Bericht erschüttert Portugal: Knapp 5.000 Kinder in der katholischen Kirche missbraucht

Kirche in Lissabon
Kirche in Lissabon Copyright Armando Franca/AP
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Von Euronews mit DPA
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Die Untersuchung geht auf das Jahr 1950 zurück, die meisten Fälle sind heute verjährt. Die Missbrauchsopfer waren im Schnitt 11,2 Jahre jung.

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Die schmerzhafte Schlussfolgerung war erwartet worden, die konkreten Zahlen sind dennoch ein großer Schock. In den vergangenen sieben Jahrzehnten sind mehr als 4.800 Kinder in der katholischen Kirche in Portugal sexuell missbraucht.

Das geht aus dem am Montag vorgestellten Bericht einer unabhängigen Kommission hervor. Bei den zweifelsfrei bestätigten Opfern 4815 handele sich um "eine absolute Mindestzahl", so Ausschuss-Koordinator Pedro Strecht. Seit den 1950er-Jahren habe es wohl viel mehr Fälle gegeben.

Der angesehene Kinderpsychiater sprach von dramatischen Folgen für die Betroffenen. "Ein Großteil der Opfer distanziert sich nach dem Missbrauch von der Kirche als Institution und von der religiösen Praxis. Und diese Haltung bleibt über Generationen hinweg bestehen."

Opfer im Schnitt 11,2 Jahre jung

Die Opfer waren dem Bericht zufolge im Schnitt 11,2 Jahre jung. 25 Missbrauchsfälle seien bereits der Staatsanwaltschaft übermittelt worden, aber viele davon schon verjährt.

Der Ausschuss unter dem Motto "Dem Schweigen eine Stimme geben" hatte seine Arbeit Anfang 2022 aufgenommen, nachdem Portugal von der Enthüllung vieler Missbrauchsfälle erschüttert worden war.

Insgesamt wurden mehr als 500 Zeugen angehört. Die meisten Missbrauchsfälle hätten sich zwischen 1960 und 2000 ereignet.

Nur 4% der Opfer haben irgendwann Anzeige erstattet

Den Angaben zufolge sprach fast die Hälfte (43 Prozent) der befragten Opfer verschiedenen Alters gegenüber dem Ausschuss nach oft jahrzehntelangem Schweigen erstmals über ihr Leiden. Nur 4 Prozent der Opfer habe irgendwann Anzeige erstattet. In 27 Prozent aller Fälle habe der Missbrauch länger als ein Jahr angehalten.

Bis Ende des Monats sollen Kirche und Behörden die Namen aller mutmaßlichen Täter überreicht werden, die noch als Geistliche in der katholischen Kirche aktiv sind.

Für den 3. März ist eine Sondersitzung Bischofskonferenz unter dem Vorsitz von Dom José Ornelas anberaumt. Letzterer sagte in einer ersten Reaktion, es handele sich um eine dramatische Situation, die nicht leicht zu bewältigen sei. Man wolle nun "alle Aufmerksamkeit auf die Missbrauchsopfer richten".

Finanzielle Entschädigungen von bis zu 60 000 Euro pro Opfer stehen zur Debatte, aber Opfer und deren Sprecher wiesen diese Summe empört zurück.

Der französische Kontext

Anlass für die Untersuchung in Portugal (war ein offener Brief, der von Hunderten portugiesischer Katholiken unterzeichnet wurde, die nach dem Skandal um die katholische Kirche in Frankreich eine Untersuchung ähnlicher Missstände forderten. 

In Frankreichwurden mehr als 300.000 Fälle gemeldet, wobei die gleiche Methode angewandt wurde: statistische Extrapolation von direkten Anzeigen.

Ein systemisches Problem

Das Thema hat die Gesellschaft zutiefst erschüttert, auch wenn sich die katholische Kirche wiederholt entschuldigt und die offizielle Rhetorik, die von "Einzelfällen" sprach, revidiert hat.

Eines der schwierigsten Kapitel dürfte die Vertuschung der Fälle durch die katholische Hierarchie sein, ein gemeinsames Merkmal mehrerer der in Portugal vorgetragenen Zeugenaussagen. 

Die Schlussfolgerungen offenbaren ein systemisches Problem, das in der gesamten Institution verbreitet ist und in einem Jahr, in dem der Papst zum Weltjugendtag (1.-6. August) nach Lissabon reist, mehrere Fragen offen lässt.

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