Wie europäische Straßenkünstler auf den Krieg zwischen Israel und Hamas reagieren

Originalkunstwerk des Straßenkünstlerduos LeDiesis
Originalkunstwerk des Straßenkünstlerduos LeDiesis Copyright LeDiesis 2023
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Von Andrea Carlo
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Dieser Artikel wurde im Original veröffentlicht auf Englisch

Von Wandmalereien und Mosaiken bis hin zu digitalen Gemälden und politischen Plakaten: Euronews Culture zeigt, wie Straßenkünstler in ganz Europa auf den Krieg zwischen Israel und der Hamas reagieren.

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Kriege und Konflikte liefern immer wieder Stoff für die vielleicht stärksten Formen künstlerischer Fantasie, man denke nur an Picassos "Guernica" oder Delacroix' "Die Freiheit, die das Volk führt" oder die Poesie von Wilfried Owen.

Der andauernde Kampf zwischen Israelis und Palästinensern und die beispiellose blutige Schlacht zwischen Israel und der Hamas hinterlässt ebenfalls Spuren auf den Straßen der Welt und in den Herzen und Köpfen.

Europa selbst ist die Heimat einiger der weltweit bekanntesten Straßenkünstler, vom britischen Kulturtitan Banksy bis zum italienischen Wandmaler Blu, die mit ihren Kunstwerken immer wieder auf den palästinensisch-israelischen Konflikt aufmerksam machen.

Wie also kommentieren Europas Straßenkünstler die jüngste Eskalation der Kämpfe? Euronews Culture hat sich einige Beispiele aus ganz Europa angesehen.

1. 'Eine andere Welt ist möglich' (London, UK)

Nur wenige können die Welt so sehr in Aufruhr versetzen - und die Medien in Atem halten - wie das Enfant terrible der Kunstwelt, Banksy.

Als Anfang Oktober in der Londoner Edgware Road ein Banksy-ähnliches Wandgemälde auftauchte, war es wenig überraschend, dass die bloße Erwähnung des Namens des Künstlers (oder seines Pseudonyms) ausreichte, um die Presse in Aufruhr und die Fans in Scharen zu versammeln.

Das Wandgemälde zeigt drei Personen, die einen Roboterarm mit Seilen ziehen, begleitet von dem gesprühten Satz "Eine andere Welt ist möglich".

Der Stil ist unverkennbar Banskianisch. Aber steckt der schwer fassbare Künstler aus Bristol selbst hinter dem neuen Werk? Und ist es eine Anspielung auf den israelisch-palästinensischen Krieg oder eher ein Kommentar auf den schleichenden Einfluss von künstlicher Intelligenz und Technologie in der Gesellschaft?

Niemand weiß es genau, denn Banksy hat sich noch nicht geäußert. In Anbetracht des Zeitpunkts der Entstehung des Werks und des langjährigen Interesses des Künstlers am palästinensisch-israelischen Konflikt haben einige eine Verbindung zum jüngsten Anstieg der Feindseligkeiten hergestellt und sehen darin einen Kommentar zur "gegenwärtigen Weltordnung".

Da die Bedeutung der Kunst, wie die Schönheit, im Auge des Betrachters liegt, behalten wir dieses mysteriöse Wandbild bis auf weiteres auf unserer Liste.

2. "#ResistTheOccupation" (Neapel, Italien)

Der preisgekrönte Fotograf und Künstler Eduardo Castaldo hat sich bereits einen Namen als leidenschaftlicher Unterstützer der palästinensischen Sache gemacht, indem er mit seinen Kunstwerken auf die Notlage der Menschen in Gaza und im Westjordanland aufmerksam macht.

Es dauerte daher nicht lange, bis der 46-jährige neapolitanische Aktivist angesichts der Kämpfe zwischen Israel und der Hamas seine kreativen Ressourcen mobilisierte.

Letzten Monat gestaltete Castaldo eine "Just Do It"-Werbung von Nike in ein pro-palästinensisches Poster mit dem Titel #ResistTheOccupation um. Der Basketballspieler DeMar DeRozan wurde in einen palästinensischen Straßenkämpfer verwandelt, während sein Basketball übermalt und in einen Molotow-Cocktail verwandelt wurde.

Castaldos umstrittenes Werk wurde jedoch unterbrochen, als die Polizei eingriff und ihn zu einer örtlichen Polizeistation brachte. Der italienische Künstler behauptet, er sei vier Stunden lang verhört worden und habe eine Geldstrafe von 400 Euro zahlen müssen.

Castaldo veröffentlichte das Video auf Instagram zusammen mit einer Erklärung, in der er das israelische Vorgehen kritisierte.

3. "Gottes Landnahme" (Bergen, Norwegen)

Ein kurzer Blick auf das Wandgemälde des norwegischen Straßenkünstlers AFK würde nicht sofort Bilder eines vom Krieg zerrissenen Nahen Ostens hervorrufen. Das zarte, florale Werk, das über ein neoklassizistisches Tor im Zentrum von Bergen (Fosswinckels Gate) gemalt wurde, scheint keine offensichtlichen politischen Konnotationen zu haben.

Doch bei näherer Betrachtung sind düstere Untertöne verborgen. Stacheldraht, abgeplatzte Betonplatten und Totenköpfe zeichnen ein Bild des Leidens und der Verwüstung. Farbe tropft von den kecken weißen Lilien - AFKs eigenes Wandgemälde ist weinend, eine Darstellung sowohl der verlorenen Unschuld als auch der Wiedergeburt nach den Wirren.

AFKs "Gottes Landnahme" wurde durch die Arbeit von Gabor Maté, einem ungarisch-kanadischen Traumaspezialisten und Holocaust-Überlebenden, inspiriert.

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AFK schuf das Wandgemälde Ende 2022, hat es aber als Reaktion auf den Konflikt in seinen sozialen Medien wieder aufgegriffen.

In einem Instagram-Posting äußerte sich der Künstler ausführlich zu den jüngsten Entwicklungen in Israel und Gaza.

"Meine Gedanken sind bei den betroffenen Familien, und mein Herz schmerzt für die unschuldigen Menschen, die in diesem Konflikt getötet wurden", erklärte er: "Die Komplexität der Geschichte und der Gegenwart unterstreicht die Notwendigkeit eines offenen und respektvollen Dialogs, die Bereitschaft, die Wurzeln des Konflikts zu verstehen, und ein tiefes Verständnis für die Rolle, die psychische Gesundheit bei der Gestaltung unserer individuellen und kollektiven Welt spielt."

AFK (ein Akronym für "Away from [the] Keyboard") ist ein norwegischer Schablonierer und Bildhauer, der seit 2013 in verschiedenen europäischen Ländern tätig ist. Er ist ein begeisterter Anhänger des Wikileaks-Gründers Julian Assange. Seine Werke sind zutiefst politisch und zeichnen sich durch eine lebendige Bildsprache, technische Meisterschaft und eine starke Verwendung von rosa und lila Farbtönen aus.

4. "Frieden, bitte" (Online)

Ein kleines Mädchen, das in eine palästinensische Flagge gehüllt ist, steht vor einer rissigen Wand, auf die das Wort "Peace" gekritzelt ist. Auf den Zehenspitzen stehend fügt sie ein "L" und ein "S" hinzu und macht so aus dem Wort "Bitte".

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Ein ergreifendes Bild, das zweifellos die Aufmerksamkeit eines jeden Passanten auf sich ziehen würde.

Und doch ist es auf keiner Straße zu finden. Vielmehr handelt es sich um eine Form digitaler Straßenkunst, die neueste Kreation der italienischen Malerin Dido aus Rom - und sie hat in den sozialen Medien bereits großes Interesse geweckt.

Der aufstrebende Maler kreiert nachgemachte Straßenkunst, die er dann auf seinem Instagram-Konto postet. Viele seiner Bilder sind zwar nicht offen politisch, aber er bezieht bestimmte soziale Themen in seine Arbeit mit ein, vom Klimawandel bis zur europäischen Migrantenkrise.

Im Hinblick auf sein neuestes Werk betonte Dido, dass er - trotz der scheinbar pro-palästinensischen Botschaft - mit seinem Werk die Erfahrungen der Kriegsopfer in den Mittelpunkt stellen wolle und nicht irgendwelche politischen Gefühle.

"Ich glaube nicht, dass man eine andere Position als die der Opfer einnehmen kann", sagte er gegenüber Euronews Culture: "So sehr ich auch mit der palästinensischen Sache übereinstimme, sollte dieses Werk nicht als Protest gegen Israel, sondern vielmehr gegen jede Art von Krieg und Gewalt interpretiert werden."

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5. "Frieden und Liebe" (Ravenna, Italien)

Es kommt nicht oft vor, dass Mosaike, der israelisch-palästinensische Konflikt und Banksy in einem Atemzug genannt werden.

Und doch hat ein italienischer Straßenkünstler das scheinbar Unvorstellbare geschafft.

Giovanni Magnoli, bekannt als "Refreshink", ist ein italienischer Straßenkünstler, der seit den 1990er Jahren aktiv ist. Zu Ehren von Banksys ikonischer Schablone "Flower Thrower", einer Wandmalerei aus dem Jahr 2003 im Westjordanland, beschloss Refreshink, seine ganz eigene Version "Peace & Love" in Mosaikform zu schaffen.

Refreshinks Kunstwerk ist im Museo d'arte von Ravenna zu sehen - einer von der UNESCO anerkannten norditalienischen Stadt, die für ihre herrlichen byzantinischen und romanischen Mosaike und ihre halbjährliche Mosaikausstellung bekannt ist.

6. "An die Einheit glauben wir" (Rom, Italien)

Seit mehr als vier Jahren bringt das in Florenz ansässige feministische Duo Lediesis Frauenpower auf Italiens Straßen, indem sie ihre unverwechselbaren Gemälde berühmter Frauen als Actionfilm-Heldinnen verkleidet in Städten auf der ganzen Halbinsel aufhängen. Ihr Ziel: "Traditionelle Geschlechterrollen spielen, umstoßen und auflösen", vor allem in einem Land, in dem Frauen sowohl im Berufs- als auch im Privatleben auf erhebliche Hindernisse stoßen.

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Lediesis' jüngste Installation ist jedoch weniger triumphal, sondern vielmehr von Ergriffenheit und Pathos durchdrungen.

Das Gemälde zeigt zwei Mädchen, die sich von hinten sehen und miteinander kuscheln. Was wie ein unumstrittenes Bild weiblicher Freundschaft anmutet, wird jedoch durch die Flaggen auf den Rücken der Mädchen - eine palästinensische, die andere israelische - verraten.

Kurz nach dem Angriff auf den Gazastreifen entstanden und in den Straßen des jüdischen Ghettos von Rom aufgehängt, wollte Lediesis ein Bild der Liebe und Freundschaft über die Grenzen hinweg zeichnen, das speziell aus der weiblichen Perspektive erzählt wird und die Freundschaft der Künstlerinnen selbst widerspiegelt.

Das Motiv der Liebe über Grenzen hinweg ist nicht neu und auch nicht explizit politisch, weit entfernt von der Arbeit von Straßenkünstlern, die ihre Kunst oft mit kriegerischen oder parteiischen Symbolen versehen.

Aber in einem so erbitterten und parteiischen Konflikt wie dem zwischen Israel und dem Gazastreifen kann selbst ein Aufruf zum Frieden ein inhärent politischer Akt sein. Und wie die Kommentare unter dem Instagram-Posting zeigen, haben einige die neueste Kreation von Lediesis nicht gut aufgenommen. Sie werfen Lediesis vor, eine "falsche" Gleichwertigkeit zwischen beiden Seiten herzustellen, die den historischen Kontext des Konflikts beschönigt.

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Das Duo mag sich, ob gewollt oder ungewollt, in das Kreuzfeuer einer hitzigen Debatte begeben haben, aber es bleibt dabei, dass es sich von jeglichen politischen Gesprächen distanzieren möchte.

"Wir beziehen keine politische Position, und wir glauben nicht, dass es einfach ist, das Thema in einem so heiklen Moment anzusprechen", so die beiden gegenüber Euronews Culture, "alles, was wir tun können, ist, eine Botschaft der Hoffnung in die Dunkelheit der Nacht zu bringen."

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