das von uns produzierte Konzentrat, das nach ganz Europa verfrachtet wird, enthält alle Metalle, die für eine grüne und saubere Energie-Wende wichtig sind."

Ein paar Kilometer weiter überquert eine riesige, historische Eisenbahnbrücke ein bewaldetes Gebirgstal. Arbeiter sind dabei, die Gleise zu erneuern. Die strategischen Metalle aus Vareš werden für die Energie-Wende in Europa benötigt: für Solarzellen, Elektrofahrzeuge, Ladestationen, Windkraftanlagen.

Die Metallkonzentrate werden von Vareš zu einem Exporthafen in Kroatien transportiert. Von dort aus geht es weiter zu Metallhütten in Deutschland, Skandinavien und anderen, hauptsächlich westeuropäischen Ländern.

Geopolitisch gesehen passt die bosnische Mine perfekt in die Bemühungen der EU zur Sicherung strategischer Rohstoffe. Bosnien-Herzegowina möchte Mitglied der Europäischen Union werden, beide Seiten versuchen, die Zusammenarbeit zu beschleunigen und arbeiten an engeren Wirtschaftsbeziehungen und verbesserten Verkehrsverbindungen. 

Protest gegen die Mine

Doch eine Bergkette weiter, in der Nachbarstadt Kakanj, regt sich Protest. Hajrija Čobo ist Englischlehrerin und hat Umweltrecht studiert. Sie wirft dem Bergbauunternehmen vor, bei den Umweltverträglichkeitsstudien mit Tricks zu arbeiten und ein britisches Institut beauftragt zu haben, das angeblich über keine Lizenz für die Arbeit in Bosnien-Herzegowina verfügt. "Diese zweite Studie ist in unserem Land praktisch illegal. Sie ist von keiner Behörde in diesem Land genehmigt", sagt sie, während sie mit ihrem Auto bergauf in Richtung der Bergtäler fährt.

Hajrija Čobo ist Englischlehrerin und hat Umweltrecht studiert
Hajrija Čobo ist Englischlehrerin und hat Umweltrecht studierteuronews

Hajrija Čobo reichte eine Beschwerde beim Europarat ein, beim Büro der Berner-Konvention. Das Büro ist für den Schutz der Artenvielfalt zuständig. Auch außerhalb des Konzessionsgebiets werde gebaut, sagt Čobo, beispielsweise Zubringerstraßen zur Silbermine. Davon sind Gebirgsbäche beinträchtigt. Und es wurden außerhalb des Lizengebietes Bäume gefällt. Čobo zeigt auf eine gelbe Baumaschine, die dumpf dröhnend bergab kriecht: "Das sind Arbeiten im Flussbett, das in der Wasser-Schutzzone 2 liegt, wo solche Bauarbeiten streng verboten sind. Und sie tun es trotzdem. Alles, was sie machen, kommt in meinen Wasserhahn. Soll ich das etwa trinken?"

Auf dem Rücksitz ihres Autos hat sie ein paar große Plastikkanister. Sie kennt eine noch unberührte Wasserquelle, wo sie die Behälter auffüllt. Das ist ihr Trinkwasser, das sie zu Hause verwenden wird. "Die Regierung gefährdet das Leben von mindestens 40 000 Menschen in meiner Stadt", behauptet Čobo. "Um des Profits eines britischen Unternehmens willen und um ein paar hundert Menschen zu beschäftigen. Wisst ihr, wie man das nennt? Es ist Neokolonialismus."

Čobo selbst ein einfaches Testgerät gekauft und prüft die Verschmutzungswerte in einem Bach
Čobo selbst ein einfaches Testgerät gekauft und prüft die Verschmutzungswerte in einem Bacheuronews

Die offiziellen Grenzwerte für Trinkwasser sind völlig in Ordnung. Trotzdem hat sich Čobo selbst ein einfaches Testgerät gekauft und prüft die Verschmutzungswerte in einem Bach, der aus der Richtung der Silbermine kommt: "Ich messe Partikel im Wasser, und was wir hier haben, sind Werte um 210 bis 230. Vor dem Abbau lag der Wert in diesem Bach bei 25."

Das zentrale Problem ist das angebliche Vorhandensein von Schwermetallen. Es ist nicht das erste Mal, dass Čobo hier Proben nimmt. Sie hat die alten Teststreifen aufbewahrt. Heute gibt es eine Überraschung: "Das ist ein gutes Ergebnis", lächelt Čobo. "Ich bin sehr zufrieden mit dem Ergebnis. Nur das Chrom zeigt ein bisschen Farbe. Aber in der Vergangenheit waren Chrom, Brom und Chlor zu sehen." Ihre Schlussfolgerung, die im Widerspruch zu allen offiziellen Wassertests steht: "Es ist nicht sauber, nicht zum Trinken geeignet, nicht mehr."

Nun hat der Europarat reagiert. Das Büro der rechtsverbindlichen Berner Konvention fordert die Regierung von Bosnien-Herzegowina auf, die Bergbauaktivitäten vorerst einzustellen, bis die Vorwürfe geklärt sind. Die Regierung wird aufgefordert, der Berner Konvention bis spätestens zur kommenden Frühjahrssitzung des Sekretariats einen offiziellen Bericht vorzulegen, um zu klären, ob die Mine die biologische Vielfalt gefährdet.

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Die Nachhaltigkeitsmanagerin von Adriatic Metals, Vildana Mahmutović, weist alle Vorwürfe zurück: "Es ist sehr weit weg von unseren unterirdischen Bergbauaktivitäten. Alle Studien sind ziemlich sicher, dass eine Wasserbarriere dazwischen liegt, sodass unser Untertagebau-Wasser die Wasserversorgung auf der gegenüberliegenden Seite des Hügels nicht beeinträchtigen wird."

Vildana Mahmutović weist Umweltverstöße zurück
Vildana Mahmutović weist Umweltverstöße zurückeuronews

Speziell zum Thema Schwermetalle gibt Mahmutović eine interessante Erklärung ab: _"Schwermetalle sind vorhanden im Wasser, aber unter den Grenzwerten, und der Schlüssel zum Verständnis der Problematik ist Folgendes: Wir beobachten das seit drei Jahren, also bereits bevor wir mit unseren Aktivitäten begonnen haben. Das Vorhandensein von Schwermetallen in diesem Wasser erklärt sich aus den natürlichen Gegebenheiten (der geologischen Gesteinsformationen bei) Vareš." Das ergibt Sinn, wenn man bedenkt, dass die natürlichen Wirtsgesteine in der Umgebung seit der Römerzeit dafür bekannt sind, reich an Erzen aller Art zu sein.

Ein anderes Bergbauunternehmen, "Rio Tinto", ist mit seinem Projekt einer Lithiummine im benachbarten Serbien gegen die Wand gefahren. Massive Proteste veranlassten die Behörden, ihre Haltung zu ändern und das große Bergbauprojekt zu stoppen. Aus diesem Grund wählt Adriatic Metals mit seinem Silberminenprojekt in Bosnien nun einen anderen Ansatz: Das Unternehmen investiert massiv in Kommunikation, Transparenz, enge Zusammenarbeit mit den lokalen Interessenvertretern und in strenge Umweltschutzmaßnahmen, einschließlich teurer moderner Umweltschutzprogramme.

Eine "grüne Mine" ist möglich

Vildana Mahmutović zeigt mir die im Bau befindliche Wasseraufbereitungsanlage: "Dies ist der erste Standort einer Aufbereitungsanlage in der Bergbau-Geschichte des Landes, der einen geschlossenen Wasserkreislauf haben wird, worauf wir sehr stolz sind. Auch wenn wir nicht in der Europäischen Union sind, wollen wir ein europäisches Bergwerk, das allen europäischen Rechtsvorschriften und internationalen Konventionen entspricht: Es ist möglich, ein 'grünes Bergwerk' zu haben."

Die Stadt Vareš hat eine jahrhundertealte Bergbaugeschichte. Schon die Römer suchten in den Bergen rund um Vareš nach Erzen. Als die Region Teil des österreichisch-ungarischen Kaiserreichs war, wurde die Industrialisierung vorangetrieben. Doch die prächtigen riesigen Backsteinbauten bröckeln. Teile von Vareš sind zu einer Ruinenlandschaft verkommen. 

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Vareš war und ist ein hübsches Städtchen
Vareš war und ist ein hübsches Städtcheneuronews

Dabei ist Vareš eigentlich eine ganz nette kleine Stadt. Einst lebten hier 22 000 Menschen. Heute sind es nur noch 8000. Der Zerfall Jugoslawiens, Bürgerkrieg, Kämpfe, Massaker, Vertreibungen, Flucht und wirtschaftlicher Niedergang haben Spuren hinterlassen: Verlassene Gebäude, zertrümmerte Dächer, von leeren Häusern gesäumte Straßen.

Heute geht es in Vareš wieder aufwärts, dank der neuen Erzmine hat sich das Budget der Gemeinde verdoppelt. Endlich gibt es Geld für dringend benötigte Infrastruktur: Brücken, Abfallentsorgung, Wärmedämmung und Gebäudesanierung.

Im Büro des Bürgermeisters macht sich Optimismus breit, da in letzter Zeit viele Neuankömmlinge oder Rückkehrer in die Gemeinde gekommen sind und die Zahl der Familien mit Kindern wächst. Der Bürgermeister von Vareš, Zdravko Marošević, gibt mir ein Beispiel: "Wir hatten letztes Jahr einen Kindergarten mit 18 Kindern, der wirtschaftlich kaum überleben konnte. Vor ein paar Monaten hatten sie bereits vier Klassen und 60 Kinder, aber die Zahl der Anmeldungen könnte im nächsten Jahr sogar auf 100 Kinder ansteigen.

Das war einfach eine tote Stadt und jetzt ist es eine lebendige Stadt mit Arbeitsplätzen, Arbeit und Ordnung."

Bürgermeister Zdravko Marošević ist stolz auf den Wiederaufschwung
Bürgermeister Zdravko Marošević ist stolz auf den Wiederaufschwungeuronews

Seit drei Jahren gibt es am Vareš-Gymnasium sogar wieder eine Bergbauklasse unter Tage, denn das Bergbauunternehmen stellt vor Ort ein. Schulleitung und Eltern sehen darin eine echte Chance für ihre Kinder.

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Am Abend treffe ich Marko wieder, den Geologen. Während der Kriegswirren verließ seine Familie die Region und zog nach Zagreb. Marko hat in Kroatien studiert. Dass er in seiner alten bosnischen Heimat Arbeit gefunden hat, kommt ihm fast wie ein kleines Wunder vor: "Es ist verrückt, unglaublich, ich konnte mir nicht vorstellen, dass ich hier arbeiten würde", sagt er mit einem breiten Lächeln, "aber es ist passiert. Ich konnte es nicht glauben."

Pizzabäcker Dario Dodik glaubt an eine blühende Zukunft
Pizzabäcker Dario Dodik glaubt an eine blühende Zukunfteuronews

Der Besitzer des Lokals, Pizzabäcker Dario Dodik, ist ebenfalls ein Rückkehrer. Als er von der neuen Mine hörte, gab er seinen sicheren Job in der Hauptstadt Sarajevo auf und baute mit eigenen Händen und 480 Ziegelsteinen einen Pizzaofen. Sein Restaurant- und Hotelbetrieb florieren: "Unter meinen Angestellten in meinem Restaurant sind fünf Rückkehrer aus der EU. Das sind einheimische Leute, die in der Tschechischen Republik und in Deutschland gearbeitet haben und jetzt hier bei mir arbeiten. Ich denke, wir stehen vor einer blühenden Zukunft."

Weitere Quellen • Fixer & Übersetzer: Asim Bešlija; Schnitt: Marie-Estelle Dieterle; Drohnen-Piloten: Anes Turkovic, Haris Rizvanovic (A.M.); Soundmix : Mathieu Ducheine; Produktion : Alice Vignon; Grafiken: Stéphane Bonhomme; Produktionsleitung: Sophie Claudet

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