Sind die Moldauer bereit für die EU?

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Von Hans von der BrelieSabine Sans
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Reporter & MoJo-Kameramann Hans von der Brelie war in der Republik Moldau unterwegs: In der Hauptstadt, in Hochhaussiedlungen und auf dem Land, um der Stimmung der Menschen nachzuspüren - die Einschätzungen gehen weit auseinander.

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Die Republik Moldau möchte Mitglied der Europäischen Union werden. Die Staats- und Regierungschefs der EU sind einverstanden, dass demnächst Beitrittsverhandlungen aufgenommen werden. Was halten die Bürger des kleinen Landes zwischen Rumänien und der Ukraine von alldem? Euronews hat seinen Reporter Hans von der Brelie losgeschickt, um mit jungen Menschen aller Bevölkerungsgruppen die Frage zu diskutieren: Wollen wir in sechs Jahren EU-Bürger sein? Zwar befürwortet eine Mehrheit der Moldauer die EU-Pläne der Regierung, doch das Thema ist umstritten. Insbesondere manche russischsprachigen Moldauer stehen unter dem Einfluss Moskau-treuer Medien und lehnen die EU ab. Eine Recherche für Euronews Witness.

Was sagen die Leute auf dem Land?

Erste Station meiner Tour durch Moldau ist Hîrtop, ein kleines Straßendorf mit rund 1000 Einwohnern. Die Menschen hier leben überwiegend von der Landwirtschaft, es gibt eine schmucke Kirche, ein beeindruckendes Kulturhaus, einen Tante-Emma-Laden, gepflegte Bürgersteige und an dessen Rand in regelmäßigen Abständen Sammelbehälter für Recycling-Abfälle. In Hîrtop wird Mülltrennung ernst genommen.

Hier treffe ich Rusanda Curcă. Auf einem Fahrrad kommt sie angeradelt, winkt freundlich in die Kamera. Jeden Tag verlassen Dutzende Menschen Moldau, wandern aus in den wohlhabenden Westen. Doch Rusanda ist geblieben. Die junge Frau steht an der Spitze eines Netzwerks kleiner Dörfer, die mit dem systematischen Ausbau von Kulturangeboten die Landflucht bremsen wollen. Wenn Powerfrau Rusanda nicht gerade die Axt im Garten schwingt, denn in diesen kalten Wintertagen benötigt der Ofen jede Menge Holz zum Heizen, steckt sie ihre Energie in Kunstprojekte und Subventionsanträge. Wir setzen uns auf zwei Holzblöcke im Garten ihres hübschen Dorfhauses, auf dessen Veranda ein schwarzer Hund döst.

Der Reporter mit Rusanda Curcă in ihrem Garten
Der Reporter mit Rusanda Curcă in ihrem Garteneuronews

Euronews: Fühlst Du Dich als Teil der Europäischen Union?

Rusanda Curcă: Teilweise fühle ich schon, dass wir Teil der Europäischen Union sind. Eines Tages werden wir (ganz) von dieser Gemeinschaft akzeptiert sein. Ich glaube, dieses Zugehörigkeitsgefühl begann irgendwann um 2013 herum, als wir visafreien Zutritt zur EU bekamen. Reisen wurde dadurch einfacher, Begegnungen wurden ermöglicht.

Euronews: Fühlen sich die Menschen hier auf dem Land eher dem Osten zugehörig oder dem Westen – oder gibt es hier sowas wie eine gemischte Identität?

Rusanda Curcă: Es handelt sich um eine fluktuierende Identität, weißt Du, wegen der vielen Nationalitäten hier in Moldau. Und wir respektieren diese Unterschiede. Natürlich gibt es da auch Reibungsflächen, bei diesem wechselseitigen Respektieren der Unterschiede, anderer Kulturen. Doch wir probieren es.

Euronews: Geht Dir das zu langsam voran, dieser Beitrittsprozess zur EU?

Rusanda Curcă: Darum geht es nicht, das ist halt der übliche Weg. Aber viele Menschen haben so eine Art Gefühl, zwischen den Stühlen zu sitzen. Einerseits hast Du Freunde in der EU, Du bereist die EU, hast Projekte dort. Auch ich reise viel in Europa herum. Und viele europäische Künstler kommen nach Hîrtop oder in andere Dörfer, es gibt jede Menge Kulturaustausch. Doch andererseits ist da die politische Ebene der ganzen Angelegenheit. Auf menschlicher Ebene gibt es keine Grenzen oder Berührungsängste, da fühlen wir uns als Teil ein und derselben Gemeinschaft. Doch auf der politischen Ebene gibt es diese Einheit nicht.

Rusanda Curcă ist in Moldau geblieben
Rusanda Curcă ist in Moldau gebliebeneuronews

Rusanda lächelt ironisch: "Doch unsere Politiker und auch wir Bürger arbeiten hart und deshalb bin ich optimistisch, dass das klappen wird."

Ein wichtiger Meilenstein für Moldau. Die Kommission (...) würdigt damit unser Engagement für Demokratie und Fortschritt. Die Republik Moldau ist fest auf dem Weg zur EU-Mitgliedschaft und wir werden weiterhin unermüdlich auf dieses Ziel hinarbeiten.

Wie kann man die Jugend im Land halten?

Wir gehen rüber zum Kulturhaus in der Dorfmitte. Girlanden bunter Lämpchen zieren den Eingang, in der Vorhalle ist Folklore ausgestellt, daneben fröhliche Kinderzeichnungen. Im tiefstehenden Licht der goldfahlen Wintersonne leuchten die dicken Fäden, die über einen alten Webrahmen gespannt sind, in den moldauischen Nationalfarben: ein sattes Gelb, kräftiges Rot, freundliches Blau. Teppichknüpfkunst und Weberei sind Teil des moldauischen Kulturerbes. Und das wird gepflegt und geehrt in Hîrtop.

Alte Traditionen wie Teppichknüpfkunst und Weberei werden gepflegt und geehrt in Hîrtop.
Alte Traditionen wie Teppichknüpfkunst und Weberei werden gepflegt und geehrt in Hîrtop.euronews

Doch Rusanda und Kulturhaus-Chef Radu wissen: Um die Jugend zu halten, braucht es mehr. Rusanda hat es geschafft, Staatshilfen zu bekommen. Und zwar richtig viel, im sechsstelligen Bereich! Die studierte Kulturmanagerin hat den Dreh raus, wie man Anträge so formuliert, dass es schwierig ist für Politiker, sie abzulehnen.

Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Seit Herbst 2023 gibt es in Hîrtop ein modernes Kino, ausgestattet mit bequemen Sesseln, einem Projektor mit Klasse Optik – und nicht nur das! Die Dorfjugend freut sich über ein kleines Studio zum Aufnehmen von Podcasts und vorallem über Top-Technik für das DJ-Training. Da haben Rusanda und Radu einen echten Glückstreffer gelandet: Das Ding ist hier bei den Jugendlichen der absolute Renner.

Auch Rusanda übt am Controller, wenn grad sonst niemand seine Finger drauf hat. Techno-Mix ist genauso kreativ wie Gitarren-Gesang, glaubt sie. Mittlerweile kennt sie die nötigen Kniffe, tritt bei Tanzfesten in anderen Städten Moldaus auf - und auch in Rumänien hat sie schon für Stimmung gesorgt. Da schwingt bei Rusanda durchaus ein feministischer Unterton mit, warum stehen fast immer nur Männer am Controller, fragt sie – und erzählt begeistert von der Hîrtoper Dorfjugend, da dürfen alle Jungs und Mädchen gleichermaßen ran an den DJ-Controller.

Es geht nicht nur ums Geld

Bei einem EU-Beitritt könnte die Kultur-Infrastruktur überall im Land ausgebaut werden, nicht nur in Hîrtop. Weshalb Rusanda gelegentlich in die Hauptstadt fährt. Sie versucht in den Ministerien den zuständigen Beamten klarzumachen, dass es nicht nur darauf ankommt, dass irgendwo ein EU-Budget für Kulturentwicklung existiert, sondern viel mehr noch darauf, dass man hier in Moldau in der Lage sein sollte, sinnvolle Projekte zu erarbeiten, kompetentes Personal auf allen Verwaltungsebenen auszubilden, Kulturmanagement professionell anzugehen, um das Geld – so es denn eines Tages fließen sollte – dorthin zu leiten, wo es am dringendsten gebraucht wird, beispielsweise in die ländlichen Bereiche, in die Kleinstädte und Landkreise. Doch es geht Rusanda nicht nur um’s Geld.

Euronews: Europäische Kultur, das ist Gemeinsamkeit in der Vielfalt, wir sind "In Vielfalt geeint" (so das EU-Motto). Wie passt Moldau in dieses Konzept?

Rusanda Curcă: Europäische Kultur ist nicht einfach nur Vielfalt, sondern ebenso kritisches Denken und eine kritische Diskurskultur. Und: es geht auch sehr stark darum, Zusammenhalt zu schaffen.

Euronews: Was soll das konkret heißen?

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Rusanda Curcă: Eine kritische Diskurskultur, nun, damit ist Kunst gemeint, die sich sozial und politisch engagiert. Es gibt viele (moldauische) Künstler, die Themen aufgreifen wie Ausbeutung, sexuelle Belästigung, Gewalt. Und das sind oft Produktionen voller Energie, die auch in EU-Ländern zur Aufführung kommen.

Euronews: Du hast vorhin erwähnt, dass moldauische Kultur auch bedeutet, Zusammenhalt zu schaffen. Was ist damit gemeint?

Rusanda Curcă: Wir haben eine Ess-Kultur, eine Feier-Kultur, eine Tanz-Kultur. Wir feiern die Natur, die Heiligen, religiöse Feste. Und ein fester Bestandteil der moldauischen Kultur ist das Zusammensein, das Zusammentanzen, das Zusammenhalten, das Einander-Aushelfen, wir haben da verschiedene Riten und Rituale, die uns dazu bringen zu helfen und zusammenzuarbeiten.

Rusanda greift zur Gitarre, die neben dem Sofa lehnt, beginnt zu singen. Es ist ein einfaches, melodiöses Lied, Rusandas Stimme kling klar und fest:

Bucurați-vă, prieteni, de prieteni și de frați,

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Bucurați-vă de-un nume ce vi-i dat ca să-l purtați,

Bucurați-vă de-un cântec, de-un amurg cu flori de tei,

Bucurați-vă o viață de lumina dragostei.

(Freut Euch, Freunde, an Euren Freunden und Brüdern.

Freut Euch an dem Namen, den ihr tragt.

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Freut Euch an einem Lied, einem Lindenbaum im Sonnenuntergang.

Freut Euch das ganze Leben lang im Licht der Liebe.)

Politikstudent Nikita ist gegen einen EU-Beitritt

Nächster Zwischenstopp: eine bescheidene Hochhaussiedlung am Rande der Hauptstadt Chişinău. Ein Mann in Bademantel schlurft an mir vorbei, in der Hand eine Plastiktüte. Am Fuß eines Plattenbaus rostet ein alter Lada vor sich hin. Streunende Katzen sonnen sich auf den Stufen. 

Hier treffe ich Nikita Romenskiy, einen 20-jährigen, höflichen Mann mit rundlichem Gesicht und wachen Augen. Politikstudent Nikita engagiert sich seit Jahren in der russlandfreundlichen Sozialistischen Partei Moldaus. Älteren Nachbarn hilft er Rentenanträge auszufüllen und Heizkostenbeihilfe zu beantragen – doch obwohl diese Hilfe von der Europäischen Union mitfinanziert wird, ist Nikita strikt gegen einen Beitritt zur Europäischen Union.

Politikstudent Nikita engagiert sich in der russlandfreundlichen Sozialistischen Partei Moldaus
Politikstudent Nikita engagiert sich in der russlandfreundlichen Sozialistischen Partei Moldauseuronews

Er lädt mich ein auf eine Tasse Tee. Im Flur der kleinen, aber praktisch geschnittenen Hochhauswohnung ziehe ich meine klobigen Reporter-Schuhe aus. Im Wohnzimmer steht ein bequemer Lesesessel, im Regal eine asiatische Winke-Katze neben Heiligenbildchen. Wir kommen ins Reden. Nikita mag Tiere, hat neben dem automatisierten Winke-Tier auch eine echte Katze. Und er mag Sport: Wie Russlands Präsident Putin trainiert Nikita Judo, hat es allerdings erst bis zum braunen Gürtel geschafft.

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Wie denkt ein russlandfreundlicher Sozialist?

Ich werfe einen Blick ins Bücherregal. Dort steht eine Sammlung literarischer Weltklassiker in russischer Ausgabe, von Jack London über Orwell und Hemingway bis hin zu Bulgakow. Als Student Internationaler Beziehungen hat Nikita auch eine russische Übersetzung von Samuel Huntington griffbereit. Aber in seinem Regal entdecke ich auch ein Buch des russischen Ultra-Nationalisten Wladimir Schirinowski, ein Brutalo-Hetzer, der zu Lebzeiten mit rechtsextremen Hassreden um Wählerstimmen warb, eine Atombombe in der Türkei platzieren und die Ukraine besetzen wollte. Unbequemen Journalistinnen drohte er mit Vergewaltigung.

Nikitas Bibliothek - zwischen Klassikern steht das Buch eines rechten Hetzers
Nikitas Bibliothek - zwischen Klassikern steht das Buch eines rechten Hetzerseuronews

Das Schirinowski-Buch in Nikitas Regal zeigt deutliche Gebrauchsspuren, der Schinken steht da nicht nur einfach herum, er wurde sehr aufmerksam gelesen. Ich gewinne etwas Distanz zu meinem so nett und arglos wirkenden Gastgeber. Warum liest ein 20-jähriger Moldauer ausgerechnet Schirinowski? Um herauszubekommen, wie Nikita denkt, woher seine politischen Auffassungen stammen, frage ich nach Kindheit und Jugend.

Nikitas Großvater war überzeugter Kommunist. Daheim am Küchentisch wurde politisiert. Als Kind malte Nikita gerne Sowjetsterne und -soldaten. Lange überlegte er, ob er sich den moldauischen Kommunisten oder doch lieber den Sozialisten anschließen sollte. Im Alter von 14 trat er dann der sozialistischen Jugendorganisation der PSRM, der "Jungen Garde" bei.

Euronews: Ist es eine gute oder schlechte Idee, dass Moldau der Europäischen Union beitritt?

Nikita Anatolievich Romenskiy: Eine radikale Westintegration liegt nicht im Interesse der Bürger der Republik Moldau. - Moldau ist ein kleines Land und sollte eine intelligente, ausgewogene Außenpolitik verfolgen. Wir sind dazu verpflichtet, den Dialog sowohl mit dem Westen wie auch mit dem Osten zu suchen, das ist unser Schicksal.

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Euronews: Und in wirtschaftlicher Hinsicht?

Nikita Anatolievich Romenskiy: Es ist im wirtschaftlichen Interesse der Republik Moldau, die Beziehungen zur Europäischen Union auszubauen, doch zuvorderst sollte dies mit unseren Partnern im Osten geschehen, mit Russland und China, deren große Absatzmärkte Garant für unsere wirtschaftliche Entwicklung sind. Dort können wir unsere Produkte verkaufen. - Äpfel, Konserven, Tomaten, Wein sollten vorzugsweise auf dem östlichen Markt, in Russland verkauft werden. Das hat sich bewährt und darauf sollte aufgebaut werden.

Euronews: Je nach Ausrichtung der jeweiligen Regierung gab es in den vergangenen Jahren bereits Versuche Moldaus, sich dem europäischen Binnenmarkt anzunähern. Was sind Deiner Meinung nach die Ergebnisse?

Nikita Anatolievich Romenskiy: Moldau hatte über einen langen Zeitraum hinweg pro-EU-Regierungen. Leider haben diese Herrschaften lediglich unser Land ausgeplündert. Unter den pro-EU-Regierungen wurden Schulen in Moldau geschlossen. Heute schließen Universitäten und Gesundheitszentren. Wir sehen eine totale wirtschaftliche und soziale Stagnation. - Die Integration der Republik Moldau in die EU in ihrem jetzigen Zustand, in einer Zeit des totalen Staatszerfalls und der Zerstörung, ist völlig inakzeptabel.

Dass die wirtschaftlichen Schwierigkeiten Moldaus zum Teil ein direktes Ergebnis russischer Einmischung sind, denn auch hier dreht der Kreml immer wieder gerne am Pipeline-Gashahn, um nur ein Beispiel zu nennen, lässt Nikita in seinem Anti-EU-Diskurs außen vor. Hinzu kommt, dass Moldau extremen Belastungen durch den von Putin gewollten und begonnenen Ukraine-Krieg ausgesetzt ist: Kein anderes Land der EU hat in Bezug zur Gesamtbevölkerung übergangsweise so viele Flüchtlinge aufgenommen, wie Moldau.

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Moldau - ein gespaltenes Land

Moldau ist de facto ein geteiltes Land. Im Osten der Republik liegt die Region Transnistrien, dort herrschen Kreml-treue Separatisten, bewacht von derzeit geschätzt 3000 russischen Soldaten. Die Wiedervereinigung mit Transnistrien sollte ganz oben auf der Agenda stehen, nicht der Beitritt zur Europäischen Union, findet Nikita – obwohl eine Mehrheit der Moldauer für eine EU-Mitgliedschaft ist.

Nikita erklärt dem Reporter die politischen Zustände in Moldau
Nikita erklärt dem Reporter die politischen Zustände in Moldaueuronews

Nikita nimmt mich mit in die Parteizentrale der Sozialisten. Vor der bunten Wandkarte erklärt er mir Moldaus politisches Durcheinander:

Nikita Anatolievich Romenskiy: Der Osten Moldaus (er deutet auf die Separatistenregion Transnistrien) will sich Richtung Osten entwickeln, sprich: enge Beziehungen mit Russland. Im Süden (er deutet auf Gagausien) plädiert die Mehrheit für eine ausgewogene Außenpolitik, die sich nicht ausschließlich Richtung EU wendet. Im Norden Moldaus (er zeigt auf die Gegend um Orhei) sind Nationalisten, die auf eine Stärkung der Eigenstaatlichkeit drängen. Bleibt das Zentrum, dort unterstützen die meisten Bürger die Europäische Union.

In seiner Freizeit betreut der 20-Jährige ehrenamtlich die Propaganda-Plattform der "Jungen Garde". Für die Jugendorganisation produziert er Videos und bedient "soziale Medien".

Euronews: Wer sind Deine politischen Vorbilder, für Dich ganz persönlich?

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Nikita Anatolievich Romenskiy: Wenn wir über die heutige Zeit reden, dann ist der ungarische Regierungschef Viktor Orbán ein herausragendes Beispiel. Man sollte unbedingt auch starke Führer wie Wladimir Putin und Alexandr Lukaschenko nennen, auch den chinesischen Präsidenten.

Euronews: Was genau stört Dich an einer EU-Mitgliedschaft?

Nikita Anatolievich Romenskiy: Über Moldau schwebt derzeit die Bedrohung zu verschwinden, und zwar wegen der Politik unter der Ägide fortschreitender EU-Integration. – Die Idee der Souveränität sollte gestärkt werden, die Idee des "Moldauismus". Die Liquidierung eines Staates darf nicht akzeptiert werden. Das ist das Allerwichtigste.

Euronews: Könnte Moldau eines Tages Mitglied der NATO werden?

Nikita Anatolievich Romenskiy: Laut Verfassung ist die Republik Moldau ein neutraler Staat. Unsere Neutralität garantiert, dass wir kein Kanonenfutter in den Schlachten der geopolitischen Kräfte werden.

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Nadejda: Powerfrau und überzeugte Europäerin

Szenenwechsel. In einem Industriegebiet am Rande der Hauptstadt treffe ich Nadejda. Hier produziert die 26-Jährige Brotaufstriche der absoluten Extraklasse (der Euronewsreporter vor Ort durfte einen Geschmackstest machen und bestätigt hiermit: besser als alle Westprodukte). Mandeln, Kirschen und Haselnüsse kommen aus Moldau, Erdnüsse aus Brasilien und Fettmilch aus Polen.

Auf einen Kaffee mit Powerfrau Nadejda
Auf einen Kaffee mit Powerfrau Nadejdaeuronews

Die überzeugte Europäerin expandiert, Maschinen für die Schokoladen- und Eiscreme-Produktion sind schon bestellt. Im März soll eine weitere Produktionslinie aufgebaut werden.

Euronews: Moldau wird vielleicht schon bald Mitglied der Europäischen Union, was hältst Du davon?

Nadejda Hadjîvu: Das ist gut, vielleicht haben wir dann Zugang zu mehr Märkten/Absatzgebieten, wo wir unsere Produkte verkaufen können.

Euronews: Und inwieweit könnte das Etikett "made in Europe" nützlich für Dich sein?

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Nadejda Hadjîvu: Das (Label) wäre ein Mittel für uns, einfacher zu exportieren. Wenn wir Teil der EU sind, werden sich einige Türen einfacher öffnen lassen.

Nadejda ist überzeugt vom Potenzial Moldaus
Nadejda ist überzeugt vom Potenzial Moldauseuronews

Neulich ersetzte Nadejda eine chinesische Schrottmaschine durch ein italienisches Qualitätsprodukt. Ein konkreter Vorteil einer EU-Mitgliedschaft Moldaus wäre aus ihrer Sicht der Wegfall von Zöllen, beispielsweise beim Kauf von Maschinen made in Europe. Doch das ist nicht alles.

Euronews: Du hast eine musische Ausbildung. Eine Zeitlang hast Du überlegt, beruflich in den Tennis-Sport einzusteigen. Musik, Sport - aber mit Wirtschaft hattest Du bislang rein gar nichts zu tun! Warum dieser Wechsel aus der Welt der Noten und Tennisbälle, in die Welt der Zahlen und Maschinen?

Nadejda Hadjîvu: Nichts ist unmöglich, verwirkliche Deinen Traum! – Ich will meine Fertigung hier in Moldau aufbauen. Und wenn jemand aus Frankreich oder Spanien das Produkt sieht und sich denkt: Oh, jemand aus Moldau stellt das her! Dann mache ich Moldau ein Stückweit bekannter durch das hier hergestellte Produkt.

Nadejda ist eine Powerfrau und überzeugte Europäerin
Nadejda ist eine Powerfrau und überzeugte Europäerineuronews

Euronews: Auf dem europäischen Binnenmarkt muss man wettbewerbsfähig sein, um mithalten zu können. In welchen Bereichen ist die Wirtschaft Moldaus wettbewerbsfähig – oder könnte es bald werden?

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Nadejda Hadjîvu: Wir haben hier in Moldau großes Potenzial. Wir müssen mehr im Bereich der Lebensmittelindustrie wachsen, auch im produzierenden Gewerbe und in der Landwirtschaft. Dann bleiben die Leute auch hier (und wandern nicht ab), wir können mehr Leute einstellen.

Als Putzfrau, Verkäuferin und Tennistrainerin in den USA sparte Nadejda etwas Geld. Doch als sie erneut nach Kalifornien wollte, durchkreuzte COVID-19 ihre Pläne. Sie blieb in Moldau und gründete kurz entschlossen ihr eigenes Start-up. Mit einem Lächeln um die Augen erzählt sie mir ihre Geschichte:

Nadejda Hadjîvu: Alles begann mit einem Scherz, damals während der Pandemie. Ich wollte bei mir zu Hause Erdnussbutter herstellen. Ich mag Erdnussbutter seit meinem Aufenthalt in den USA wirklich gerne. Damals, während der Pandemie, habe alle meine Freunde immer auf Facebook gepostet, was sie gerade daheim machen, ich auch. Und über Nacht hatte ich auf einmal 1000 Bestellungen für meine hausgemachte Experiment-Butter (in der Mailbox). Am nächsten Morgen habe ich mir gesagt, ich weiß zwar nicht wie, aber ich werde meine eigene Produktion hier in Chişinău aufbauen. – Mir gefällt die Idee etwas zu schaffen, das Dein Leben überdauert, das bleibt.

Euronews: War der Anfang schwierig?

Nadejda Hadjîvu: Klar, ich habe jede Menge Fehler begangen, Maschinen gingen kaputt, ich musste kiloweise Zutaten entsorgen, weil etwas angebrannt war oder das Mischungsverhältnis nicht stimmte. Aber man lernt durch seine Fehler. Und man darf nicht aufgeben, wenn man von etwas überzeugt ist. Durch Erfahrung und Ausprobieren kann man einfach alles lernen. Mein ganzes früheres Leben habe ich nur Sport getrieben und musiziert – und jetzt bin ich auf einmal mitten in der Lebensmittelindustrie angekommen.

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Die Marke "Moft" soll bald ein Begriff werden in Moldau
Die Marke "Moft" soll bald ein Begriff werden in Moldaueuronews

Nadejdas Brotaufstrich ist (noch) nicht überall erhältlich, derzeit liegen die Leckereien in den Regalen von rund 50 Geschäften, die allermeisten davon in Moldau. Doch nun hat es die Selfmadefrau geschafft, auch mit einigen bekannten Supermarktketten Verträge zu schließen. Sie glaubt, dass die Marke Moft bald ein Begriff sein wird, so wie Nutella oder Coca-Cola. Der europäische Binnenmarkt ist für Nadejda das Sprungbrett zum Weltmarkt, davon ist sie felsenfest überzeugt.

Die vielen Gesichter Moldaus

Die Republik Moldau hat viele Facetten. In manchen Dörfern wird Rumänisch gesprochen, anderswo Russisch. Gelegentlich – aber durchaus nicht immer - verlaufen die europapolitischen Trennlinien entlang der Sprachgrenzen, manchmal verlaufen sie entlang politischer Klan-Strukturen, manchmal spielt Ostalgie eine Rolle, manchmal geht es auch einfach nur um rationale wirtschaftliche Überlegungen. Oder, auch das gibt es, es geht um gemeinsame Werte, die Erfahrung in einem gemeinsamen Kulturraum zu leben.

Die in Moldau im Kleinen zu beobachtenden Konflikte und gesellschaftlichen Reibungsflächen finden sich auch andernorts auf dem europäischen Kontinent. Eine Gesellschaft sucht sich selbst im Spannungsfeld zwischen Tradition und Moderne, zwischen Stadt und Land, zwischen Generationen und unterschiedlichen Lebenserfahrungen. Viele Moldauer haben lange Zeit in Russland als Gastarbeiter Geld verdient. Viele andere Moldauer leben in der EU und arbeiten hart. Manche führen ein Pendelleben zwischen Ost und West. Das prägt. Und es beeinflusst Denkmuster, persönliche Ab- und Zuneigungen, politische Entscheidungen.

Moldau will 2030 EU-Mitglied werden, so die selbst gesteckte Zielmarke. Ob das klappt? Sicher ist es nicht. Denn "kostenlos" ist ein EU-Beitritt nicht zu haben, die Verhandlungen sind oft lang, mühevoll und im Detail kompliziert (ein Blick Richtung Westbalkan-Staaten zeigt dies auch heute wieder). Bedingungen für einen moldauischen Beitritt zur Europäischen Union sind ein grundlegender Umbau von Justiz, Wirtschaft und Politik, ein nachhaltiger Kampf gegen Korruption auf allen Ebene. Der Umbau hat bereits begonnen. Und er macht Fortschritte. Doch einfach wird der Weg in die Europäische Union nicht werden, das steht fest. Und im Hintergrund agiert Russland mit Störmanövern, Geldkoffern und Geheimagenten, dem Schüren innergesellschaftlicher Konflikte und der Instrumentalisierung russischsprachiger Gruppen. Manchmal funktioniert das, manchmal auch nicht, wie sich bei den jüngsten Lokalwahlen in Moldau gezeigt hat.

Zum Abschluss dieser Reportagereise quer durch Moldau mache ich noch einmal einen Abstecher zu Rusanda aufs Land, nach Hîrtop. Rusanda zeigt mir den alten Bunker unter dem Kulturhaus. Dort wo früher zu Zeiten des Kalten Krieges Luftalarm geübt wurde, tanzt nun immer wieder freitags die Dorfjugend. Dorfdisko mit Techno-Gewummer statt Bunker-Mief mit Gasmasken, na, wenn das mal keine Änderung zum Guten ist…

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Was macht Moldaus Kultur aus?

Zeitgenössische Künstler aus der ganzen Welt stellen hier mittlerweile aus. Bekannte Fotografen machen Halt in Hîrtop. Installationen erinnern an Krieg und Leid. Kein Wunder, schließlich grenzt Moldau an die Ukraine. Aber auch die eigene, moldauische Dorfkultur hat hier ihren Platz gefunden.

Zeit für eine letzte Tasse Kaffee mit Rusanda.

Euronews: Was ist Moldaus Kultur?

Rusanda Curcă: Es ist eine Mischung aus Tradition und Moderne. Du willst Dein Kulturerbe bewahren, aber auch weiterentwickeln, um neue Perspektiven zu finden, zuversichtlich auf das Kommende zu blicken. Dabei spielt auch (unsere) Mehrsprachigkeit eine Rolle! – Die europäische Kultur wird mit unserer moldauischen Kultur vielfältiger.

Im Nachbarraum probt der Dorf-Chor "Salcioara". Das "Weidenbäumchen", so der Name des in der Republik Moldau bekannten Folklorechors, soll in einigen Tagen bei einer Live-Sendung des moldauischen Fernsehens in der Hauptstadt auftreten. Das Interessante bei "Salcioara", fällt mir plötzlich auf, ist die Tatsache, dass hier wirklich alle mitsingen: Die Techno-begeisterte Dorfjugend singt die traditionellen, pulsierenden Lieder aus dem übervollen moldauischen Folklore-Liedgut genauso auswendig mit, wie die Rentner mit von harter Landarbeit gezeichneten Gesichtern oder die in der Blüte des Lebens stehenden Mütter und Familienväter. Ein Dorf, in dem noch gelebt wird, in dem die Menschen sich sicht- und hörbar wohlfühlen in ihrer Haut, in ihrer alten und neuen Kultur, in Tradition und Moderne. Ein durch und durch moldauisches – und europäisches Dorf.

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Weitere Quellen • Fixer & Übersetzer: Valentina Iusuphodjaev; Übersetzer: Alexander Kasakewitsch; Schnitt: Stéphane Petit; Ton: Nathalie Vanel; Produktion: Alice Vignon; Grafiken: Stéphane Bonhomme, Lionel Grandclement; Fahrer: Pavel; Produktionsleitung: Sophie Claudet

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