Gefoltert und verbrannt: Schottland könnte bald "Hexen" begnadigen

Eine Abgeordnete des schottischen Parlaments bereitet einen Gesetzentwurf zur Begnadigung der in dem kleinen Land hingerichteten Hexen vor. (Symbolbild)
Eine Abgeordnete des schottischen Parlaments bereitet einen Gesetzentwurf zur Begnadigung der in dem kleinen Land hingerichteten Hexen vor. (Symbolbild) Copyright Canva
Von Naira Davlashyan
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Ist das heutige Frauenbild in Schottland von der grausamen Hexenverfolgung im Land vor mehr als 400 Jahren geprägt? Eine Organisation setzt sich für ihre Begnadigung ein. Ein Interview mit der Anwältin hinter der Initiative.

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Das schottische Parlament wird voraussichtlich bald über die Begnadigung von Tausenden von Menschen diskutieren, die meisten von ihnen Frauen, die vor Jahrhunderten wegen Hexerei vor Gericht gestellt und hingerichtet wurden.

Die schottische Parlamentsabgeordnete Natalie Don schrieb in den sozialen Medien, sie werde im Parlament einen Gesetzentwurf einbringen, "um eine Begnadigung für die Verurteilten und Hingerichteten zu erreichen."

"Die falsche Kriminalisierung dieser Frauen verstärkt nur geschlechtsspezifische Stereotypen in der heutigen Zeit, und ich glaube, dass die Korrektur dieses Unrechts einen echten Beitrag dazu leisten wird, geschlechtsspezifische und patriarchalische Einstellungen, die immer noch in der Gesellschaft existieren, in Frage zu stellen", sagte Don, die Mitglied der Scottish National Party ist.

"Wir hoffen aus Unterstützung aus anderen Parteien freut sich die Anwältin Mitchell, die sich für die Begnadigung von Hexen einsetzt"

Sie dankte der von der Anwältin Claire Mitchell QC geleiteten Gruppe "Witches of Scotland", die sich dafür einsetzt, dass diejenigen, die zwischen 1563 und 1736 der Hexerei beschuldigt wurden, juristisch begnadigt werden und eine offizielle Entschuldigung sowie ein nationales Denkmal erhalten.

"(Don) sieht die Resonanz zwischen dem, was damals geschah, und dem, was heute geschieht. Wir sind in der Gesellschaft immer noch nicht gleichgestellt, und weil wir immer noch nicht gleichgestellt sind, ist es wichtig, anzuerkennen, wenn wir individuell falsch liegen. Und ich denke, dass die Anerkennung bedeutet, dass wir als Gesellschaft wachsen und uns bemühen können, es besser zu machen", so Mitchell gegenüber Euronews.

Diese Personen waren keine Hexen

Sie sagte, dass die Begnadigung dazu dient, offiziell und rechtlich anzuerkennen, dass diese Menschen keine Hexen waren. Die Entschuldigung sei an die vielen Menschen gerichtet, die der Hexerei beschuldigt wurden, aber starben oder wegliefen.

" Einige von ihnen wurden vom Vorwurf der Hexerei freigesprochen, aber dann wurde ihr Leben ruiniert", erklärte Mitchell.

"Man kann nur Menschen begnadigen, die nach einem Prozess verurteilt und für schuldig befunden worden sind. Aber es gab viele Menschen, die von den Hexereiprozessen betroffen waren, die nie verurteilt wurden."

Historiker:innen zufolge wurden etwa 3.837 Menschen aufgrund des schottischen Hexereigesetzes, das fast 200 Jahre lang in Kraft blieb, der Hexerei beschuldigt.

In dieser Zeit galt Hexerei als tödliches Verbrechen. Die Verurteilten wurden zu Tode gewürgt und anschließend auf dem Scheiterhaufen verbrannt, damit die Leiche nicht begraben werden musste. Zwei Drittel der Verdächtigen erlitten dieses Schicksal - eine enorme Zahl für das kleine Land.

Verdächtige wurden auch inhaftiert und gefoltert, um Geständnisse zu erzwingen, während sie auf ihren Prozess warteten. Frauen durften sich zudem nicht selbst verteidigen. Schlafentzug wurde als eine Form der Folter eingesetzt, ebenso wie das Stechen von Verdächtigen mit Nadeln, um Beweise für das Teufelsmal zu finden.

"Eine der beliebtesten Arten zu belegen, dass eine Frau eine Hexe war, waren Beweise zu finden für so genannte 'streitsüchtige Frauenzimmer'. Also Frauen, die mit den Leuten streiten", erklärte Mitchell.

"Das heißt, wenn man dafür bekannt war, dass man sich darüber stritt, wie viel Fleisch man vom Metzger bekommen hatte, oder dass man sich mit seinen Nachbarn zankte, oder wenn man generell eine freimütige Person war, dann konnte das gegen einen als Anschuldigung der Hexerei verwendet werden."

König Jakob VI. von Schottland, der von 1566 bis 1625 regierte, hielt sich für einen Experten in Sachen Hexerei und schrieb 1597 den philosophischen Text "Daemonologie". Während seiner Regierungszeit war die Hexenjagd besonders brutal.

Im Jahr 1736 wurde schließlich anerkannt, dass es keine Hexerei gab, und das Gesetz wurde geändert.

"Ich glaube schon, dass diese Hexenprozesse Auswirkungen haben", sagte Mitchell. "Über einen Zeitraum von mehr als 200 Jahren hatten die Frauen Angst."

"Sie hatten Angst davor, aufzufallen. Sie hatten Angst, ihre Meinung zu äußern, und das hielt die Frauen an einem Ort, an dem sie in Angst lebten. Und das muss sich auf die Psyche der Frauen ausgewirkt haben, die das wiederum an ihre Kinder weitergaben", sagte Mitchell.

Erinnern und Begnadigen ist nicht das Gleiche

Heute gibt es in Schottland kleine Denkmäler für die nach diesem Gesetz Verurteilten, aber die Gruppe "Witches of Scotland" sagt, dass sie "eher an die Hexen erinnern als eine Entschuldigung für diejenigen darstellen, die ihr Leben verloren haben."

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Mitchell sagt, es müsse anerkannt werden, dass diese Frauen Opfer eines Justiz-Irrtums waren. Die Gruppe wünscht sich eine Gedenkstätte, die "einen öffentlichen Raum darstellt, der die Geschichte der Frauen widerspiegelt, der die Geschichte des schrecklichen Justiz-Irrtums, der diesen Frauen widerfahren ist, erzählt und die Menschen darüber aufklärt."

Die Einbringung eines Gesetzentwurfs wird wahrscheinlich ein langwieriger Prozess sein, der die Ausarbeitung, Vorlage und Abstimmung im schottischen Parlament umfasst.

Die Gruppe hofft, dass sich die schottische Regierung am 8. März 2022, dem Internationalen Frauentag, offiziell bei den Opfern entschuldigen wird.

"Das wäre kein Sieg. Ich würde dies als einen positiven Schritt in die richtige Richtung bezeichnen. Wir hoffen sehr, dass wir mit unserer Kampagne Erfolg haben, aber so weit sind wir noch nicht", sagte Mitchell.

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