Blaue Biowirtschaft: der Aufbau einer europäischen Algenindustrie

Mit Unterstützung von The European Commission
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Von Denis LoctierSabine Sans
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Algen werden in der "Vom Hof auf den Tisch"-Strategie der EU als wichtige Quelle alternativer Proteine ​​für ein nachhaltiges Ernährungssystem genannt, auch ihre Rolle beim Klimaschutz wird betont.

Algen stellen eine weitgehend ungenutzte Ressource dar, die – mit einem begrenzten Kohlenstoff- und Umweltfußabdruck – zur Herstellung von Lebensmitteln, Futtermitteln, Arzneimitteln, Biokunststoffen, Düngemitteln und Biokraftstoffen genutzt werden kann. Die Europäische Kommission will mit der Algeninitiative die nachhaltige Produktion, den sicheren Verbrauch und die innovative Nutzung von Algen und Algenprodukten ausbauen. Das soll dazu beitragen, die Ziele des europäischen Grünen Deals, den Übergang zu einer grünen, kreislauforientierten und kohlenstoffneutralen EU und eine Erholung nach der Covid-19-Krise zu erreichen. 

Meersalat aus Schweden

In den sauberen Küstengewässern Westschwedens, nicht weit von Göteborg entfernt, hängen kilometerlang Seile knapp unter der Wasseroberfläche.

Die Algenplantage ist eine neue Anbaufläche, die von Gaëtan Zackrisson und seinem Team bewirtschaftet wird. Es ist gerade Zeit für den Anbau, heute bepflanzen sie weitere Seile mit winzigen Algenkeimlingen. Meersalat oder Ulva ist eine Versuchspflanze, die normalerweise nicht auf Algenfarmen im Meer angebaut wird. 

"Wir werden die Algen im Meer anbauen, aber sie sind bereits essbar", erklärt Gaëtan Zackrisson, Prozess- und Kulturentwickler bei Nordic Seafarm. "Sie schmecken gut. Die Grünalgen sind sehr klein, aber sie werden bis zu 50 Zentimeter lang – daraus wird ein knackiger Salat."

Immer mehr solche Plantagen entstehen an europäischen Küsten. Die meisten von ihnen produzieren Zuckertang oder andere gängige Algensorten. Meersalat hat mehr Proteine und ist weniger salzig, das macht ihn schmackhaft und man kann ihn leicht zubereiten. Sein Anbau bleibt jedoch eine Ausnahme: Die Methoden für eine groß angelegte Produktion auf See sind noch nicht ausgereift. In Schweden glaubt man sich auf dem richtigen Weg. Die Pilotplantage wurde innerhalb eines Jahres um das 100-fache vergrößert. Man rechnet damit, in ein paar Monaten 20 Tonnen Meersalat zu ernten. 

Das von der Europäischen Union unterstützte Projekt entstand aus der wissenschaftlichen Forschung. Nordic Seafarm begann als Ausgründung einer Universität. Mitbegründer Göran Nylund ist ein Forscher, der sich seit 20 Jahren mit Algen beschäftigt. Der Erfolg der Freiwasserkultur hängt weitgehend von der wissenschaftlichen Auswahl und Aufbereitung der Algen ab. In sonnenreichen Regionen wird Ulva in Tanks an Land gezüchtet. Für Länder wie Schweden hat der Anbau im Meer jedoch viele Vorteile: Er beansprucht kein wertvolles Land, ist nicht auf teure Infrastruktur oder Düngemittel angewiesen und kann leicht ausgeweitet werden. 

"Was Sie auf dem Wasser gesehen haben, ist das Ergebnis unserer Forschungsarbeit an Land", sagt Göran Nylund, Produktions- und Anbaumanager bei Nordic Seafarm. "Wenn wir früher mit Ulva gearbeitet haben, ist uns das nie in diesem Umfang gelungen. Wir arbeiten an Verfahren, einer Methode, um dieses Saatgut in großem Maßstab zu produzieren."

Nachfrage nach nachhaltigen Lebensmittelalternativen

Das neue Angebot entspricht der wachsenden Nachfrage nach nachhaltigen Lebensmittelalternativen. Das Signum Restaurant ist eines von vielen, die von Nordic Seafarm mit Algen beliefert werden. Thomas Sjögren, ein schwedischer Starkoch, ging früher jeden Morgen ans Meer, um frische Algen zu sammeln - jetzt stehen in seinem Restaurant neben Zuchtfisch und lokal angebautem Gemüse auch Meeresalgen auf der Speisekarte. Um ein Stück Heilbutt gewickelt, wird der Meersalat beim Braten zu einer dünnen, knusprigen Kruste, so der Küchenchef und Eigentümer des Signum Restaurants:

"Man erhält mehr Geschmack, eine gewisse Salzigkeit, der Umami-Geschmack passt gut zu einem Weißfisch, der normalerweise ziemlich fade ist - er braucht etwas Würze, ihn mit etwas aus dem Meer zuzubereiten und zu aromatisieren - das passt wunderbar!"

Algen sind ein Grundnahrungsmittel in der asiatischen Küche, bei europäischen Verbrauchern sind sie noch relativ unbekannt. Doch viele glauben, dass sich das bald ändern wird. Immer mehr Restaurants setzen auf lokal angebaute Algen, gesundes und nachhaltiges Essen bleibt ein Trend. Angesichts des Durchbruchs bei den Anbautechnologien erwartet die Branche eine sogenannte "blaue Revolution", die den Übergang zu einer grünen, kreislauforientierten und kohlenstoffneutralen EU fördern soll.

"Im Moment ist alles ziemlich uneinheitlich, jeder macht sein eigenes Ding, die Vorschriften sind in den verschiedenen Ländern unterschiedlich", sagt Jonatan Gerrbo, Betriebsentwickler bei Nordic Seafarm. "Wir haben die Idee, ein Netzwerk von zertifizierten Betrieben aufzubauen, wir wollen den positiven Einfluss maximieren und es den Kunden leichter machen, das passende Produkt auszuwählen."

Um die Entwicklung einer europäischen Algenindustrie zu beschleunigen, hat die Europäische Kommission eine Algeninitiative gestartet - Maßnahmen zur Steigerung der nachhaltigen Produktion, des sicheren Verbrauchs und der innovativen Nutzung von Algen.

Frische Spirulina aus Lettland

In Riga hat ein kleines lettisches Unternehmen einen innovativen Weg gefunden, Spirulina zu produzieren - eine winzige blaugrüne Alge, die weltweit als Nahrungsergänzungsmittel verwendet wird. Das von zwei Ingenieurinnen gegründete und von der EU unterstützte Unternehmen "SpirulinaNord" vertreibt die Alge als Superfood mit klinisch nachgewiesenen gesundheitlichen Vorteilen. Kristine Vegere, Miteigentümerin von "SpirulinaNord" schwärmt:

"Spirulina hat eine einzigartige Zusammensetzung: Sie enthält viele Antioxidantien, B-Vitamine, Eisen, Kalzium - mehr als 200 wertvolle Elemente für unseren Körper."

Sie züchten frische Mikroalgen in einem geschlossenen System. Getrocknete Spirulina-Ergänzungsmittel sind oft wegen ihres starken Geschmacks unbeliebt. Frische Spirulina hat diesen Nachteil nicht. Das Unternehmen mischt seine täglichen Ernten mit lokalen Bio-Säften und verkauft sie als gesunde Getränke oder als Sirup.

Das lettische Unternehmen setzt auf Stadtbewohner, die gesundheitsbewusst genug sind, um dieses eher teure Nahrungsergänzungsmittel in ihren regelmäßigen Speiseplan aufzunehmen. Eine der Zielgruppen sind Kunden von Sport- und Wellnesszentren sowie Gesundheitskliniken, die ihren Patienten Spirulina empfehlen könnten. Klinische Studien zeigen eine Reihe positiver Wirkungen von Spirulina-Nahrungsergänzungsmitteln - sie helfen bei Müdigkeit und Entzündungen, reduzieren Übergewicht, senken Cholesterin und Blutdruck. Die Ärztin für innere Medizin Liene Martinsone-Berzkalne meint: "Wir kennen die Vorteile von Spirulina in seiner früheren Form als Pulver. All diese Vorteile blieben erhalten. Jetzt muss man sehen, wie nützlich die flüssige Form in Zukunft sein wird."

Ein weiterer vielversprechender Markt sind Bio-Supermärkte - das Unternehmen verkauft seine Getränke, Sirupe und gefrorenes Spirulina an mehreren Standorten in Lettland und anderen baltischen Staaten. Kunden, die bereit sind, etwas mehr für gesündere und umweltfreundlichere Produkte zu bezahlen, muss man davon überzeugen, dass nicht alle Spirulina-Produkte den starken Geschmack des Trockenpulvers haben. 

Einige der Stammkunden sind Männer, aber der größte Teil der Kundschaft sind Frauen, erzählt Agnese Stunda-Zujeva: _"_90 % der Kunden sind Frauen in allen Altersgruppen, aber vor allem junge Mütter. Junge Mütter gehen zur Arbeit und kümmern sich um die Kinder, bereiten das Abendessen zu und erledigen alles andere. Sie brauchen diesen Energieschub am Abend."

Das Unternehmen steht in den Startlöchern, seine Produktion auszuweiten, wenn mehr Kunden Algen für sich entdecken.

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