Welche Fähigkeiten machen den neuen Premierminister zur Hoffnung des geschwächten französischen Präsidenten, und wie kann er dasselbe Schicksal wie sein Vorgänger Barnier umschiffen?
Der französische Präsident Emmanuel Macron hat seinen langjährigen zentristischen Verbündeten François Bayrou zum neuen Premierminister des Landes ernannt, nachdem die Abgeordneten letzte Woche für die Absetzung der vorherigen Regierung unter Michel Barnier gestimmt hatten.
Der 73-Jährige ist der Gründer der zentristischen Partei Demokratische Bewegung (MoDem) und Bürgermeister der südwestfranzösischen Stadt Pau.
Wie sein Vorgänger verfügt auch François Bayrou über keine Mehrheit in der Nationalversammlung (dem Unterhaus des Parlaments).
Um nicht das gleiche Schicksal wie Barnier zu erleiden, muss er mit den anderen Parteien in dem tief gespaltenen Unterhaus verhandeln, um nicht von den Abgeordneten gestürzt zu werden.
Bayrou war sich der komplexen Situation bewusst und sagte am Freitag zu Reportern: "Es ist ein langer Weg, das weiß jeder... Ich bin nicht der erste, der einen langen Weg geht."
Macron dürfte hoffen, dass Bayrou mindestens bis Juli durchhält, erst dann können neue Parlamentswahlen abgehalten werden.
Warum Bayrou?
Nach Ansicht mehrerer Experten ist François Bayrou der Spitzenkandidat, der in der Lage ist, einen Kompromiss mit den meisten Parteien zu schließen.
"Bayrou ist die logische Wahl, weil er viele Kriterien erfüllt", so Christophe Boutin, Politikwissenschaftler und Professor für öffentliches Recht an der Universität Caen.
"Er ist in der Öffentlichkeit gut bekannt, hat sich gegenüber den meisten politischen Parteien wenig feindselig verhalten und kann auf eine lange politische Karriere als Europaabgeordneter, Bürgermeister und ehemaliger Minister zurückblicken. Im Vergleich zum rechtskonservativen Michel Barnier wird Bayrou für die gemäßigten linken Parteien angenehmer sein", sagte er gegenüber Euronews.
Berichten französischer Medien zufolge endeten die Gespräche über den künftigen Premierminister in einem Tauziehen.
Mehrere Abgeordnete von Bayrous zentristischer MoDem-Bewegung erklärten gegenüber Journalisten, dass sich ihre Partei von Macrons Bündnis abspalten würde, wenn ihr Anführer nicht nominiert würde, wodurch der französische Staatschef rund 36 Sitze riskieren würde.
"In diesem Fall wäre Emmanuel Macron noch mehr geschwächt worden. So war er auch gezwungen, Bayrou anderen Kandidaten vorzuziehen", sagt Philippe Moreau-Chevrolet, Experte für politische Kommunikation im Interview mit Euronews.
Wie geht es weiter mit dem neuen Premierminister?
Gemäß Artikel 8 der französischen Verfassung ist der französische Präsident befugt, neue Minister "auf Vorschlag" des Premierministers zu ernennen.
Macron und Bayrou werden schnell ein Kabinett zusammenstellen müssen.
Obwohl dies nicht zwingend erforderlich ist, kann der neu ernannte Premierminister nach der Wahl des Kabinetts eine allgemeine politische Rede vor der Nationalversammlung halten.
Dies ist ein mit Spannung erwartetes und kritisch beäugtes Ereignis, da es in der Regel die Farben der künftigen Regierung offenbart.
"Bayrou wird mit allen reden müssen, um den Eindruck zu erwecken, dass diese Diskussionen kollegial sind. Er wird sich von Macrons sehr von oben nach unten gerichtetem Regierungsstil abheben müssen. Das ist angesichts der derzeitigen Unbeliebtheit Macrons extrem wichtig", meint Moreau-Chevrolet.
Hat Bayrou eine Chance, ein Misstrauensvotum zu überstehen?
Zum jetzigen Zeitpunkt hat nur die linksgerichtete Partei La France Insoumise (LFI) angekündigt, dass sie ein Misstrauensvotum anstrengen wird.
Andere Parteien, die das Linksbündnis NFP bilden, reagierten gemäßigter.
Die Sozialistische Partei (PS) hat erklärt, sie lehne es ab, Teil der neuen Regierung zu sein, deutete aber an, dass sie zur Zusammenarbeit bereit sei, wenn Bayrou darauf verzichte, Artikel 49.3 der Verfassung anzuwenden, um Gesetze ohne Abstimmung im Parlament zu verabschieden.
Michel Barniers Sturz resultierte aus der Anwendung von Artikel 49.3, um die Verabschiedung eines Sparhaushalts ohne Parlamentsabstimmung zu erzwingen.
Dies wiederum führte zu einem Misstrauensvotum gegen Barnier, nachdem die linke Koalition NFP und die rechtspopulistische Partei Rassemblement National (RN) beschlossen hatten, gemeinsame Sache zu machen.
Der RN-Vorsitzende Jordan Bardella, erklärte, dass seine Partei nicht gegen Bayrou stimmen werde, solange jener bestimmte "rote Linien" bei Themen wie Einwanderung und Renten nicht überschreite.
Was sind brisante Themen?
François Bayrous unmittelbare Priorität wird die Verabschiedung eines Überbrückungsgesetzes sein, mit dem der Haushalt dieses Jahres auf das Jahr 2025 übertragen wird.
Dies erlaubt der Regierung, bis zur Verabschiedung eines neuen Haushalts durch die Abgeordneten weiterhin Steuern zu erheben. Der Gesetzentwurf soll am Montag von der Nationalversammlung geprüft werden.
Dann wird Bayrou die noch komplexere Aufgabe haben, einen Staatshaushalt für das nächste Jahr aufzustellen.
Angesichts eines Haushaltsdefizits von 6 % des Bruttoinlandsprodukts muss der neue Premierminister ernsthafte Steuererhöhungen in Verbindung mit massiven Haushaltskürzungen in Betracht ziehen.
Da die parlamentarische Arbeit zwischen dem 20. Dezember und dem 14. Januar ruht, wird die Haushaltsdebatte voraussichtlich erst im neuen Jahr beginnen.
Ein weiteres heißes Thema auf der Tagesordnung: Von der neuen Regierung werden Antworten an den aufgebrachten Agrarsektor erwartet. Die Landwirte protestieren seit Monaten gegen das Mercosur-Abkommen, das die EU-Kommission kürzlich mit mehreren südamerikanischen Ländern geschlossen hat.