UNESCO-Chefin Bokova: "Hoffe, dass wir US-Mittel doch noch erhalten"

UNESCO-Chefin Bokova: "Hoffe, dass wir US-Mittel doch noch erhalten"
Von Euronews
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Am 31. Oktober dieses Jahres hat die Bildungs- und Kulturorganisation der Vereinten Nationen der Aufnahme der Palästinenser in die Organisation zugestimmt. Ein historischer Schritt, ein symbolischer Schritt, ein Schritt mit Folgen.

Die Entscheidung fiel gegen den Widerstand der USA und Israels, die dann auch prompt ihre Zahlungen an die UNESCO stoppten. Inzwischen weht die palästinensische Flagge vor dem Sitz der Organisation in Paris, allerdings fehlt ihr jetzt gut ein Viertel ihres Budgets. Für euronews sprach Andrea Bolitho mit UNESCO-Generaldirektorin Irina Bokova.

Irina Bokova: Die drohenden Folgen, so würde ich sagen, sind in finanzieller Hinsicht erst einmal die Schwierigkeiten mit der Finanzierung aus den USA. Es gibt aber auch noch weitere Auswirkunen, vielleicht eher politischer Art. Es gibt die einen, die uns loben, es gibt diejenigen, die uns anklagen. Lassen Sie mich sagen, dass die Anerkennung Palästinas seit 22 Jahren auf der Tagesordnung stand. Das ist nichts Neues und offenbar haben 107 Mitgliedsländer sich dafür ausgesprochen.

euronews: Was sind die finanziellen Folgen der Abstimmung, wieviel Geld verliert die UNESCO?

Bokova: Wenn man davon ausgeht, dass die USA 22 Prozent des regulären Budgets stellen, und dann noch einmal über 15 bis 20 Millionen Dollar an extra Rücklagen verfügen … dann reden wir also über 100 Millionen Dollar pro Jahr. Und dann haben wir ja auch noch den Zahlungsstopp Israels, das ist also ein tiefer Einschnitt in unser Budget. Wir müssen auch bedenken, dass die USA noch nicht ihren Anteil für 2011, also dieses Jahr, beigesteuert haben. Ich habe an den Kongress und die Amerikaner appelliert und hoffe, dass diese Botschaft herüberkommt und dass der Kongress das Gesetz ändern wird, damit wir diese Mittel erhalten können.

euronews: Dann gibt es also einen Hoffnungsschimmer, dass die UNESCO ihre Mittel letztlich doch erhält?

Bokova: Das hoffe ich.

euronews: Wenn das Haushaltsloch nicht gestopft wird, könnten möglicherweise Projekte wie das Justizsystem oder die Wasserversorgung im Irak von den Kürzungen betroffen sein. Gibt es noch andere bedrohte Projekte?

Bokova: Erst einmal: Das sind sehr wichtige Projekte. Die Ausführung der gesamten Programme im Irak und in Afghanistan könnte bedroht sein, wenn uns mehr als 22 Prozent unseres Budgets fehlen. Ich würde sagen, im nächsten Jahr müssen wir die Verluste aus diesem Jahr wieder herausholen, das wird unsere Arbeit vor Ort bedrohen.

Ich möchte noch erwähnen, dass ein weiterer Fall die Arbeit der Zwischenstaatlichen Kommission für Meereskunde ist. Auch sie wäre betroffen, sie koordiniert derzeit die Tsunami-Warnsysteme. Als es Anfang dieses Jahres das Erdbeben und den Tsunami in Japan gab, konnten wir innerhalb von fünf Minuten Alarm schlagen.

euronews: Manche haben die Abstimmung als Missbrauch der Macht der UNESCO gesehen. Denken Sie, die Organisation hat ihr Mandat überschritten, indem sie eine solche politische Entscheidung getroffen hat?

Bokova: Das ist schwer für mich zu entscheiden, es war eine Entscheidung der Mitgliedsstaaten. Wir bedauern diese Art der Kritik gerade in dieser Zeit. Es ist genau diese Art der Kritik, die alles durch die Brille politischer Entscheidungen sieht und damit all unsere anderen wichtigen Aktivitäten missachtet.

euronews: Wenn ich es richtig verstehe, hat die UNESCO zu öffentlichen Spenden aufgerufen, das ist aber nicht besonders gut gelaufen, also, es ist nicht gerade eine enorme Menge Geld hereingekommen.

Bokova: Ich habe nie von dieser “Spenden-für-die-UNESCO”-Aktion erwartet, dass sie Millionen Dollar einbringt. Aber es ist eine wichtige Unterstützung der Bürger für das, was die UNESCO macht. Gleichzeitig müssen wir wissen, das die Finanzierung des Haushalts durch die Mitgliedsstaaten eine Verpflichtung ist; ein Respekt vor der Organisation. Ich glaube immer noch, dass die USA ihr Gesetz ändern werden.

euronews: Die Missionen der UNESCO sind: dazu beitragen, die Armut ausmerzen, Erziehung, Meinungsfreiheit. Wenn man das berücksichtigt, wie reagiert die Organisation auf die Hoffnungen und Herausforderungen des Arabischen Frühlings?

Bokova: Wir sind sehr enthusiastisch im Hinblick auf den Arabischen Frühling, denn wir glauben, er ist ein legitimes Streben nach mehr Menschenwürde, mehr Menschenrechte, nach einem besseren Leben. Seit dem ersten Tag haben wir einige dieser Länder auf ihrem Weg zu mehr Offenheit, Demokratie und anderen sozialen und politischen Systemen begleitet.

Eines unserer ersten Projekte war ein Training für tunesische Journalisten, damit sie über die Wahl berichten. Denn selbst wenn das für viele von uns einfache Dinge sind, anderen fehlen solche Erfahrungen. Es ist wichtig, was wir vor einigen Jahren mit Unterstützung der USA im Irak gemacht haben; die Lehrpläne und -bücher zu ändern, um die Kinder von all diesen Vorurteilen zu befreien, all dieser Feindseligkeit gegenüber anderen Kulturen, Religionen oder gegenüber dem Westen in den irakischen Lehrbüchern. Wir werden dasselbe in Libyen machen.

Natürlich ist die große Frage auch der Schutz des kulturellen Welterbes, der Kultur, und auch der Diebstahl von Eigentum, illegale Exporte, Schmuggel von archäologischen Kulturgütern aus Libyen, Ägypten und Tunesien. Das ist eine große Verantwortung, die wir haben.

euronews: Die UNESCO hat ihrer Liste des “immateriellen Kulturerbes” kürzlich einige neue kulturelle Traditionen zugefügt. Wie schützt man etwas nicht Materielles?

Bokova: Das ist eine sehr interessante Frage. Lassen Sie mich sagen, dass das Konzept des “immateriellen Kulturerbes” zunächst ein afrikanisches war. Schritt für Schritt haben dann aber alle Länder der Welt gesehen, dass es dieses “immaterielle Kulturerbe” verdient hat, geschützt zu werden. Das hat viel mit der Globalisierung zu tun. Indem wir versuchen zu schützen, zu respektieren, die Wichtigkeit selbst kleiner lokaler Traditionen wahrzunehmen, geben wir diesen Gemeinschaften einen enormen Stolz und Selbstrespekt.

euronews: Frau Bokova, vielen Dank.

Bokova: Danke für Ihr Interesse.

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