Experten warnen: KI-Chatbots, die einer der wichtigsten katholischen Schlüsselfiguren ähneln, gleichen auf Dauer unser Verständnis von Traditionen und Praktiken an.
Zu Weihnachten bieten mehrere KI-Simulationen von Jesus religiösen Rat oder Gesellschaft während der Feiertage.
Der Boom KI-generierter „Jesuse“ wirft heikle Fragen auf: nach Authentizität, Vorurteilen und danach, wer Glauben und Tradition prägt, sagen Fachleute gegenüber Euronews Next.
Gerade in dieser Zeit sind solche Fragen wichtig, sagen sie. Menschen sind emotional verletzlicher und suchen nach Antworten. Für Katholiken gilt Jesus als Sohn Gottes, auf der Erde als Mensch geboren. Seine im Bibeltext überlieferten Lehren bilden das Fundament ihrer religiösen Praxis.
Im vergangenen Jahr sind einige neue KI-Jesus-Plattformen entstanden. Sie geben Nutzern Orte, an denen sie mit dem Sohn Gottes und weiteren religiösen oder historischen Figuren sprechen können.
Viele davon, etwa Bots von Talkie.AI, Character.AI oder Text With Jesus, behaupten, die offizielle Stimme Gottes zu sein.
„Wie eine Nachricht an einen Freund“
Menschen beleben Jesu Online-Identität seit seinem ersten Facebook-Account Mitte der 2000er, sagt Heidi Campbell, Professorin für Kommunikations- und Religionswissenschaft an der Texas A&M University in den Vereinigten Staaten.
Neu ist: KI-Modelle übernehmen Jesu Rolle. Sie interagieren mit Nutzern auf eine Weise, die zuvor nicht möglich war, fügte sie hinzu.
„Die Idee ist: Es fühlt sich an, als würde man einem Freund schreiben“, sagt Campbell über die vielen Jesus-KI-Apps auf dem Markt. „Irgendwie wirkt es authentischer. Es fühlt sich intim an.“
Im Web-Browser von Jesus.AI beantwortet der Chatbot Fragen zu seinem Geburtstag oder zu Weihnachten knapp und trocken. Er liefert allgemeine Aussagen über Gottes „Liebe und Erlösung“ plus ein Bibelzitat. Im Hintergrund läuft sphärische Musik.
Ein anderer, der KI-Jesus von Talkie.AI, erinnert Nutzer daran, dass Weihnachten eine wichtige Zeit sei, um „über die Botschaft von Liebe und Vergebung nachzudenken, die [ich] in die Welt gebracht habe“.
Der populärste Jesus-„Charakter“ auf der beliebten Begleit-Plattform Character.AI mit über 13 Millionen Gesprächen sagt, das Fest gehe auch um „Kekse, Familientreffen und den epischen Wettstreit zwischen Mariah Carey und ‚Feliz Navidad‘ um die Krone des Weihnachtssongs“.
An Feiertagen wie Weihnachten greifen Menschen laut Campbell womöglich zu Chatbots, um Fragen zur Ausgestaltung religiöser Rituale zu klären.
Chatbots könnten auch die Weihnachtsgeschichte erklären. So verstehen Nutzer, warum sie feiern.
„KI ist für die meisten derzeit vor allem eine Ergänzung. Eher ein Add-on. Oder zumindest die erste Anlaufstelle, wenn sie nach religiösen Informationen oder Rat suchen“, sagt Campbell.
Das kann riskant sein. Vor allem für junge Menschen und für technisch Unerfahrene, die plötzlich Jesus-KIs nutzen, um grundlegende Fragen rund um Weihnachten zu klären. Sie können die „gemachten Behauptungen“ nicht einordnen.
„Ihnen fehlt jede Art Resonanzboden für solche Antworten. Deshalb kann das hochproblematisch sein“, sagte sie.
„Wer die Trainingsdaten kuratiert, kuratiert auch religiöse Traditionen“
Feeza Vasudeva, Forscherin an der Universität Helsinki, vermutet, dass Jesus-KI-Chatbots generative Modelle wie ChatGPT oder DeepSeek nutzen. Sie beantworten damit Fragen wie „Warum wird Weihnachten gefeiert?“ und „Erzähl mir die Geburtsgeschichte von Jesus“.
Die Jesus-Chatbots könnten echte Bibelzitate oder Kommentare zum Text heranziehen, um ihre Antworten zu formulieren, sagt Vasudeva.
Vertraute Modelle wie ChatGPT bringen ihre eigenen Verzerrungen auch in diese Jesus-Apps ein, sagt Campbell.
So könnte OpenAIs ChatGPT Fragen zu nichtwestlichen Religionen nicht präzise beantworten und stattdessen mit Klischees oder Diskriminierung reagieren. Ähnlich bei DeepSeek und der katholischen Religion, da das Modell auf chinesischen Datensätzen trainiert ist.
Nach Vasudeva bedeutet das: Eine „Handvoll Tech-Firmen“ prägt, wie Menschen Glauben und Feste wie Weihnachten erleben.
„Am Ende entsteht eine homogenisierte, generische, global durchschnittliche Weihnachtsbotschaft, die in keiner lokalen Gemeinschaft verwurzelt ist“, sagte Vasudeva.
„Wer die Trainingsdaten kuratiert, kuratiert damit bis zu einem gewissen Grad auch die religiösen Traditionen“, fügte sie hinzu.
Sicherer wären Jesus-Chatbots, die ausschließlich Informationen aus der Bibel nutzen. Inhalte sollten kontrolliert und bei Bedarf aktualisiert werden, sagt Campbell.
Bots über die Feiertage nur maßvoll nutzen, raten Experten
Vasudeva rät, über Weihnachten keinen KI-Jesus zu nutzen. Oder zumindest sehr sparsam.
„Verbringt Zeit mit Familie und Freundinnen und Freunden“, sagte sie. „Wenn ihr ihn doch nutzt, tut es bewusst. Seid euch der Risiken bewusst. Nutzt ihn als Werkzeug, das helfen kann, statt euch zu sehr darauf zu verlassen.“
Wer dennoch einen Chatbot nutzen will, sollte laut Campbell überlegen, wer den Dienst entwickelt hat und zu welchem Zweck.
Sollen die Apps für religiöse Reflexion oder Rat dienen, empfiehlt Campbell, das Modell zu prüfen. Stellt ihm Fragen, die ihr auch einer menschlichen Pastorin, einem Pastor oder einer geistlichen Beraterin beziehungsweise einem Berater stellen würdet, bevor ihr euch ihm anvertraut.
Vasudeva rät zudem, die Angaben eines Jesus-Chatbots zu überprüfen. Etwa durch eine normale Suche oder im Gespräch mit einer Pastorin oder einem Pastor vor Ort.