Sozialforscher Ağırdır: "BDP ist in Regionen größte Oppositionspartei"

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Von Euronews
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Istanbul ist der AKP von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan treu geblieben, und auch landesweit konnte sich die islamisch-konservative Partei mit mehr als 45 Prozent der Stimmen als stärkste politische Kraft behaupten. “Vetrauenswahl” und “Sie haben den Sieg wie eine Familie gefeiert” titeln die Zeitungen am Tag nach den Kommunalwahlen – als wäre nichts gewesen, ließ sich Erdoğan in der Wahlnacht in Ankara als starker Mann der Türkei feiern. Der Großteil seiner Wähler hat ihm trotz Twitter-Sperre, Korruptionsskandal und den Säuberungen in den Reihen von Polizei und Justiz die Treue gehalten. Warum feiern so viele diesen Sieg? euronews-Korrespondent Bora Bayraktar hat in Istanbul mit dem Sozialforscher Bekir Ağırdır vom Konda-Forschungsinstitut gesprochen.

euronews: “Die regierende Gerechtigkeits und Entwicklungspartei (AKP) hat bei den Wahlen, die als Referendum für die Regierung angesehen wurden, einen Erdrutschsieg errungen. Wie schätzen Sie das ein? Wie hat die AKP die Wahlen gewonnen?”

Bekir Ağırdır: “Es gibt mehrere Gründe, einige sind technischer Art. In 30 großen Städten sind neue Wahlbezirke festgelegt worden, das sind 77 Prozent der Wähler. In der Türkei gibt es weiter große Migrationsbewegungen, in den vergangenen 30 Jahren sind 27 Millionen Menschen verzogen. Ich sage das, weil sich die Daten, die wir über die türkische Gesellschaft haben, der industriell-soziologischen Struktur, seit den 1980er-Jahren verändert haben. Das berücksichtigen die türkische politische Elite, die Universitäten und die Medien nicht. Die türkische Gesellschaft hat sich durch diese Binnenmigration und Metropolisierung verändert. Es gibt auch einen globalen Wandel von der Industrie- zur Informationsgesellschaft, der den türkischen Alltag verändert.”

euronews: “Haben das Twitter- und Youtube-Verbot und die Gezi-Zwischenfälle eine Rolle bei diesen Wahlen gespielt?”

Bekir Ağırdır: “Ja, haben sie. Nach den Gezi-Vorfällen hat die AKP nach unseren Umfragen fünf Prozentpunkte eingebüßt. Aber nach zwei Monaten haben sie die wieder zurückgewonnen. Die Korrupionsaffäre hat sie fünf bis sechs Punkte gekostet, die sie im Februar zurückgewonnen hat. Im März hat sie wieder verloren. Wenn diese Dinge nicht geschehen wären, läge sie bei 52, 53 Prozent. Sie hat ein wenig eingebüßt. Das Wahlergebnis heisst nicht, dass Korruption ignoriert oder toleriert wird. Bei der Korruption geht es ums Gesetz. Wahlen sind aber Politik. Es sieht so aus, als interpretierten Herr Erdoğan und die AKP das Ergebnis so, als seien sie von allen Vorwürfen reingewaschen. Aber die AKP und die Opposition täuschen sich. Die Menschen haben nicht über diese Vorwürfe abgestimmt. Sie haben darüber abgestimmt, wer das Land regieren kann. Die Hauptdeterminanten waren die polititische Polarisierung und Identitäten.”

euronews: “Die kurdische Partei für Frieden und Freiheit (BDP) hat in vielen kurdischen Regionen gewonnen. Wie schätzen Sie ihren Erfolg ein?”

Bekir Ağırdır: “Ich denke, in den Regionalregierungen ist die BDP zur Hauptoppositionspartei geworden. Ob man es mag oder nicht, sie liefert eine alternative Vision für ihre Wähler. Sie hat alle Orte gewonnen, in denen die kurdische Bevölkerung organisiert ist und dominiert. Sie kann dort also in vielen Städten zur Hauptopposition werden, auch wegen ihrer alternativen Vorstellungen.”

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