Eigentlich sollte der Bundestag schon kommende Woche über den neuen Wehrdienst beraten. Doch jetzt hat die Union den Entwurf von Boris Pistorius vorerst auf Eis gelegt - und drängt auf verpflichtende Elemente. Damit spitzt sich die Debatte um die Wehrpflicht erneut zu.
Was in der Kabinettsklausur in der Villa Borsig noch hinter der Fassade der Einigkeit verborgen bleiben sollte, zeigt sich nun deutlich: Die schwarz-rote Koalition ist erneut unter Spannung.
Nach umfassenden Debatten hatte sich die Bundesregierung eigentlich darauf geeinigt, einen Gesetzentwurf für einen "neuen attraktiven Wehrdienst" auf den Weg zu bringen. Das Vorhaben sollte am 9. Oktober im Bundestag erstmals beraten und an die Ausschüsse überwiesen werden.
Doch nun vorerst die Absage: Nach Informationen der Bild wurde der Tagesordnungspunkt kurzfristig gestrichen.
Aus Unionskreisen hieß es dazu: "Der Entwurf geht angesichts der aktuellen Bedrohungslage nicht weit genug. Es darf bei der Wehrpflicht keine halbgaren Lösungen geben."
Im Zentrum steht die Forderung nach verbindlichen Zielmarken für den geplanten Personalaufbau. Sollten diese verfehlt werden, müsse automatisch die Wehrpflicht wieder greifen.
Kommt nun also doch mehr Pflicht ins Spiel?
Pistorius setzt vorerst auf Freiwilligkeit
Immerhin: Dass mehr Personal nötig ist, darüber herrscht weitgehend Einigkeit.
So lautet auch die Einschätzung aus den höchsten Reihen der Bundeswehr. Generalmajor Andreas Henne, Kommandeur der Heimatschutzdivision, erklärte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland, er brauche "für den Schutz verteidigungskritischer Infrastruktur einfach mehr Soldatinnen und Soldaten, als er zurzeit bekommen kann". Sollte die Zahl der Freiwilligen nicht ausreichen, seien Pflichtanteile im Wehrdienst unvermeidlich.
Auch der Präsident des Reservistenverbands, Patrick Sensburg, drängt auf eine deutliche Stärkung. Im Gespräch mit Euronews betonte er, es brauche "für eine echte Verteidigungsfähigkeit 300.000 aktive Soldaten und dreimal so viele Reservisten".
Wie dieses Ziel erreicht werden soll, bleibt jedoch umstritten.
Pistorius setzt vorerst auf ein freiwilliges Modell. Er will ab 2025 ein Wehrdienstmodell nach schwedischem Vorbild einführen, das zunächst auf Freiwilligkeit basiert. Ob es dabei dauerhaft bleibt, ließ de Verteidigungsminister offen. "Es braucht Männer und Frauen, die bereit sind, Verantwortung für unser aller Sicherheit zu übernehmen", sagte er am 14. Mai im Bundestag.
Nach Informationen aus dem Verteidigungsministerium sollen ab 2028 alle 18-jährigen Männer verpflichtend zur Musterung erscheinen – unabhängig von ihrer Entscheidung für oder gegen den Dienst. Ziel ist vor allem der Ausbau der Reserve. Insgesamt strebt die Bundesregierung mit dem neuen Wehrdienst rund 460.000 Soldatinnen und Soldaten an: 260.000 im aktiven Dienst und 200.000 in der Reserve. Derzeit zählt die Bundeswehr rund 182.000 Aktive und 34.000 Reservisten.
Unionspolitiker und Militärs fordern Pflicht
Dass die Union mit dem Vorschlag unzufrieden ist, zeichnet sich bereits seit einiger Zeit ab. Mehrfach hatte die CDU Nachbesserungen am Entwurf von Verteidigungsminister Boris Pistorius gefordert.
So sprach sich Außenminister Johann Wadephul (CDU) anfang Oktober erneut für eine schnelle Rückkehr zur Wehrpflicht aus. "Ich bin für die sofortige Wehrpflicht", sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Zwar müsse dies innerhalb der Koalition abgestimmt werden, doch Wadephul stellte eine Verschärfung des Gesetzentwurfs ausdrücklich in Aussicht.
Unterstützung für ein verpflichtendes Modell kam auch von CSU-Chef und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder. Im ARD-Sommerinterview bezeichnete er den Pistorius-Entwurf zwar als "ersten Schritt in die richtige Richtung", betonte jedoch, dass an einer Wiedereinführung der Wehrpflicht langfristig kein Weg vorbeiführe.
Auch aus den Reihen der Bundeswehr kommt Kritik: Der langjährige Heeresinspekteur Alfons Mais äußerte kurz vor Eintritt in seinen Ruhestand gegenüber der Deutschen Presse-Agentur erhebliche Zweifel, dass die Bundeswehr allein mit Freiwilligen schnell genug wachsen könne.
"Angesichts der Lage ist die aktuelle Planung mit Sicherheit kein ‚Game Changer‘, und die Waage neigt sich zunehmend in Richtung eines verpflichtenden Dienstes. Das Gottvertrauen auf genügend Freiwillige wird schon bald nicht mehr ausreichen", sagte Mais in Berlin.
Der Generalleutnant, forderte zudem, den Fokus stärker auf aktive Einsatzkräfte zu legen: "Wenn das Feldheer vorne nicht hält, dreht die Drehscheibe hinten umsonst."
Wie der Wehrdienst für junge Menschen interessanter werden soll
Pistorius bemüht sich derweil, den Wehrdienst für junge Menschen attraktiver zu gestalten. Dadurch sollen vorerst möglichst viele Freiwillige gewonnen werden.
Ab Sommer beginnt eine Ausbildung, die auf Sicherungs- und Wachaufgaben ausgerichtet ist und den Rekrutinnen und Rekruten zugleich Einblicke in verschiedene Bereiche der Bundeswehr geben soll. Neben dem militärischen Grundtraining liegt ein Schwerpunkt auf individueller Förderung: Schulungen im Umgang mit Drohnen, Sprachkurse, weiterführende Fortbildungen sowie finanzielle Zuschüsse für den Führerschein der Klasse B sind vorgesehen.
"Wenn sie nach der Ausbildung zur Reserve gehören, sollen sie bestmöglich vorbereitet sein - und mit Stolz auf das blicken, was sie erlernt und erlebt haben, inhaltlich wie auch in Sachen Kameradschaft und Sinnstiftung", erklärte Pistorius. Der Einsatz für das eigene Land müsse "etwas Besonderes" sein. "Wir werden das Sinnstiftende in den Vordergrund stellen. Diejenigen, die diese Ausbildung bei der Bundeswehr machen, sollen eine richtig gute, inhaltsreiche und sinnstiftende Zeit haben."
Nach Angaben des Verteidigungsministeriums lässt sich breits ein positiver Trend erkennen: Im Juli verzeichnete die Bundeswehr im Vergleich zum Vorjahresmonat einen Zuwachs von rund 2.000 Soldatinnen und Soldaten und kommt damit auf insgesamt 183.000 Kräfte. Besonders stark stieg die Zahl der Freiwillig Wehrdienstleistenden (FWDL), die sich um rund 15 Prozent auf 11.350 erhöhte. Auch die militärischen Erstberatungen legten um etwa 11 Prozent auf 60.600 zu, was zu einem Bewerbungsplus von rund 8 Prozent - insgesamt 36.050 - führte.
Im zivilen Bereich nahmen die Bewerbungen sogar um rund 31 Prozent zu. Trotz üblicher Jahresschwankungen erwartet das Ministerium, dass sich der positive Trend bis Jahresende fortsetzt.
Große Ablehnung bei 14- bis 29-Jährigen
Eine aktuelle Forsa-Umfrage im Auftrag von Table.Briefings zeichnet jedoch ein anderes Bild: Die Pläne der Bundesregierung stoßen bei jungen Menschen mehrheitlich auf Ablehnung. Demnach können sich nur 23 Prozent der 14- bis 29-Jährigen eine Bewerbung bei der Bundeswehr vorstellen, 76 Prozent schließen dies aus.
Hinzu kommt ein Informationsdefizit: Lediglich 53 Prozent der jungen Befragten fühlen sich gut oder sehr gut über den neuen Wehrdienst informiert, die übrigen gaben an, weniger oder gar nicht informiert zu sein.
Union drängt - SPD spricht von Affront
Fehlende Informationen erweisen sich nun offenbar auch als Problem in der Koalition.
In der SPD und im Verteidigungsministerium zeigte man sich überrascht über das Vorgehen der Unionsfraktion - aus Sicht der Sozialdemokraten ein unnötiger Affront.
Nach Informationen des Spiegel hatten Union und SPD seit dem Ende der Sommerpause in kleiner, vertraulicher Runde versucht, eine Einigung über mögliche Änderungen am Gesetzentwurf zu erzielen. Offensichtlich ohne Erfolg.
Zwar kann die Tagesordnung noch geändert werden, doch die Union drängt darauf, bereits vor der ersten Lesung Nachbesserungen am Entwurf durchzusetzen, den das Kabinett am 27. August verabschiedet hatte.
Die SPD hingegen verweist darauf, dass Änderungen auch nach der ersten Lesung - etwa im Rahmen der geplanten Sachverständigenanhörung - möglich seien.
Noch steht der Termin für eine erste Lesung am 9. Oktober also im Raum - die Konflikte innerhalb der Koalition aber ebenso.