Fünfzehn Prozent der Gesundheitsausgaben in der EU werden von den privaten Haushalten aus eigener Tasche bezahlt. Euronews Health wirft einen genauen Blick darauf, wie und warum diese Anteile in Europa stark variieren.
Die Europäische Union bezeichnet den Zugang zur Gesundheitsversorgung als ein grundlegendes Menschenrecht, aber wer trägt die Kosten?
Nach Angaben von Eurostat machen die Pflichtbeiträge zur Krankenversicherung etwas mehr als die Hälfte (51 Prozent) der gesamten Gesundheitsausgaben in der EU aus. Die staatlichen Ausgaben machen etwa 30 Prozent aus, während die privaten Haushalte 15 Prozent der Kosten selbst tragen.
Das bedeutet, dass die Haushalte in der EU im Durchschnitt 15 Euro für jede 100-Euro-Rechnung im Gesundheitswesen direkt bezahlen.
Wie viel zahlen die Haushalte in den europäischen Ländern also aus eigener Tasche? Und welchen Anteil machen diese Zahlungen an den Gesundheitsausgaben aus?
Nach Angaben von Eurostat lag der Anteil der von den Haushalten aus eigener Tasche geleisteten Zahlungen für die Gesundheitsversorgung im Jahr 2024 oder dem nächstmöglichen Jahr zwischen 8,5 % in Luxemburg und 35,5 % in Bulgarien.
Die Analyse umfasste 34 europäische Länder.
Auch in Lettland (35,1 Prozent), Griechenland (34,3 Prozent), Serbien (32,1 Prozent), Litauen (31,4 Prozent) und Bosnien und Herzegowina (31 Prozent) liegt dieser Anteil über 30 Prozent.
Dr. Joseph Piscopo, Gesundheitsökonom im maltesischen Gesundheitsministerium, stellte fest, dass ost- und südeuropäische Länder im Verhältnis zu ihren Gesamtausgaben tendenziell höhere Out-of-Pocket-Kosten haben.
"Stärkere Volkswirtschaften können ihren Gesundheitssystemen mehr finanzielle Mittel zuweisen und erreichen folglich ein niedrigeres Niveau an Out-of-Pocket-Gesundheitsausgaben", erklärte er gegenüber Euronews Health.
Neben Luxemburg verzeichneten Frankreich (8,9 Prozent), Kroatien (9,4 Prozent), Irland (10,6 Prozent) und Deutschland (10,7 Prozent) die niedrigsten Anteile der von den Haushalten zu leistenden Zahlungen.
Unter den fünf größten europäischen Volkswirtschaften hat Italien mit 22,3 Prozent den höchsten Anteil, dicht gefolgt von Spanien mit 20,9 Prozent.
Frankreich und Deutschland gehören dagegen zu den fünf Ländern mit den niedrigsten Anteilen, und das Vereinigte Königreich liegt mit 15,9 Prozent nahe am EU-Durchschnitt, obwohl sich seine Daten auf das Jahr 2019 beziehen.
In drei nordischen Ländern liegen die Out-of-Pocket-Anteile unter dem EU-Durchschnitt: Schweden (13,4 Prozent), Dänemark (13,9 Prozent) und Norwegen (14,1 Prozent). Finnland (16,1 Prozent) liegt leicht über dem EU-Durchschnitt.
Deckungspolitik ist wichtig
Jonathan Cylus, Gastprofessor für Praxis an der London School of Economics (LSE), betonte, dass die nationale Krankenversicherungspolitik, die festlegt, wer versichert ist, welche Leistungen abgedeckt sind und wie viel von den Kosten der Versorgung übernommen wird, zu den wichtigsten Gründen für die Unterschiede zwischen den Ländern gehört.
"In vielen der Länder, die am schlechtesten abschneiden, wie z. B. Bulgarien, sind Menschen, die ihre Sozialversicherungsbeiträge nicht zahlen, von der öffentlich finanzierten Versorgung ausgeschlossen, so dass alle Gesundheitsbedürfnisse in vollem Umfang aus eigener Tasche bezahlt werden müssen", sagte er.
Pascal Garel, Geschäftsführer der European Hospital and Healthcare Federation (HOPE), erklärte, dass der Anteil der aus eigener Tasche zu zahlenden Kosten in Ländern mit einem breiten öffentlichen oder sozialen Krankenversicherungsschutz tendenziell niedriger ist. Diese Systeme bieten in der Regel umfassende Leistungspakete, die die meisten Leistungen wie Krankenhausbehandlung, Hausarztbesuche und verschriebene Medikamente umfassen.
Sie zeichnen sich außerdem durch niedrige oder gar keine Gebühren für wesentliche Leistungen und starke Schutzmechanismen für besonders schutzbedürftige Gruppen aus, darunter Menschen mit geringem Einkommen, ältere Menschen und Patienten mit chronischen Erkrankungen. Frankreich, Deutschland und Schweden sind einige Beispiele für solche Länder.
Garel fügte hinzu, dass Länder mit den höchsten Anteilen, wie Bulgarien und Griechenland, kleinere oder weniger umfassende öffentliche Leistungspakete, eine begrenzte Deckung für ambulante Medikamente, zahnärztliche Versorgung und diagnostische Tests sowie einen schwächeren Schutz gegen katastrophale Gesundheitsausgaben haben.
Wie viel zahlt eine Person pro Jahr?
Laut Eurostat zahlte eine Person in der EU im Jahr 2023 oder im nächstfolgenden verfügbaren Jahr durchschnittlich 542 € pro Jahr für die Gesundheitsversorgung aus eigener Tasche. Unter den 34 europäischen Ländern reichte die Spanne von 116 € in Moldawien bis 2 396 € in der Schweiz.
Unter den EU-Mitgliedern reichte die Spanne von 136 € in Kroatien bis 1.176 € in Belgien. Auch in Norwegen (1.158 €) zahlten die Menschen mehr als 1.000 € pro Jahr.
"Wohlhabendere west- und nordeuropäische Länder investieren mehr in Hightech-Medizin, was die Pro-Kopf-Ausgaben in die Höhe treibt", so Garel.
Neben Moldawien und Kroatien lagen die jährlichen direkten Gesundheitsausgaben in Bosnien und Herzegowina (206 Euro), Rumänien (223 Euro), Polen (232 Euro) und Serbien (293 Euro) unter 300 Euro.
Frankreich Schlusslicht unter den führenden Volkswirtschaften
Unter den fünf größten europäischen Volkswirtschaften hatten die Menschen in Frankreich mit 410 € pro Jahr die niedrigsten Ausgaben für die Gesundheitsversorgung und lagen damit als einziges Land unter dem EU-Durchschnitt.
Italien verzeichnete mit 718 Euro den höchsten Betrag, gefolgt von Deutschland (652 Euro), dem Vereinigten Königreich (609 Euro, Daten für 2019) und Spanien (596 Euro).
Garel verwies auf demografische und epidemiologische Faktoren, die das Ausgabenniveau beeinflussen. Länder mit einer alternden Bevölkerung, zum Beispiel in Italien und Deutschland, und einer höheren Prävalenz chronischer Krankheiten haben tendenziell eine höhere Nachfrage nach medizinischer Versorgung und Langzeitpflegeleistungen.
"Jüngere Bevölkerungen oder Länder mit einer niedrigeren Lebenserwartung geben tendenziell weniger aus - aber oft, weil die Pflege nicht ausreichend in Anspruch genommen wird, nicht weil der Bedarf geringer ist", fügte er hinzu.
In KKS ist die Kluft geringer
Die Unterschiede zwischen den Ländern werden geringer, wenn sie in Kaufkraftstandards (KKS) gemessen werden. Der KKS ist eine künstliche Währungseinheit, die den Preisvergleich zwischen den Volkswirtschaften erleichtern soll. Nach Angaben von Eurostat kann man mit einem KKS in jedem Land die gleiche Menge an Waren und Dienstleistungen kaufen.
In KKS ausgedrückt lagen die Ausgaben der privaten Haushalte pro Person zwischen 191 in Kroatien und 1.304 in der Schweiz.
Einige Ranglisten ändern sich erheblich, wenn sie in KKS und nicht in Euro gemessen werden. In Bulgarien beispielsweise liegt der Wert bei 413 €, verglichen mit 740 KKS.