Per Lobby zur Oscar-Nominierung? Academy prüft Regeln nach heftiger Kritik

Andrea Riseborough und die Oscar-Trophäe
Andrea Riseborough und die Oscar-Trophäe Copyright Momentum Pictures - Academy of Motion Picture Arts and Sciences
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Von David Mouriquand
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Die britische Schauspielerin Andrea Riseborough ist für den Oscar in der Kategorie "beste Schauspielerin" nominiert - doch ihren Film hat kaum jemand gesehen. Wie kam es dazu?

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Die Oscars stehen an, verliehen von der mächtigen Academy of Motion Picture Arts and Sciences. Eine hitzig geführte Debatte um die diesjährige Nominierung einer britischen Schauspielerin zeigt nun: Die Filme der großen Studios haben sehr viel bessere Chancen auf Beachtung als sogenannte Independent-Produktionen. Ein unfaires Spiel?

Die Nominierung von Andrea Riseborough als beste Schauspielerin für ihre Rolle in "To Leslie" war eine Überraschung. Eine angenehme Überraschung. Denn ihre Darstellung einer alkoholkranken Frau, die im Lotto gewinnt, aber das Geld verprasst, gilt als durchaus beeindrucken - auch wenn der Film an sich international wenig Beachtung fand. Riseborough war zuvor durch ihre Rollen in den Filmen "Birdman", "The Death of Stalin" und "Possessor" bekannt geworden. 

Die Britin war erst spät ins Oscar-Rennen eingestiegen, durch eine sogenannte Graswurzelkampagne (Grassroots Movement). Mehrere Hollywood-Größen, darunter Gwyneth Paltrow, Kate Winslet, Susan Sarandon und Charlize Theron hatten sich für den Film eingesetzt. Risbeboroughs Mitbewerberinnen im Rennen um den Preis für die beste Schauspielerin sind Cate Blanchett ("Tár"), Ana de Armas ("Blonde"), Michelle Williams ("The Fabelmans") und Michelle Yeoh ("Everything Everywhere All At Once"). Die Oscars werden am 12. März verliehen. 

Academy leitet Untersuchung ein

Obwohl keine formelle Beschwerde eingereicht wurde, hat die Academy nun "eine Überprüfung der Kampagnenverfahren rund um die diesjährigen Nominierten eingeleitet, um sicherzustellen, dass keine Richtlinien verletzt wurden." So hieß es in einer Erklärung der Academy. 

"Es ist das Ziel der Academy, sicherzustellen, dass die Preisverleihung auf faire und ethische Weise durchgeführt wird, und wir verpflichten uns, einen integrativen Preisverleihungsprozess zu gewährleisten", so die Academy weiter, auch um "uns darüber zu informieren, ob in einer neuen Ära der sozialen Medien und der digitalen Kommunikation Änderungen an den Richtlinien erforderlich sein könnten. Wir haben Vertrauen in die Integrität unserer Nominierungs- und Abstimmungsverfahren und unterstützen echte Graswurzelkampagnen für herausragende Leistungen".

Warum die Aufregung?

Die Academy untersucht, ob die Nominierung durch eine von Prominenten unterstützte Kampagne überhaupt den Regeln der Academy entspricht. Denn in der Tat geben die Studios jedes Jahr Millionen US-Dollar für umfangreiche Kampagnen aus, um ihre Schauspieler:innen als Nominierte zu platzieren. Eine Unterstützung unabhängiger Personen durch die Öffentlichkeit kommt da ungelegen. 

Zu diesen breit angelegten "For Your Consideration"-Kampagnen gehören die Zusendung von Trailern, Interviews, üppige Mittagessen, Werbe- und Marketingkampagnen. Das Ziel: So viele Stimmen der Jury für die studioeigene Produktion oder die eigenen Schauspieler:innen einheimsen. Diese groß angelegten Kampagnen sind in der Lage, die Nominierungen zu beeinflussen - und haben Harvey Weinstein sogar den Ruf eingebracht, Oscar-Gewinne kaufen zu können.

Im Klartext: Je teurer die Kampagne, desto größer die Chance, dass ein Film nominiert wird.

Geld regiert die Oscar-Welt

Dieses millionenschwere Spiel führt dazu, dass kleinere Produktionen mit geringem Budget in eine Sackgasse geraten. Die Academy - die den Studios untersteht - gerät wiederum in Verlegenheit, wenn weniger finanzstarke Fürsprecher um Unterstützung für einen Film bitten. Etwa mit privaten Filmvorführungen, Mund-zu-Mund-Propaganda und mit Beiträgen in den sozialen Medien - flankiert von prominenten Fürsprechern. 

Und damit wären wir wieder bei "To Lesilie" und der Schauspielerin Andrea Riseborough. Der eher unauffälige Independent-Film, der an den Kinokassen lediglich 23.304 US-Dollar einspielte und Riseborough bereits eine Nominierung für den Independent Spirit Award einbrachte, hat bei den sonstigen Preiverleihungen der Branchen bisher wenig Beachtung gefunden. Kein heißer Kandidat also für die Oscars, sollte man meinen. Und doch wurde Riseborough nominiert. 

Die Mitglieder der Academy dürfte es frustieren, dass sie als Außenseiterin, als nicht von den großen Studios mit Millionen US-Dollar unterstützte Schauspielerin nun nominiert wurde. Die Academy ist in Aufruhr. Laut der "Los Angeles Times" hat der Regisseur von "To Leslie", Michael Morris, "fast alle (aus der Branche) angeschrieben" und sie gebeten, sich den Film anzusehen und in den sozialen Medien darüber zu berichten. Eine Graswurzelkampagne also. 

Und hier offenbart sich ein Problem: Denn die Academy selbst ist angehalten, sich an bestimmte Regeln zu halten. So darf die sie zwar Werbung für sich selbst oder die Filme der Studios machen, allerdings nicht, wenn die Academy von Fürsprechern persönlich per Telefon kontaktiert wurden. Die oscar-fokussierte Marketingkampagne für "To Leslie" hat so den Anstrich einer Art Guerilla-Aktion bekommen. Der Vorwurf: unerlaubtes Lobbying. 

"Elitär!" - Christina Ricci meldet sich zu Wort

Eine Stimme der Vernunft in diesem Chaos erhob dann Schauspielerin Christina Ricci, derzeit gefeiert für ihre Darstellung der Wednesday in der gleichnamigen Netflix-Serie:

"Es ist schon komisch, dass die 'Überraschungsnominierung' (was bedeutet, dass nicht Unmengen von Geld ausgegeben wurden, um diese Schauspielerin zu positionieren) einer wirklich brillanten Leistung mit einer Untersuchung begegnet wird. Verdienen also nur die Filme und Schauspieler, die sich die Kampagnen leisten können, Anerkennung? Das kommt mir elitär und exklusiv und - offen gesagt - sehr rückständig vor."

Unwürdige Diskussion?

Gab es also Verstöße gegen die Academy-Regeln? Das wird sich zeigen. Unabhängig davon wirft die hitzig geführte Diskussion einen Schatten auf die brilliante Leistung der Schauspielerin Andrea Riseborough. Außerdem schadet die Debatte dem Ruf der Academy. Denn nun wird klar: Nach den bisherigen Regelungen sind jene Filme klar im Vorteil, für deren oscar-fokussiertes Marketing viele Millionen US-Dollar ausgegeben werden. 

Um den Schaden für die gesamte Branche in Grenzen zu halten, muss geklärt werden, was als Kampagne gilt und wo eine Einflußname der Studios oder der Öffentlichkeit zu unterbinden ist. Der Verwaltungsrat der Academy hat erklärt, dass das Thema bei seiner Sitzung am 31. Januar 2023 auf der Tagesordnung gestanden habe. 

Christina Ricci sprach auch hier weise Worte: "Diese Dinge werden nicht von den Schauspielern selbst kontrolliert oder entschieden, und dennoch wird jetzt Andrea Riseboroughs Nominierung dadurch befleckt. Und falls sie wieder aus dem Rennen genommen werden sollte, dann wäre das eine Schande."

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