Banksys "Migrant Child" in Venedig: Restaurierungspläne treffen auf Widerstand

Banksys "Migrant Child" in Venedig
Banksys "Migrant Child" in Venedig Copyright ANNARITA DATI, Euronews
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Von Lucie Tournabize
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Dieser Artikel wurde im Original veröffentlicht auf Französisch

Das italienische Kulturministerium plant, ein Banksy-Werk in Venedig zu restaurieren. Von allen Seiten hagelt es Kritik.

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An der Wand eines verlassenen venezianischen Gebäudes taucht ein mit schwarzer Sprühfarbe gemaltes Kind in einer Schwimmweste und mit einer Fackel in der Hand aus den Fluten auf. Das Werk von Banksy erschien während der Biennale für zeitgenössische Kunst im Jahr 2019 und wurde schnell zu einer Touristenattraktion. Inzwischen hat das Wasser dem Kunstwerk jedoch zugesetzt: Feuchtigkeit und Salz fressen die Farbe von der Wand.

Der Besitzer des Gebäudes zeigte sich besorgt und kontaktierte zunächst die Sopraintendenza dei Beni Culturali, eine italienische Behörde, die sich mit kulturellem Erbe befasst. Da diese jedoch erklärte, sie sei für ein so junges Werk nicht zuständig, meldeten sich Bürgermeister Luigi Brugnaro und Luca Zaia, der Präsident der Region Venetien, bei Vittorio Sgarbi. Seit 2022 ist der aus dem Fernsehen bekannte Kunstkritiker Staatssekretär im italienischen Kulturministerium.

Mithilfe einer privaten Finanzierung durch eine italienische Bank plant Sgarbi, das Banksy-Werk, dass den Titel "Migrant Child" trägt, restaurieren zu lassen.

Es herrscht jedoch Uneinigkeit darüber, ob das Werk überhaupt restauriert werden sollte. Vittorio Sgarbi steht felsenfest hinter den Wiederherstellungsplänen. Fremdenführer:innen, Architekt:innen, Künstler:innen und Fachleute haben eine differenziertere Meinung.

Natürlicher Verfall

"Der untere Teil der venezianischen Paläste, der mit dem Wasser in Berührung kommt, wird in der Architektur als Opferfläche bezeichnet", erklärt Monica Gambarotto, eine venezianische Touristenführerin: "Die meisten Menschen lassen ihn aus nackten Ziegeln bestehen und streichen ihn nicht, damit das Wasser aus dem Kanal nicht aufsteigt und von der Verkleidung aufgesaugt wird."

Wegen der Feuchtigkeit und des Salzgehalts im Wasser wird das "Migrant Child" langsam von der Wand gespült.
Wegen der Feuchtigkeit und des Salzgehalts im Wasser wird das "Migrant Child" langsam von der Wand gespült.Annarita Dati, Euronews

Es ist also nicht verwunderlich, dass das "Migrant Child", das von den Wassertaxis, die ständig vorbeifahren, bespritzt wird, nach und nach verschwindet. Der Rio Novo, auf dem sich das Werk befindet, ist einer der belebtesten Straßen der Stadt und verbindet den Bahnhof mit dem Canal Grande.

Zwei gegensätzliche Vorstellungen von Streetart

Künstler:innen und Architekt:innen reagierten auf Sgarbis Restaurierungsvorhaben. Evyrein, ein Straßenkünstler, dessen Werke an die des anonymen britischen Künstlers erinnern, erklärt: "Banksy ist kein Idiot, er wusste genau, dass sein Werk nicht für die Ewigkeit bestimmt war, als er es im Wasser platzierte. Es zu restaurieren ist ein Widerspruch in sich."

"Es ist mir passiert, dass eines meiner Werke von Leuten, die es gut meinten, restauriert wurde. Ich war von der Geste gerührt, aber am Ende war das Ergebnis noch schlimmer. Wenn man mich bitten würde, ein Werk eines Kollegen anzufassen, würde ich mich weigern, es sei denn, ich hätte sein Einverständnis", stellt der Künstler klar.

Für Rosanna Carrieri, Aktivistin der Vereinigung von Kulturschaffenden "Mi Riconosci", ist es vor allem grundlegend, die Betroffenen anzusprechen. "Bevor man eine Restaurierungsaktion startet, ist es wichtig, den Künstler und die lokale Gemeinschaft zu konsultieren, da es sich sonst nur um eine Aktion von oben handeln kann, die auf Banksys Bekanntheitsgrad aufbaut", so Carrieri.

Seitdem das Werk 2019 während der Biennale auftauchte, ist es schnell zu einer Touristenattraktion geworden.
Seitdem das Werk 2019 während der Biennale auftauchte, ist es schnell zu einer Touristenattraktion geworden.Annarita Dati, Euronews

Auf Nachfrage von Euronews zeigt sich Staatssekretär Vittorio Sgarbi uneinsichtig: "Ich habe nicht die Absicht, den Künstler zu konsultieren: Das Werk wurde illegal geschaffen, man kann damit machen, was man will."

Den Wert des Kunstwerks erkennt er an: "Viele Touristen fotografieren es, also hat es einen wichtigen soziologischen Wert", so Sgarbi.

Den natürlichen Verfallsprozess möchte er dennoch nicht respektieren: "Die Restaurierung wird Federico Borgogni anvertraut, der bereits eine Rettungsaktion für ein Banksy-Werk in Bristol durchgeführt hat", erklärt der Staatssekretär.

Streetart-Tourismus

Monica Gambarotto bringt Tourist:innen Banksys Werke näher. Ihre Agentur Guided Tours Venice hat sogar eine spezielle Route für Straßenkunst entwickelt.

"Die Idee ist, einen Spaziergang anzubieten, um die Streetart-Werke in Venedig zu entdecken. Einige sind bereits verschwunden, wie die von Blub: Sie sind auf Papier gefertigt und daher leichter abzureißen oder zu beschmutzen. Die Nachfrage nach einer Streetart-Tour ist gering, aber es kommt häufiger vor, dass ich gebeten werde, Banksy in eine maßgeschneiderte Tour einzubauen", so Gambaretto.

Die Restaurierungspläne für "Migrant Child" sieht sie ebenfalls kritisch.

"Als Kunsthistorikerin habe ich einige Zweifel an diesem Projekt. Früher waren die venezianischen Paläste praktisch alle mit Fresken geschmückt, die mit der Zeit verschwanden, das ist der Lauf der Dinge. Die Bemalung von Palästen ist eine notwendigerweise kurzlebige Technik. Andererseits wird jede kurzlebige Geste des Vandalismus, wie es Street Art sein kann, zu einem historischen Zeugnis. In dieser Hinsicht ist das Werk von Banksy auch heute noch ein wichtiges Dokument. Die Restaurierung ist daher einerseits verständlich, andererseits aber auch ein Widerspruch in sich", analysiert die Touristenführerin.

Debatte lenkt von tiefergehenden Problemen ab

Andere sind der Meinung, dass die Debatte um die Restaurierung des Banksy-Werks von wichtigeren Problemen in der Stadt ablenkt. Matteo Pandolfo, Mitglied des venezianischen Architektenverbands, weist darauf hin, dass das Gebäude, an dessen Wand sich das Werk befindet, seit Jahrzehnten leer stehe, während es in der Stadt an Wohnraum mangele.

"Man sollte sich eher um die Richtung sorgen, die Venedig einschlägt, dessen Gleichgewicht durch den Tourismus tiefgreifend gestört wird, als um die Restaurierung eines Werkes, das geschaffen wurde, um zu verschwinden", so Pandolfo.

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Rosanna Carrieri fügt hinzu: "Wir müssen das Problem der Verwaltung von Kunstwerken im Allgemeinen betrachten: Dem Ministerium fehlt es an Personal, insbesondere an Kunsthistorikern, um die Erhaltung und den Zugang zu den Werken zu gewährleisten. Wenn man die Aufmerksamkeit auf 'Migrant Child' lenkt, wird das Kunstwerk seiner sozialen und politischen Bedeutung beraubt".

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