1 Jahr nach dem rassistischen Anschlag von Hanau: Kritik und offene Fragen

Erinnern an die Opfer des rassistischen Anschlags von Hanau - ein Jahr danach
Erinnern an die Opfer des rassistischen Anschlags von Hanau - ein Jahr danach Copyright Andreas Arnold/AP
Von Euronews mit dpa, FR
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Viele Angehörige der Opfer des rassistischen Anschlags von Hanau fühlen sich von den Behörden allein gelassen. Sie wollen ein Zeichen setzen gegen Rassismus.

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Ein Jahr nach dem Anschlag von Hanau mischt sich in das Gedenken die Forderung, mehr gegen Rassismus und Rechtsextremismus in Deutschland zu tun. In Berlin- Neukölln und in anderen Städten fanden bereits im Vorfeld des Jahrestages Trauerfeiern für die neun Menschen statt, die der Täter 2020 erschoss, bevor er mutmaßlich seine Mutter und dann sich selbst tötete, so auch in Berlin-Neukölln.

Auch ein Jahr nach dem Anschlag gebe es noch viel zu tun, so Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD): "Ich glaube, es muss ein Umdenken stattfinden, das Vielfalt Normalität ist. Ich glaube auch, dass unsere Sicherheitsbehörden sich selber auch immer regelmäßig überprüfen müssen. Ich glaube, dass wir rechtsextremen Terror auch als solchen bezeichnen müssen und genau so auch behandeln müssen."

Kritik: Was hat sich seit dem NSU verbessert?

Auch Kanzlerin Angela Merkel hatte im Vorfeld des Jahrestags in einer Videobotschaft wiederholt, was sie bereits unmittelbar nach Hanau gesagt hatte, dass Rassismus ein "Gift" sei. Zudem sagte sie: "Gewalttaten wie die Morde von Hanau, wie der Anschlag von Halle oder der Mord an Walter Lübcke haben uns auf schreckliche Weise vor Augen geführt, was der Rechtsextremismus anrichten kann. WIr müssen alles daran setzen, dieser verheerenden Ideologie den Boden zu entziehen."

Sie verwies auf Maßnahmen, die der Bund ergriffen habe. So würden die Sicherheitsbehörden neu aufgestellt und zivilgesellschaftliche Programme mehr gefördert.

MigrantInnenorganisationen und den VertreterInnen der Angehörigen reicht das nicht. Sie weisen darauf hin, dass es bereits nach den NSU-Morden ähnliche Versprechen gab und Warnsignalen im Falle des Hanauer Attentäters nicht nachgegangen wurden.

So habe der spätere Täter Pamphlete mit Verschwörungstheorien und seinen rassistischen Ansichten im Internet veröffentlicht. Monate vor der Tat ging ein wirrer Brief von ihm beim Generalbundesanwalt ein.

Zudem wird kritisiert, dass der 43-Jährige trotzdem eine Waffenerlaubnis hatte. Der Opferbeauftragte der Bundesregierung führte unter anderem an, dass Fragen der Hinterbliebenen nach nicht funktionierenden Notrufen nicht ausreichend beantwortet wurden.

"Tot sind wir erst, wenn man uns vergisst"

Die Mutter von Ferhat Unvar trauert jeden Tag um ihren Sohn Ferhat Unvar, der vor einem Jahr im Alter von 22 Jahren bei dem rassistischen Anschlag in Hanau getötet wurde. Ihr Sohn hat in einem Gedicht den Satz geschrieben: "Tot sind wir erst, wenn man uns vergisst".

Serpil Temiz Unvar hat im Namen ihres Sohnes, dem in der Schule von seinen Lehrer:innen nicht viel zugetraut wurde, eine Bildungsinitiative gegründet - gegen rassistisches Denken, damit der Anschlag von Hanau der letzte rassistische Anschlag in Deutschland war.

Mit ihrer Initiative fordert Serpil Temiz Unvar uns alle dazu auf, diesem Freitagabend um 21 Uhr 55 das Licht auszuschalten, um ein Zeichen zu setzen im Kampf gegen die Rassismus: "Neunminütige Dunkelheit für eine leuchtende Zukunft".

Wie viele Familien der Opfer will sie "Erinnerung, Gerechtigkeit, Aufklärung, Konsequenzen" nach den Morden durch einen Neonazi in der Stadt unweit von Frankfurt. "Wir haben uns auf einen langen Weg gemacht, um mal sagen zu können: Ferhat, es hat sich gelohnt.", sagt die Mutter der Frankfurter Rundschau.

Schon kurz nach dem Anschlag war die Initiative #saytheirnames entstanden, um die Namen der Opfer von Hanau nicht zu vergessen.

Michael Probst/Copyright 2021 The Associated Press. All rights reserved
Hanau - ein Jahr nach dem AnschlagMichael Probst/Copyright 2021 The Associated Press. All rights reserved

Tobias R. steuerte am Abend des 19. Februar 2020 verschiedene Lokale an, in denen er laut Ermittlungen gezielt Menschen aus, die er für AusländerInnen oder Kinder von EinwanderInnen hielt. Er erschoss Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kenan Kurtović, Vili-Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar und Kaloyan Velkov innerhalb von zwölf Minuten. Anschließend fuhr er nach Hause und tötete mutmaßlich seine Mutter und sich selbst. Die Bundesanwaltschaft geht davon aus, dass er ein Einzeltäter war.

Ungeklärt ist die Rolle des Vaters des Toten. Er soll ebenfalls Verschwörungstheoretiker und Rassist sein. Die Angehörigen der Opfer verklagten ihn wegen Beihilfe zum Mord. Offiziell ist er Zeuge in dem Verfahren.

Die taz schreibt am Jahrestag des Anschlags unter dem Titel "Aus Hanau nichts gelernt": "Aus den Berichten der Angehörigen geht hervor, dass die Polizeibehörden aus den zahlreichen NSU-Berichten nicht die geringste Konsequenz gezogen haben. Die erste Annahme am Tatort war, es handele sich um eine Art Showdown im Rahmen von „organisierter Ausländerkriminalität“. Das passte auch zu den vorangehenden, bundesweit und regelmäßig stattfindenden Razzien in Shisha-Bars, die nach eigenen Aussagen der Polizei ohnehin nur dazu dienten, das subjektive Sicherheitsempfinden „der Bevölkerung“ zu stärken. Der Verfassungsschutz hat erst seit zwei Jahren einen Präsidenten, der nicht mit der AfD sympathisiert: In Sachen Rechtsterrorismus hinkt die Einrichtung immer noch gnadenlos hinterher. Die Sicherheitsbehörden haben weder im Gefolge von NSU noch von Hanau eine konsequente Organisationsentwicklung durchlaufen, um sich auf die Vielheit der Gesellschaft einzustellen. Es wird nicht einmal verstanden, dass „Profiling“ nach Hautfarbe oder ethnischen Kriterien nicht nur falsch, sondern auch für die eigene Arbeit völlig kontraproduktiv ist."

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