Rettung für Griechenland hätte billiger werden können

Rettung für Griechenland hätte billiger werden können
Von Euronews
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Europa hat die schlimmste Wirtschafts- und Finanzkrise der vergangenen Jahrzehnte erlebt – und überstanden.

Europa hat die schlimmste Wirtschafts- und Finanzkrise der vergangenen Jahrzehnte erlebt – und überstanden. Die Bürger zahlten dafür aber einen hohen Preis. Und sie verlieren das Vertrauen in das europäische Projekt. Wir sprachen darüber mit einer Schlüsselfigur des Krisenmanagements: Klaus Regling, dem Chef des Europäischen Stabilitätsmechanismus.

Woher kommt das Geld für den ESM?

Efi Koutsokosta, euronews:
“Sie sind Direktor eines Mechanismus, der auf dem Höhepunkt der Krise geschaffen wurde, um Länder aus der Schieflage zu retten. Sie haben, soweit ich weiß, bislang über 250 Milliarden Euro ausgegeben. Wo kommt dieses Geld her? Ich frage, weil immer wieder über die Belastung für Europas Steuerzahler geredet wird, über Franzosen und Deutsche, die andere Krisenstaaten finanzieren. Ist das so richtig?”

Klaus Regling, Direktor des Europäischen Stabilitätsmechanismus:
“Ja und Nein. Das Geld, das wir diesen Ländern auszahlen, stammt von den Märkten. Wenn wir Griechenland oder auch Irland und Portugal Geld geben, kommt dieses nicht aus dem nationalen Budget unserer Anteilseigner. Dennoch bedeutet die Regelung ein Risiko für die nationalen Haushalte der Anteilseigner, denn wenn sie die Garantie für unsere Operation übernehmen, dann sind dies Risiken, die von den nationalen Haushalten abgedeckt werden – wenn etwas schiefläuft, führen diese Risiken zu realen Kosten.”

Griechenlands langer Weg aus der Krise

euronews:
“Griechenland ist ein spezieller Fall, es ist das einzige Land, das immer noch in einem ESM-Programm steckt und unter Aufsicht steht. Wie ist derzeit die Lage? Was ist vom nächsten Treffen der Eurogruppe zu erwarten?”

Klaus Regling:
“Griechenland ist in der Tat ein spezieller Fall. Alle anderen vier Länder, die erfolgreich ihre Programme beendet haben, brauchten jeweils ein Programm. Griechenland ist im dritten Programm – zum einen, weil die Ausgangslage die schwierigste war und die Fehler bei der Ausrichtung die größten. Zudem gab es einen herben Rückschlag in der griechischen Entwicklung vor einem Jahr: Im ersten Halbjahr 2015 probierte die griechische Regierung einen neuen Ansatz aus, revidierte einige Reformen – und dadurch wurden etliche Fortschritte, die Griechenland 2014 gemacht hatte, wieder zunichte gemacht.”

euronews:
“Hätte Ihrer Ansicht nach das dritte Programm vermieden werden können?”

Klaus Regling:
“Ich weiß nicht, ob man es komplett hätte vermeiden können, doch es wäre mit Sicherheit kleiner ausgefallen. Aber jetzt haben wir dieses dritte Programm, die Kooperation mit der griechischen Regierung trägt wieder Früchte. Und ich sehe gute Chancen, dass beim Treffen der Eurogruppe eine Entscheidung für die nächste Auszahlung fallen dürfte.”

euronews:
“Es wird viel diskutiert über einen Schuldenerlass oder eine Umschuldung für Griechenlad. Es gab ein Statemant der Eurogruppe, dass nach dem Programm ein Mechanismus eingeleitet werden könnte, wenn nötig. Was heißt ‘wenn nötig’? Sind die Schulden nachhaltig oder nicht?”

Klaus Regling:
“Das ist eine große Frage. Dieses Programm hat einen langen Zeitrahmen: Nach seinem Ende werden die Kredite in den nächsten 30 oder 32 Jahren auslaufen. Wir wollen sicherstellen, dass Griechenland in diesem Zeitraum wieder auf eigenen Füßen stehen kann. Wir müssen mit den Ungewissheiten umgehen, die so eine lange Zeit mit sich bringt. Wir alle wissen, dass Vorhersagen immer riskant sind, es gibt sogar für das nächste Jahr Ungewissheiten. Und wenn wir mit einem 30-Jahr-Zeitraum zu tun haben, sind die Ungewissheiten zwangsläufig noch größer. Deshalb ist die Aussage der Eurogruppe angemessen, dass sie bereit ist, Griechenland zu helfen, wenn Griechenland auch Reformen umsetzt. Ich halte das für sehr gut, denn wenn man jetzt alle Entscheidungen träfe, könnte dies zu wenig sein, nicht ausreichend – schwer zu sagen. Wenn es nicht ausreichend wäre, würde Griechenland leiden; wenn es zuviel wäre, wären die Mitgliedsstaaten der Eurozone nicht sehr glücklich.”

Klaus Regling

  • Klaus Regling, in Lübeck geboren, ist Volkswirt und Chef der Rettungsmechanismen der Eurozone, der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) und des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM).
  • Er ist Sohn des Tischlermeisters und sozialdemokratischen Bundestagsabgeordneten Karl Regling.
  • EFSF und ESM haben in den vergangenen fünf Jahren rund 255 Mrd. Euro an Griechenland, Irland, Portugal, Zypern und Spanien ausgezahlt.
  • Regling war im deutschen Finanzministerium in den 90er Jahren maßgeblich am Aufbau des Stabilitäts- und Wachstumspakts beteiligt. Kritiker halten ihm vor, Monetarist zu sein. ---

Was folgt einem EU-Ausstieg Großbritanniens?

euronews:
“In weniger als zehn Tagen entscheiden die Briten über ihren Verbleib in der EU. Wenn sie sich für den Ausstieg aussprechen – wie wird der nächste Tag für Europa aussehen? Was ist Ihre größte Sorge?”

Klaus Regling:
“Politisch wird es für die EU ein großer Verlust sein, wenn Großbritannien aussteigt, deshalb wünscht jede europäische Regierung seinen Verbleib. Wirtschaftlich wird es auch etwas kosten, insbesondere für Großbritannien, darüber gibt es viele Studien. Die genauen Kosten sind nicht bekannt, denn viel hängt davon ab, was in den Folgejahren geschieht, welche Regelungen das Vereinigte Königreich mit der EU findet. Es wird natürlich irgendeine Beziehung geben, es wird Handel geben, aber wie die Beziehungen genau aussehen, wissen wir nicht. Wir wissen nicht, wie lange es brauchen wird, solch eine Vereinbarung zu treffen, und deshalb sind Vorhersagen über das, was passieren wird, sehr schwierig. Es ist auch möglich, dass die Märkte sehr volatil werden.”

euronews:
“Könnte dies eine neue Krise in der Eurozone oder der EU auslösen?”

Klaus Regling:
“Ich weiß es nicht, denn Volatilität der Märkte heißt nicht automatisch Krise. Aber Volatilität der Märkte kann der wirtschaftlichen Entwicklung schaden. Ich sehe daraus aber noch keine Krise hervorbrechen.”

Spezialbehandlung für Frankreich?

euronews:
“Sie sind einer der Architekten des Stabilitätspaktes, wie wir ihn heute kennen. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker ist dafür kritisiert worden, dass er Frankreich noch einmal mehr Zeit gegeben hat, um die Defizitgrenze von drei Prozent zu erreichen. Ist Frankreich ein besonderer Fall?”

Klaus Regling:
“Ich halte es für wichtig, klare Regeln in der Währungsunion zu haben. Denn in der Europäischen Währungsunion haben wir dieses einzigartige Experiment, dass die Währungspolitik komplett zentralisiert ist, mit EINEM Zinssatz, EINEM Wechselkurs. Andere finanzpolitische Maßnahmen und Strukturreformen werden in den einzelnen Ländern dezentral durchgeführt. Und über Jahrzehnte haben immer Leute gesagt, das kann nicht funktionieren. Unsere Antwort war immer, dass es gehen kann, aber gut koordiniert sein muss. Wir haben in den vergangenen Jahren auch den Stabilitätspakt flexibler gemacht, um ihn besser an unterschiedliche wirtschaftliche Lagen anpassen zu können, und das ist meiner Meinung nach gut bis zu einem gewissen Ausmaß.”

euronews:
“Sollte Frankreich mehr Zeit für die Kurskorrektur bekommen?”

Klaus Regling:
“All das hängt von der Analyse ab, für die die Kommission zuständig ist. Und wie gesagt, es werden jetzt mehr Faktoren berücksichtigt, die über die Flexibilität bestimmen. Grundsätzlich müssen alle Länder gleich behandelt werden.”

Rettung der Eurozone

euronews:
“Haben Sie je das Gefühl gehabt, dass die Eurozone auseinanderbrechen könnte?”

Klaus Regling:
“Ich denke, 2011 und 2012 waren wir dem sehr nahe. Aber dank all der verschiedenen Initiativen, der Europäischen Zentralbank, der Finanzstabilisierungsfazilität und des Stabilitätsmechanismus, der Bankenunion und der Korrekturmaßnahmen in den betroffenen Ländern ist es letztlich nicht eingetroffen. Wir standen nah dran, und ohne die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität hätten wahrscheinlich einige Länder die Eurozone verlassen müssen. Ich bin froh, dass das vermieden werden konnte. Wir hatten einige sehr riskante Momente in der vergangenen Jahren, aber ich denke, wir können stolz darauf sein, was wir erreicht haben.”

euronews:
“So riskiert heute kein Land, die Eurozone verlassen zu müssen?”

Klaus Regling:
“Nein, nicht im geringsten.”

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