Frauen verdienen deutlich weniger: Wie schließt man die Lohnlücke?

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Frauen verdienen deutlich weniger: Wie schließt man die Lohnlücke?
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Von Naomi Lloyd, Fanny Gauret, Sabine Sans
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Thema in Real Economy: Unfaire Lohnlücken in ganz Europa. Warum ziehen Frauen so oft den Kürzeren und was kann man dagegen tun?

Der Grundsatz gleicher Bezahlung für gleiche Arbeit wurde bereit vor mehr als 60 Jahren in die Europäischen Verträge aufgenommen. Es ist deshalb inakzeptabel, dass Frauen im EU-Durchschnitt noch immer rund 15 Prozent weniger verdienen als Männer. Die Angleichung der Bezahlung muss schneller gehen. Das geschlechtsspezifische Lohngefälle liegt in Deutschland bei 20,1 Prozent und ist damit EU-weit eines der höchsten. Im EU-Schnitt arbeiten Frauen immer noch 51 Tage mehr, um dasselbe zu verdienen wie ihre männlichen Kollegen. In Real Economy geht es dieses Mal über das Lohngefälle zwischen Männern und Frauen in Europa.

Wie wichtig sind Work-Life-Balance und Lohntransparenz? Und wie beeinflusst die Europäische Säule sozialer Rechte die EU-Sozialpolitik in Sachen Gleichstellung der Geschlechter?

Die EU-Richtlinie zur Work-Life-Balance wurde 2019 verabschiedet und muss von allen Mitgliedsstaaten bis 2022 umgesetzt werden. Die Richtlinie zur verbindlichen Lohntransparenz soll am 3. März 2021 verabschiedet werden.

Lohngefälle in der gesamten EU

Als arbeitende Frau in Europa verdient man im Durchschnitt fast 15 Prozent weniger als ein Mann - oft für dieselbe Arbeit.

Die Pandemie hat gezeigt, wie tief die Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern verankert sind: Denn Frauen übernehmen den Großteil der zusätzlichen unbezahlten Kinderbetreuung und sie sind am meisten gefährdet, ihren Job zu verlieren. Den Daten zufolge gibt es in Deutschland einen der größten Lohnunterschiede in Europa

Warum ziehen Frauen so oft den Kürzeren?

Frauen verdienen immer noch durchschnittlich 86 Cent für jeden Euro, den ein Mann verdient. Warum ist das so? Frauen übernehmen immer noch den größten Teil der Kinderbetreuung, das heißt sie reduzieren oft ihre Arbeitszeit. Ein Drittel der Frauen in der EU arbeitet Teilzeit im Vergleich zu 8 Prozent der Männer. Das macht ein berufliches Vorankommen schwieriger.

Es gibt auch mehr Frauen in schlechter bezahlten Bereichen wie Pflege und Erziehung. In Spitzenpositionen im Management verdienen Frauen fast ein Viertel (23 %) weniger als Männer.

Und in Europa sind nur 10 Prozent der CEOs großer Unternehmen Frauen. Das alles trägt zu einer Rentenlücke von 30 Prozent bei.

Die europäische Säule sozialer Rechte fördert die Geschlechter-Gleichstellung. Um das geschlechtsspezifische Lohngefälle zu beenden, führt die Europäische Kommission eine Richtlinie zur Lohntransparenz ein: Unternehmen werden gesetzlich dazu verpflichtet, Gehälter zu veröffentlichen.

Die Säule der sozialen Rechte fordert auch eine bessere Work-Life-Balance mit dem Recht auf angemessene Freistellungs- und flexible Arbeitszeitregelungen.

Das ist EU-Recht und die Mitgliedstaaten haben bis 2022 Zeit, es in nationales Recht umzusetzen.

Familie & Karriere: Wie geht das in Deutschland?

Eines der größten Probleme arbeitender Frauen ist das ständige Jonglieren zwischen Arbeit und Privatleben. Fanny Gauret hat sich in Deutschland angeschaut, wie Frauen das meistern.

Obwohl Deutschland seit 15 Jahren von einer Frau regiert wird, liegt das Land in Bezug auf Geschlechter-Gleichstellung im Beruf hinter seinen europäischen Nachbarn - mit einer ähnlichen Frauenerwerbsquote - zurück. Wie sieht es aus für Frauen auf dem deutschen Arbeitsmarkt? Nadine Epplen ist Rechtsanwältin und vertritt Frauen in prekären Arbeitsverhältnissen im Hotel- und Gaststättengewerbe:

"Problematisch ist, dass Arbeitsverträge herausgegeben werden, also dass der Arbeitgeber, auch wenn sie eine 40-Stunden-Woche vereinbart haben, sie jederzeit einteilen kann. Was natürlich Frauen, die Kinder haben, eben nicht gewährleisten können. Mir begegnen Probleme wie Kündigung, Degradierung, weil sie eben nicht so flexibel einsetzbar sind."

Die Pandemie verschärft die Probleme bei der Aufteilung der Familienpflichten. Wie die Rechtsanwältin und die Mehrheit ihrer Klientinnen arbeiten fast 50 Prozent der deutschen Frauen in Teilzeit, um sich um ihre Familie zu kümmern - deutlich mehr als im europäischen Durchschnitt.

"Ich habe zwei Kinder und muss auch die Betreuung sichern, weil wir keine Familie in Berlin haben", erzählt Nadine Epplen. "Ich würde schon lieber gerne Vollzeit arbeiten, aber das ist eben mit der Kinderbetreuung nicht vereinbar, weil die Kita- und die Schulzeiten nicht immer mit meinen Arbeitszeiten übereinstimmen."

Um die Situation von Frauen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern, hat Deutschland, wie alle anderen EU-Länder auch, bis 2022 Zeit, die europäische Richtlinie zur Work-Life-Balance umzusetzen. Sie sieht einen besseren Zugang zu Elternzeit und mehr Flexibilität am Arbeitsplatz vor.

Reform der Besteuerung von Paaren

Laut der DIW-Steuerexpertin Katharina Wrohlich muss die Besteuerung von Paaren reformiert und die Karrierechancen für beide Elternteile verbessert werden.

Die Leiterin der Forschungsgruppe Gender Economics am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin:

"In Deutschland beobachten wir, dass es eine neue vorherrschende Norm gibt. Sie hat sich von einem Einverdiener-Familienmodell zu einem Eineinhalb-Familien-Modell verschoben. Deutschland muss sich noch sehr anstrengen, um den Zugang und die Qualität der Kinderbetreuung zu verbessern, auch in Bezug auf die Öffnungszeiten."

Ein Bereich, in dem Deutschland in Sachen Gleichberechtigung gut abschneidet, ist die Anzahl der Frauen in Vorständen von börsennotierten Unternehmen mit einem Frauenanteil von 36 Prozent. Mit einer Frauenquote in Vorständen will man der Parität noch näherkommen. Was sagt Hiltrud Werner dazu, die einzige Frau im Vorstand von Volkswagen?

"Selbst diejenigen, die gegen Quoten sind, werden zugeben, dass dieser Prozess jetzt einen Schub bekommt", so Hiltrud Werner, Volkswagen-Vorstand, Leiterin des Bereichs Integrität und Recht. "Ich persönlich begrüße die Quote. Sie wird helfen, Menschen mit hohen Qualifikationen nicht aus Voreingenommenheit zu übersehen. Karriere ist sehr individuell, aber sie ist nicht ohne Preis zu haben. Ich musste Kompromisse eingehen, deshalb muss man wissen, was man will."

"Karriere ist sehr individuell, aber sie ist nicht ohne Preis zu haben."
Hiltrud Werner
Volkswagen-Vorstand, Leiterin des Bereichs Integrität und Recht

Wie weit haben EU-Länder die gläserne Decke durchbrochen?

Bei dem derzeitigen Tempo der Veränderungen wird das Lohngefälle in Deutschland erst im nächsten Jahrhundert verschwinden - in Frankreich könnte es mehr als 1000 Jahre dauern. In einigen Ländern wird Lohngleichheit noch in diesem Jahrzehnt erreicht - Belgien ist einer der Vorreiter.

Euronews-Reporterin Naomi Lloyd trifft zu diesem Thema Esther Lynch, die stellvertretende Generalsekretärin des Europäischen Gewerkschaftsbundes in Brüssel:

Esther Lynch, stellvertretende Generalsekretärin des Europäischen Gewerkschaftsbundes:
"Wir fordern bessere Gesetze rund um das Thema gleichwertige Arbeit. Um Ihnen ein Beispiel zu geben: Erst letzte Woche habe ich mit einem Gewerkschaftsvertreter gesprochen. Man erzählte mir, dass der Leiter des Einkaufs 30 Prozent mehr verdient als der Leiter der Personalabteilung. Und wenn man sich die Jobs anschaut, die erforderlichen Fähigkeiten, die Ausbildung, die Verantwortung, dann gibt es keinen Unterschied. Aber natürlich war der Leiter der Personalabteilung eine Frau und der Leiter des Einkaufs war ein Mann. Jeweils ein überwiegend weiblicher bzw. ein überwiegend männlicher Sektor."

Euronews:
"Was kann die Richtlinie zur Lohntransparenz bewirken?"

Esther Lynch:
"Zu viel des Lohngefälles hat mit der Arbeit zu tun, die von Frauen geleistet wird,- allein damit wird eine niedrigere Bezahlung gerechtfertigt. Eines der wichtigsten Merkmale, die wir uns von dieser Richtlinie erhoffen, ist daher die Bestimmung, dass die Geheimhaltung von Löhnen und Gehältern beendet wird. Das ist eine wirklich wichtige Maßnahme, denn allzu oft arbeiten Frauen an der Seite von Kollegen, oft jahrzehntelang, und gehen davon aus, dass sie gleich bezahlt werden. Und dann stellt sich heraus, manchmal bei der Pensionierung oder manchmal aufgrund eines Artikels, dass derjenige, von dem man dachte, er mache den gleichen Job wie man selbst, in Wirklichkeit viel mehr verdient. Außerdem ist wichtig, dass Lohngeheimnisklauseln in Arbeitsverträgen verboten werden."

Euronews:
"Belgien ist einer der Vorreiter in Sachen gleicher Bezahlung. Warum schneidet das Land in diesem Bereich so gut ab?"

Esther Lynch:
"In was sich Belgien von sehr vielen anderen Ländern unterscheidet, ist die Anzahl der Arbeitnehmer, die in einer Gewerkschaft sind. Die Leute können sich also sicher sein, dass sie, wenn sie Fragen stellen, wenn sie sich beschweren, nicht schikaniert und entlassen werden, weil sie Unruhestifter sind. Das ist eines der Dinge, die diese Richtlinie sicherstellen muss: Man darf nicht davon ausgehen, dass, nur weil die Leute Informationen bekommen, sie sie auch nutzen können. Es muss starke Schutzmaßnahmen geben."

Cutter • Nicolas Coquet

Weitere Quellen • Produktion: Camille Cadet; Kamera Deutschland: Christian Friedel, Kamera Brüssel: Pierre Hollande, Jorne Van Damme;Motion Design: NEWIC https://www.agence-newic.com/

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