Die Ukraine sollte Teil der Europäischen Union werden. Doch durch Orbáns Veto und die Kopplung der Verhandlungen mit Moldawien erschweren ein Vorankommen. Ändert sich mit der neuen EU-Ratspräsidentschaft etwas?
"Keine objektiven Gründe" würden die Ukraine daran hindern, die erste Phase ihres Beitrittsprozesses zu beginnen. Dies erklärte die Europäische Kommission als Reaktion auf das Veto von Viktor Orbán. Auf dem EU-Gipfel vergangene Woche hatte der ungarische Regierungschef sein Veto noch einmal bekräftigt.
"Wenn ein Kandidatenland ohne objektiven Grund zurückgehalten wird, obwohl es die Kriterien erfüllt, verliert der gesamte Erweiterungsprozess seine Glaubwürdigkeit", sagte ein Sprecher der Europäischen Kommission am Dienstag.
Laut Orbán sprachen sich bei einem nationalen Referendum 95 Prozent der fast 2,3 Millionen Teilnehmer gegen eine Mitgliedschaft der Ukraine in der Union aus. Die Wahlbeteiligung lag bei etwa der Hälfte der 5,5 Millionen Stimmen, die bei den nationalen Wahlen im Jahr 2022 abgegeben wurden.
Orbán berief sich auf die Ergebnisse: "Ich bin mit einem starken Mandat hierher gekommen." Er sieht sein Veto bestätigt. "Wenn ein Mitglied der Europäischen Union im Krieg ist, bedeutet das, dass die Europäische Union im Krieg ist, und das gefällt uns nicht."
EU-Kommission offen für Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine
Am Dienstag antwortete die Kommission, indem sie die Bereitschaft der Ukraine unterstrich, das erste Verhandlungspaket zu eröffnen. Es umfasst Schlüsselthemen wie Demokratie, Menschenrechte, Sicherheit, das Justizsystem und das öffentliche Auftragswesen.
Das als "Grundlagen" bezeichnete Verhandlungspaket ist das erste, das im Rahmen des mehrstufigen Erweiterungsprozesses eröffnet wird, und das letzte, das abgeschlossen wird. Jeder Schritt erfordert jedoch die Einstimmigkeit aller 27 Mitgliedsstaaten.
"Auf unserer Seite sind die Dinge wirklich klar: Während wir hier sprechen, führt die Ukraine unter den schwierigsten Umständen, die man sich vorstellen kann, Reformen durch", sagte ein Sprecher der EU-Kommission.
"Wir haben uns immer für einen leistungsbasierten Ansatz eingesetzt, wenn es um den Beitritt geht, und in diesem Fall gibt es keine objektiven Gründe, die gegen die Öffnung des ersten Clusters sprechen." "Wir hoffen wirklich, dass wir das erste Cluster trotzdem sehr bald eröffnen können", fügte er hinzu.
Aktionsplan zur Stärkung des Minderheitenschutzes
Die Kommission hat auch den ukrainischen Aktionsplan zur Stärkung des Minderheitenschutzes im Lande positiv bewertet. Dieser zielt darauf ab, das nationale Recht mit europäischen Standards zu harmonisieren, um Diskriminierung und Hassverbrechen aus ethnischen Gründen zu bekämpfen, einen gleichberechtigten Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen zu gewährleisten und die kulturelle Vielfalt zu fördern.
Der Aktionsplan sollte die Bedenken Orbáns zerstreuen: Seine Regierung hat der Ukraine oft vorgeworfen, die Sprachrechte von etwa 150.000 ethnischen Ungaren zu verletzen, die hauptsächlich in der Region Transkarpatien leben.
Die beiden Länder hatten bilaterale Gespräche zu diesem Thema aufgenommen, die jedoch im Mai plötzlich scheiterten, als Kiew ein mutmaßliches ungarisches Spionagenetz aufdeckte, das gegen ukrainische Interessen arbeitete.
Ratspräsidentschaft entscheidend für Vorangehen
Orbáns Veto gegen den Beitritt der Ukraine geht auf den Juli 2024 zurück, als Ungarn die sechsmonatige EU-Ratspräsidentschaft übernahm und deutlich machte, dass Kyjiw für die Dauer der Rotation kein einziges Verhandlungspaket öffnen würde.
Vertreter und Diplomaten in Brüssel spotteten über diese Haltung und hofften auf Fortschritte, nachdem Polen im Januar den Vorsitz übernommen hatte. Aber die polnische Präsidentschaft kam und ging, ohne wesentliche Fortschritte.
Der neue Amtsinhaber, Dänemark, hat die Erweiterung als "geopolitische Notwendigkeit" bezeichnet und ist bestrebt, die festgefahrene Situation zu überwinden.
Das ungarische Referendum hat jedoch ein neues Element eingebracht und Orbán ein "Mandat" gegeben, wie er es nannte, die zunehmend umstrittene Blockade aufrechtzuerhalten.
Unterdessen reißt in Kyjiw der Geduldsfaden. Während des Gipfels in der vergangenen Woche nutzte Präsident Wolodymyr Selenskyj seine virtuelle Rede, um auf eine Lösung zu drängen.
"Was wir jetzt brauchen, ist eine klare politische Botschaft - dass die Ukraine fest auf dem europäischen Weg ist und dass Europa zu seinen Versprechen steht. Jede Verzögerung durch Europa zu diesem Zeitpunkt könnte einen weltweiten Präzedenzfall schaffen - einen Grund, an den Worten und Verpflichtungen Europas zu zweifeln", sagte Selenskyj den anwesenden Staats- und Regierungschefs, darunter auch Orbán.
"Wir tun unseren Teil. Es ist fair, eine positive Reaktion zu erwarten. Die Eröffnung von Cluster Eins der 'Fundamentals' im Verhandlungsprozess könnte also mehr als nur ein technischer Schritt sein. Es wäre eine politische Entscheidung, die die künftige Integration der Ukraine in Europa bestimmt."
Kommissionspräsidentin: "Die Ukraine hat geliefert"
Zum Abschluss des Gipfels bekundete Ursula von der Leyen ihre Unterstützung, ohne jedoch Hinweise auf eine Lösung des seit Monaten andauernden Streits zu geben.
"Unter unerbittlichem Beschuss verabschiedet die Ukraine Reform um Reform. Das ist beeindruckend", sagte die Kommissionspräsidentin. "Die Ukraine hat geliefert - jetzt müssen auch wir liefern. Denn der Beitrittsprozess basiert auf Verdiensten. Und die Ukraine verdient es, voranzukommen."
Die Situation ist so festgefahren, dass Diplomaten über eine Entkopplung der Beitrittsgesuche der Ukraine und Moldawiens nachdenken. Die beiden östlichen Länder haben sich fast gleichzeitig um die Mitgliedschaft beworben, kurz nachdem Russland die umfassende Invasion gestartet hatte. Sie wurden am selben Tag im Juni 2022 zu Kandidaten erklärt und wollten gemeinsam in die Verhandlungen eintreten.
Die Kommission ist der Ansicht, dass beide gleichermaßen bereit sind, das erste Cluster zu eröffnen, und wartet auf die einstimmige Zustimmung der Mitgliedstaaten.
Orbán hat keine Vorbehalte gegenüber der Republik Moldau geäußert. Das Land könnte technisch gesehen in den Verhandlungen vorankommen, während die Ukraine auf die Aufhebung des Vetos wartet. Die Entkopplung ist jedoch ein riskantes Spiel, denn sie birgt die Gefahr, dass Kyjiw dauerhaft zurückbleibt und der Eindruck eines gebrochenen Versprechens an das ukrainische Volk aufrechterhalten wird.
"Wir fordern nicht die Abkopplung der Republik Moldau. Es ist Sache der Mitgliedstaaten, zu entscheiden, ob sie dies tun wollen", sagte der Kommissionssprecher. "Was wir tun wollen, ist die Ukraine und die Moldawier bei der Vorbereitung auf den Beitritt zu unterstützen."