Augenzeugen und Hilfsorganisationen im Gazastreifen berichten von einer Zunahme von Plünderungen. Menschenrechtsgruppen warnen, dass Hunger als "Kriegswaffe" eingesetzt werde.
Die katastrophale Versorgungslage im Gazastreifen durch die israelische Blockade treibt offenbar immer mehr Menschen dazu, Versorgungslager und Geschäfte zu plündern. Anwohner, Mitarbeiter von Hilfsorganisationen und interne Mitteilungen von Sicherheitskräften, die für humanitäre Organisationen arbeiten, berichten, dass bewaffnete und unbewaffnete Personen seit Mittwoch gewaltsam in Lagerhäuser, Bäckereien und Geschäfte eingedrungen seien.
Die Blockade besteht seit März, nachdem Israel den Waffenstillstand mit der Hamas beendet hatte. Sie hat das weiterhin dicht besiedelte Gebiet mit mehr als zwei Millionen Einwohnern in die größte humanitäre Krise seit Beginn des jüngsten Konflikts 2023 gestürzt.
Israel will mit den Restriktionen und militärischer Gewalt die Hamas dazu bringen, die verbleibenden 59 lebenden und toten Geiseln freizugeben, und die militante Infrastruktur der Organisation zerschlagen.
Der Hohe Kommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte hat bereits erklärt, dass der Entzug von Nahrungsmitteln für Zivilisten als Kriegstaktik ein Kriegsverbrechen darstellt.
Hilfsorganisationen haben davor gewarnt, dass die Zivilbevölkerung in Gaza kurz vor einer Hungersnot steht. Die Sorge wächst, dass die zunehmende Verzweiflung der Bewohner zum völligen Zusammenbruch der sozialen Ordnung führen könnte. Während des Krieges gab es schon zuvor Plünderungen, doch sehen die Hilfsorganisationen bei den Vorfällen dieser Woche eine deutliche Veränderung - sie seien chaotischer und reichten weiter in die städtischen Zentren hinein.
Plünderer suchen nach Lebensmitteln und medizinischen Gütern
Die jüngste Plünderungswelle begann am Mittwochabend in Gaza-Stadt, nachdem berichtet worden war, dass Lastwagen mit humanitären Hilfsgütern aus der südlichen Region im Norden angekommen waren. Ein Mitarbeiter einer Hilfsorganisation berichtete, dass bewaffnete Personen eine Bäckerei ins Visier genommen hätten, weil es Gerüchte gab, dass sich dort Lebensmittelvorräte befänden.
Als sich herausstellte, dass die Bäckerei leer war, plünderte die Gruppe eine Suppenküche einer internationalen Hilfsorganisation im al-Schati-Flüchtlingslager, wie aus einem Sicherheitsbericht hervorgeht.
Das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) meldete, dass seine Mitarbeiter am Mittwoch in Sicherheit seien, nachdem tausende Menschen in seine Außenstelle in Gaza-Stadt eingedrungen seien und medizinische Hilfsgüter gestohlen hätten. Louise Wateridge, eine leitende Mitarbeiterin des UNRWA, beschrieb die Plünderungen als "das direkte Ergebnis unerträglicher und anhaltender Entbehrungen".
Die Plünderungen hielten bis in die Nacht zum Freitag an. Nach Angaben von drei Zeugen drangen Dutzende bewaffneter Männer in mindestens zwei UN-Lagerhäuser ein und überwältigten die Polizei und das örtliche Wachpersonal, die mit dem Schutz der Lagerhäuser beauftragt waren. Die Lagerhäuser waren bereits vor den Einbrüchen weitgehend geleert.
"Es waren organisierte Banden", versichert Ahmed Abu Awad, ein Bewohner des westlichen Gazastreifens, wo sich einige der Vorfälle ereigneten. Ein anderer Anwohner berichtet, er habe in zwei aufeinanderfolgenden Nächten bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Plünderern und Sicherheitskräften in den Straßen von West-Gaza-Stadt beobachtet, in der Nähe von Gebäuden, die von UN- und Hilfsorganisationen genutzt werden.
Derweil gehen die israelischen Angriffe auf den Gazastreifen weiter. Bei Luftangriffen in der Nacht auf Chan Yunis wurden nach Angaben eines örtlichen Krankenhauses mindestens 17 Palästinenser getötet, darunter viele Frauen und Kinder.