Wie geht Europa mit IS-Rückkehrern um? | Fragen & Antworten

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Von Linda FischerRachael Kennedy mit dpa, Reuters
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Der Islamische Staat sei besiegt, heißt es. Doch was tun mit den IS-Rückkehrern? Diese Pläne haben europäische Länder.

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Die Nachricht aus Syrien sollte eigentlich für Erleichterung sorgen. Die Beobachtungsstelle für Menschenrechte in London erklärte am Samstag, dass die letzte Stellung des sogenannten Islamischen Staates nicht mehr bestehen würde.

Doch nun stehen nicht nur die am Krieg beteiligten Mächte, sondern auch viele europäische Länder vor der Frage: Wohin mit den IS-Angehörigen – Männer, Frauen und Kinder?

Nach Angaben der Europäischen Kommission haben sich zwischen 2011 und 2016 mehr als 42.000 ausländische Kämpfer terroristischen Organisationen angeschlossen, von denen rund 5000 aus Europa stammen sollen. Viele von ihnen kommen aus Frankreich oder Deutschland.

Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten. US-Präsident Donald Trump tat am Wochenende sein Bestes, um eine Entscheidung zu erzwingen. Auf Twitter forderte er Großbritannien, Frankreich, Deutschland und andere europäische Länder dazu auf, die „mehr als 800 IS-Kämpfer, die wir in Syrien gefangen genommen haben, zurückzunehmen und vor Gericht zu stellen.“ Er drohte damit, sie frei zu lassen, falls das nicht geschieht.

So gehen die einzelnen Länder in der europäischen Region mit der Frage um:

Führen die europäischen Länder ihre Bürger zurück?

Bundesaußenminister Heiko Maas reagierte prompt auf die Forderung Trumps. Am Sonntagabend sagte er in der ARD-Sendung Anne Will, dass Menschen mit der deutschen Staatsangehörigkeit ein Recht zur Wiedereinreise hätten. Allerdings sei es so, dass es in Syrien derzeit überhaupt nicht die Möglichkeit gebe, das zu überprüfen.

Nur selten wagten Ländern den Schritt und holten aktiv IS-Kämpfer zurück:

Im Januar sagte Frankreich Medienberichten zufolge, es erwäge die Rückführung von 130 Männern und Frauen, die vor Gericht gestellt werden sollten. Einen Monat später gibt es dazu allerdings keine Neuigkeiten, die darauf hindeuten, dass Fortschritte gemacht wurden.

Die Republik Nordmazedonien war das erste europäische Land, das im August 2018 IS-Kämpfer zurückholte. Sieben Kämpfer wurden strafrechtlich verfolgt.

In vielen Ländern gibt es Bestrebungen, die Rückkehrer vom eigenen Land fernzuhalten. Medienberichten zufolge, entzog beispielsweise die britische Regierung einigen IS-Angehörigen die britische Staatsbürgerschaft, um eine Wiedereinreise zu verhindern.

Warum sind viele Länder so zögerlich, was die Rückführung angeht?

Im Falle Deutschlands sei Trumps Forderung, so Heiko Maas im ARD-Interview, „außerordentlich schwierig zu realisieren“. Eine Rückkehr sei nur möglich, „wenn sichergestellt ist, dass diese Menschen hier sofort auch einem Verfahren vor Gericht zugeführt werden, wenn sie auch in Untersuchungshaft kommen“. Dafür brauche man Informationen und Ermittlungsverfahren, das sei alles nicht gewährleistet. „Und deshalb stimmen wir uns mit Franzosen, mit den Briten darüber ab, wie damit umzugehen ist.“

Experten haben angedeutet, dass die Zurückhaltung in Europa auch auf die Sorge zurückzuführen sei, dass ein Großteil der Beweise gegen zurückkehrende Kämpfer möglicherweise vor Gericht nicht bestehen könnte.

Shiraz Maher, Direktor des International Centre for the Study of Radicalisation in Großbritannien, schrieb in einem Gastbeitrag auf der Seite von New Statesmen: "Aus allen möglichen rechtlichen Gründen wäre vieles, was in diesem Fall als ‚Schlachtfeldbeweis‘ bezeichnet wird, vor Gericht nicht zulässig, entweder aus Beweisgründen oder wegen der Art und Weise, wie diese erlangt wurden."

Das Ergebnis wäre, dass rückgeführte Kämpfer nach ihrer Rückkehr teilweise wieder freigelassen werden müssten oder wegen geringerer Verbrechen verurteilt werden. Ein Problem, das auf viele europäische Länder übertragen werden kann.

Was ist mit IS-Angehörigen, die behaupten, nicht gekämpft zu haben?

In der Vergangenheit gab es immer wieder Fälle, in denen Rückkehrerinnen – oft waren es Frauen und Kinder – behaupteten, nicht an den Kämpfen teilgenommen zu haben. Der jüngste Fall ist der, der Britin Shamima Begum, die gerade ein Kind zur Welt gebracht hat und zurück nach London möchte.

Maarten van de Donk, Experte für Redadikalisierungsprävention am Radicalisation Awareness Network (RAN) der Europäischen Kommission, kennt diese Fälle. Im Interview mit Euronews sagt er: "Nicht alle Frauen sind unschuldig – einige arbeiteten für die Sharia-Polizei. Und wir wissen auch, dass viele von ihnen rekrutiert haben. Doch das sei sehr schwer zu beweisen. "Es geht also darum, ob wir ihnen eine zweite Chance geben wollen."

Auch Shiraz Maher hat Bedenken. Auf Twitter schreibt er, dass selbst diejenigen, die nicht gekämpft haben, wichtig für die Propaganda des IS seien. "Das sind stark radikalisierte Individuen, die dem IS immateriell unterstützen, indem sie einfach nur dort sind; allein ihre Präsenz auf dem Territorium des IS stellte eine Art moralischen und propagandistischen Sieg für die Gruppe dar", schrieb er.

Was ist mit den vielen IS-Kindern?

Viele europäische Länder scheinen der Rückführung von Kindern Priorität beizumessen. Bereits im Oktober sagte Frankreich, es arbeite an Plänen zur Rückkehr von Kindern, die von ausländischen Kämpfern geboren wurden.

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In Belgien hatte ein Gericht im Dezember angeordnet, dass mehrere belgische Familien mit insgesamt sechs Kindern aus Syrien heimholen muss.

Auch Russland hat bereits Kinder von russischen IS-Mitgliedern aus Syrien und dem Irak nach Hause gebracht. Der Präsident des Russischen Muftirats, Ramil Gaynutdin, sagte, dass die Regierung vorhabe, bis zu 2000 Minderjährige, deren Eltern des Terrorismus beschuldigt werden, aus Gefängnissen im Irak und Syrien zu befreien. Der Plan sei, sie zu deradikalisieren.

In Deutschland hatte das Auswärtige Amt angedeutet, sich zu bemühen, aktiv Kinder aus den Kriegsgebieten heimzuholen.

Gibt es einen Plan für die Wiedereingliederung der IS-Rückkehrer?

Für die meisten Länder kommt die Wiedereingliederung der Zurückgekehrten nicht unerwartet. In vielen Ländern gibt es bereits Deradikalisierungsprogramme, seitdem Islamismus und Salafismus zu größer werdenden Problemen wurden.

Dabei sind die Rückkehrer selbst nur ein kleines Problem. In Deutschland etwa hat das Bundesamt für Verfassungsschutz rund 11.000 Personen unter Beobachtung – 2011 waren es noch etwa 3800 Personen. Dagegen haben bis zum Ende des Jahres 2018 nur etwas mehr als 1000 Menschen das Land in Richtung Syrien oder Irak verlassen – ein Drittel davon befindet sich offenbar wieder in Deutschland.

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In Deutschland können sich Angehörige und Freunde an die Beratungsstelle Radikalisierung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge wenden.

Mehr Informationen dazu finden Sie auf der Webseite der Beratungsstelle Radikalisierung.

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