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Europas existenzielle Krise: EZB-Präsidentin Lagarde fordert dringende Reformen

Archivfoto. EZB-Präsidentin Christine Lagarde spricht bei der Pressekonferenz nach der Sitzung des EZB-Rates in Florenz, Italien. 30. Okt. 2025.
Archivfoto. EZB-Präsidentin Christine Lagarde spricht auf der Pressekonferenz nach der Sitzung des EZB-Rats in Florenz, Italien. 30. Oktober 2025. Copyright  LaPresse
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Von Piero Cingari
Zuerst veröffentlicht am
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EZB-Präsidentin Christine Lagarde fordert die EU-Kommission auf, interne Handelsbarrieren abzubauen. Sie warnt: Sie lähmen die Wettbewerbsfähigkeit.

EZB-Präsidentin Christine Lagarde warnt scharf vor einem Verlust an Wettbewerbsfähigkeit in der Europäischen Union. Sie fordert die Europäische Kommission auf, interne Schranken rasch abzubauen. Sie bremsen Innovation, Produktivität und Investitionen in der gesamten EU.

In einem Grundsatzinterview mit Martin Wolf, Chefwirtschaftskommentator der Financial Times, sagte Lagarde am Mittwoch, die Eurozone habe sich trotz geopolitischer und wirtschaftlicher Schocks als widerstandsfähig erwiesen. Zugleich betonte sie, dass tiefere Strukturreformen nötig seien, um das volle Potenzial zu heben. Allein mit Geldpolitik sei das nicht zu erreichen.

„Wir liegen recht nahe am Potenzial, aber bei der Produktivität im Euroraum gibt es noch viel zu tun“, sagte Lagarde.

Lagarde verwies auf „selbstauferlegte Zölle“, die den freien Verkehr von Waren und Dienstleistungen innerhalb der EU weiterhin einschränken.

Nach Schätzungen der EZB entsprechen interne Handelshemmnisse einem effektiven Zoll von 110 Prozent auf Dienstleistungen und 60 Prozent auf Waren zwischen Mitgliedstaaten. Dieses Niveau nannte sie „erstaunlich“.

„Wir haben ein besonderes Talent, uns das selbst anzutun“, sagte sie.

„Wir beschränken den Verkehr von Waren und Dienstleistungen zwischen Mitgliedstaaten, die eigentlich einen Binnenmarkt bilden. Das müssen wir schnell beheben.“

Lagarde warnte, die Zersplitterung durch nationale Regeln, die über EU-Vorgaben hinausgehen, schwäche Europas Fähigkeit, global zu konkurrieren.

„Alle wollen schönreden, übererfüllen und noch ein bisschen drauflegen“, sagte sie mit Blick auf die Neigung nationaler Behörden, über Brüsseler Vorgaben hinaus zusätzliche Regulierung aufzubauen.

Ein „Europa-Moment“ gegen die existentielle Krise

Lagarde sagte, Europa stecke weiter in einer existenziellen Krise. Zugleich eröffne sich eine historische Chance.

„Ich glaube weiterhin, dass wir mitten in dieser existenziellen Krise sind. Gleichzeitig sehe ich einen Euro-Moment, vielleicht sogar einen Europa-Moment“, sagte sie.

„Wenn wir klug sind und schnell handeln, können wir diesen Moment zur Antwort auf die Krise machen.“

Im Zentrum dieser Wende sieht Lagarde den Aufbau einer echten Kapitalmarktunion, ein lang gehegtes, aber unvollendetes Projekt. Sie sei unverzichtbar, damit europäische Innovatoren Wachstumskapital in Europa finden und nicht auf US-Risikokapital angewiesen sind.

„Am Anfang steht das Geld. Wir haben Talent, wir haben Innovatoren. Entscheidend ist, dass sie ausreichend Finanzierung erhalten“, sagte Lagarde.

Sie beklagte den anhaltenden Abfluss europäischer Ersparnisse über den Atlantik. Die EU müsse ihr geistiges und finanzielles Kapital halten und mobilisieren.

Lagarde nahm nationale Regierungen und EU-Institutionen gleichermaßen in die Pflicht. Sie drängte die Europäische Kommission, die Hürden für einen funktionierenden Binnenmarkt und ein integriertes Finanzsystem entschlossen zu beseitigen.

Offen für gemeinsame Anleihen zur Verteidigung

Lagarde zeigte sich offen für gemeinsame europäische Anleiheemissionen, besonders zur Finanzierung der Verteidigung, analog zur historischen Reaktion der EU auf die COVID-19-Krise.

„Das haben wir in der COVID-19-Krise getan, weil es um das Überleben ging. Verteidigung ist gleichermaßen eine Frage des Überlebens und der Dringlichkeit“, sagte sie. Es sei „ein Musterfall“ für gemeinsame Emissionen.

Während Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zuletzt ins Spiel brachte, das Mandat der EZB um Wachstum neben Inflation zu erweitern, hielt Lagarde dagegen: Geldpolitik allein löst Europas Strukturprobleme nicht.

„Würden extrem niedrige Zinsen oder Anleihekäufe (QE) die Barrieren beseitigen, von denen ich sprach? Nein“, sagte sie. Sie bekräftigte den gesetzlichen Fokus der EZB auf Preisstabilität. Wachstum und Produktivität fließen in die Entscheidungen ein.

Gegenwind aus den Mitgliedstaaten

Trotz Rückenwind bleibt der politische Widerstand gegen Reformen wie die Kapitalmarktunion oder eine tiefere Finanzintegration groß.

„Es wird Gegenwehr aus vielen Ecken geben, von Menschen, die sagen: ‚Uns geht es in unserer Ecke Europas sehr gut, lasst uns in Ruhe.‘“

Die Worte der EZB-Präsidentin kommen in einer kritischen Phase. Europa steht unter wachsendem globalem Wettbewerbsdruck, leidet unter schwacher Produktivität und einer zersplitterten Regulierung.

Ihre Botschaft an Brüssel war klar. Die Zeit zum Handeln ist jetzt.

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