Das Unwettertief Claudia hat in Portugal schwere Schäden angerichtet und erneut die wachsende Gefahr extremer Wetterereignisse offenbart. Experten warnen, dass Tornados und Starkregen kaum präzise vorherzusagen sind.
Das Unwettertief Claudia hat für Überschwemmungen und weitreichende Zerstörung in Portugal gesorgt. Nach Angaben des Katastrophenschutzes sind bereits drei Menschen ums Leben gekommen.
Die Regionen Setúbal, Porto und die Algarve sind laut der portugiesischen Behörden am stärksten betroffen. Die Menschen sind mit extremen Niederschlägen und starkem Wind konfrontiert.
In der Algarve-Stadt Albufeira kam es zu einem Tornado, in dem eine 85-jährige Britin ums Leben kam und der erhebliche Schäden an einem Hotel und einem Campingplatz verursachte.
Doch das Unwettertief Claudia war nicht nur in Portugal zu spüren. Die Auswirkungen waren auch in Spanien, Irland, England und Wales zu spüren. An verschiedenen Orten wurden Überschwemmungen verzeichnet.
In den vergangenen Jahren wurde zunehmend über die Folgen extremer meteorologischer Phänomene berichtet. Ein Beispiel dafür war das DANA (Depression Isolated at High Levels), das Spanien und insbesondere die Region Valencia im Oktober letzten Jahres heimsuchte und mehr als 200 Todesopfer forderte. Ein Jahr später war auch die spanische Insel Ibiza von schweren Überschwemmungen betroffen, während Frankreich die Auswirkungen des Sturms Benjamin zu spüren bekam.
Treten diese Phänomene wirklich immer häufiger auf? Wie genau lassen sich Tornados vorhersagen? Ist das Land darauf vorbereitet, in Zukunft mit ähnlichen Situationen umzugehen?
Was geschah in Albufeira?
Paulo Pinto, Meteorologe am Portugiesischen Institut für Meer und Atmosphäre, erklärte im Gespräch mit Euronews, dass in Albufeira eine Gewitterwolke aufgrund bestimmter Umstände organisierte Luftzirkulationen in sich aufgenommen habe und so der Tornado entstanden sei.
Für die Entstehung eines Tornados müsse laut Pinto eine sogenannte Windscherung vorliegen: Der horizontale Wind in der unteren Atmosphäre – in den ersten zwei- bis dreitausend Metern – unterscheide sich in Richtung und Geschwindigkeit deutlich von den Luftströmungen in etwa sechstausend Metern Höhe. Diese Unterschiede führten schlussendlich zu einem Wirbel, „bei dem die Luft entlang einer nahezu vertikalen Achse rotiert und vom Boden bis zur Basis der Mutterwolke aufsteigt“.
Der Klimatologe Carlos da Camara ergänzte gegenüber Euronews, dass die extremen Wetterereignisse der vergangenen Tage in Portugal auf ein „kaltes Tief“ zurückzuführen seien. Dies ist ein Phänomen, das sich von den üblichen „Fronttiefs“ unterscheidet. Letztere entstehen durch den Kontrast zweier Luftmassen, einer kalten und trockenen sowie einer warmen und feuchten, und führen zu Instabilitäten wie Regen und Wind.
Fronttiefs seien typischerweise mobil, zögen „von Westen nach Osten“ und bräuchten nur wenige Stunden, um ein Gebiet zu überqueren. Bei Kaltlufttiefs wie dem aktuellen hingegen „kreisen die Winde fast gegen den Uhrzeigersinn“, sodass im Zentrum ein markantes Tiefdruckgebiet entstehe, das sich zum Rand hin verstärke.
Treten diese Phänomene heute häufiger auf als in der Vergangenheit?
Der Klimatologe des Instituts Dom Luiz (IDL) der Universität Lissabon betont, dass das Phänomen in Portugal keineswegs neu sei. „Kaltlufttiefs treten hier häufig auf und sind oft für Überschwemmungen verantwortlich“, erklärt er.
Mit Blick auf den Klimawandel führt er aus, dass die zunehmenden Treibhausgasemissionen dazu beitragen, „mehr Energie in der Atmosphäre zu speichern“. Diese zusätzliche Energie könne leichter in Bewegung umgesetzt werden – also starke Winde antreiben – und mache derartige Extremereignisse wahrscheinlicher.
Gleichzeitig verringere der Klimawandel den Temperaturkontrast zwischen dem kalten, polar geprägten Norden und dem warmen äquatorialen Süden. Da sich die Polarregionen schneller erwärmen als die Tropen, nehme dieser Unterschied kontinuierlich ab. Mit dem sinkenden Temperaturgefälle steige die Wahrscheinlichkeit atmosphärischer Wellenbewegungen nach Norden und Süden, „die diese Kaltlufttiefs begünstigen“, erklärt da Câmara.
Angesichts dieser Entwicklungen sei zu erwarten, dass solche Phänomene künftig häufiger auftreten.
Ob es heute tatsächlich mehr Tornados gibt als vor 40 Jahren, ließe sich laut dem Klimatologen nur schwer sagen. Ein Tornado werde heute fast immer mit dem Handy aufgezeichnet - Ereignisse, die früher unbemerkt geblieben wären, würden nun nahezu sicher dokumentiert.
Wie hoch ist die Vorhersagekapazität für Tornados?
Laut Paulo Pinto bestehe trotz moderner Technologie, die von Radaren über Satelliten bis hin zu Bodenstationen und numerischen Wettermodellen reicht, seien trotzdem weiterhin nur "unzureichende Beobachtungen" in den unteren Schichten der Troposphäre möglich.
Daher könne man zwar mehrere Tage im Voraus prognostizieren, dass ein Sturm oder ein Tiefdruckgebiet ein Land erreichen werde, erklärt Pinto, nicht jedoch das Auftreten eines Tornados. Das liege auch daran, dass Tornados mit Wetterradaren gar nicht direkt sichtbar seien.
Das Wetterradar beobachte "die konvektive Struktur und die Mesozyklone", anhand derer die Meteorologen einschätzen können, ob es ein größeres oder kleineres Potenzial zur Entstehung eines Tornados gibt. Allerdings, so Paulo Pinto, "ist diese Einschätzung in der Regel nicht schlüssig, da wir nicht alle physikalischen Zusammenhänge bei der Entstehung des Phänomens genau kennen". Dementsprechend sei es nicht möglich, Ort und Zeitpunkt eines solchen Ereignisses genau anzugeben.
Die Verantwortung liege zudem bei den zuständigen Behörden, wie dem Zivilschutz, die meteorologischen Warnungen der International Project Management Association(IPMA) zu berücksichtigen. „Tornadowarnungen im klassischen Sinne gibt es nicht“, betont Pinto. An Tagen mit erhöhtem Risiko extremen Wetters arbeite man eng mit dem Zivilschutz zusammen, doch sei die Kommunikation schwierig: Es gehe um Phänomene mit geringer Wahrscheinlichkeit, die sich naturgemäß kaum präzise ankündigen lassen.
Auch Carlos da Câmara, Dozent an der naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Lissabon, der sich auf Klimatologie spezialisiert hat, unterstützt diese Einschätzung. Ein Tornado sei grundsätzlich nicht vorhersehbar. Man könne lediglich erkennen, wenn Bedingungen vorlägen, die seine Entstehung begünstigen.
Er verweist auf eine grundlegende meteorologische Regel: „Je kleiner ein atmosphärisches Phänomen ist, desto geringer seine Vorhersagbarkeit.“ Ein Tornado sei ein „extrem lokales Ereignis“ – und damit besonders schwer prognostizierbar.
Auch Adélia Nunes, Präsidentin des portugiesischen Geographenverbands, betont, dass Tornados „sehr lokal begrenzte Phänomene“ seien, die sich nur schwer überwachen ließen. Prävention müsse daher strukturell gedacht werden und könne nicht speziell auf Tornados zugeschnitten sein, sagte sie im Gespräch mit Euronews.
Solche Ereignisse, bei denen mehrere meteorologische Faktoren zusammenwirken – etwa heftiger Regen und extrem starke Winde –, müssten „auf einer sehr kleinen, mikroskopischen Skala betrachtet“ werden, so Nunes. Sie seien selten und erforderten spezifische lokale Bedingungen, um überhaupt entstehen zu können.
Zentrales Problem bei Klimakatastrophen: Gefahrenbewusstsein der Bevölkerung
Mit Blick auf die Warnungen der IPMA vor dem Heranziehen des Tiefs Claudio habe man, laut Pino, „alle notwendigen Warnungen“ rechtzeitig und mit hoher Genauigkeit herausgegeben, um die Bevölkerung vorzubereiten. Auch der Zivilschutz habe eigene Hinweise und Verhaltensempfehlungen veröffentlicht, die anschließend von zahlreichen Medien aufgegriffen wurden.
Trotz aller Warnungen lief laut Carlos da Camara nicht alles reibungslos. Ein zentrales Problem sieht er im fehlenden Gefahrenbewusstsein der Bevölkerung. Trotz deutlicher Warnungen vor Sturm und hohem Wellengang hätten sich viele Menschen über die Empfehlungen der Behörden hinweggesetzt. „Sie gehen zu den Klippen, um Fotos zu machen, und sind sich der Gefahr nicht bewusst“, sagt er.
Ein ähnliches Verhalten beobachtet der Professor im Sommer. Die Menschen müssten sich stärker an Wetterkarten und Warnstufen orientieren, bevor sie etwa zelten – insbesondere, wenn die Gefahr von Waldbränden hoch sei. „Diese Vorsicht sollte nicht nur bei Erdbeben gelten“, betont der Klimatologe.
Das verweist aus seiner Sicht auf ein viel größeres strukturelles Problem: mangelnde Information und mangelnde Vorbereitung. Dem müsse früh entgegengewirkt werden – in Schulen, im Unterricht, aber auch durch öffentlichkeitswirksame Sensibilisierungskampagnen.
Auch Adélia Nunes spricht von einem Defizit an Klima- und Risiko-Kompetenz. Es gebe insgesamt einen „Mangel an Risikokultur“. Die Bevölkerung neige dazu, frühere Extremereignisse schnell zu vergessen. „Aus politischer Sicht muss man sich also auf die Risikoprävention konzentrieren, und das hat viel mit Risikokompetenz zu tun", argumentiert sie.
Das gelte für alle Arten von Gefahren, ob Überschwemmungen oder Brände, fügt Nunes hinzu. Es handele sich um ein Querschnittsthema: Viele Menschen wüssten nicht, wie sie in Risikosituationen reagieren sollen, weil es in der Gesellschaft kaum eine Kultur gebe, in der alle Verantwortung für ihren eigenen Schutz übernehmen.
Bauen ohne Rücksicht auf das Hochwasserrisiko
Carlos da Camara weist zudem darauf hin, dass unzureichende Infrastruktur und mangelnde Prävention als ein weiterer entscheidender Aspekt oft übersehen wird. Überschwemmungen träten in Portugal weiterhin auf, weil Abflüsse nicht ausreichend gereinigt würden, aber auch, weil es an leistungsfähigeren Kanalsystemen und weiterer grundlegender Infrastruktur fehle. Aus seiner Sicht braucht es daher deutlich mehr Engagement für vorbeugende Maßnahmen.
Nach Angaben der portugiesischen Umweltagentur (APA) gibt es im Land derzeit 63 potenziell stark überflutungsgefährdete Gebiete, betroffen wären mehr als 100.000 Menschen auf dem portugiesischen Festland. Doch Adélia Nunes hält diese Zahl eher für eine Untergrenze. Extreme Wetterereignisse träten häufiger, unregelmäßiger und oft intensiver auf, und könnten die Liste gefährdeter Regionen weiter wachsen lassen. Hinzu komme eine zunehmend zersiedelte Bebauung in hochwasseranfälligen Gebieten. Städte expandierten in Flussnähe oder in natürliche Überschwemmungsräume hinein.
Ein weiteres Problem sieht Nunes in der Bauplanung. Viele Gebäude würden errichtet, ohne Risikokarten zu berücksichtigen. Dabei sei die Risikokartierung zentral, um zu definieren, wo gebaut werden darf, und wo nicht. In der Praxis aber ignorierten politische Entscheidungsträger und lokale Behörden dies häufig, um Wohn- und Gewerbeflächen auszubauen. Nach Ansicht der Professorin muss die Zentralregierung festlegen, welche Institutionen diese Kartierung vornehmen und welche Rechtsinstrumente es ermöglichen, sie auf territorialer Ebene zu operationalisieren.
"Wir müssen unser Gebiet auf diese immer extremeren Ereignisse vorbereiten. Dies kann nur durch eine wirksame Politik der Raumplanung und -verwaltung erreicht werden, die bisher nicht mit den Veränderungen dieser Phänomene Schritt gehalten hat", so die Expertin.
Adélia Nunes betont, dass alle städtischen Gebiete, die keinen direkten Abfluss zu einem Wasserlauf haben, Gefahr laufen, überschwemmt zu werden, weil der Boden abgedichtet ist.
Das läge daran, dass "das interne Entwässerungssystem in den Städten unterdimensioniert ist. Das heißt es ist nicht in der Lage, das gesamte Wasser abzuleiten, das an der Oberfläche zirkuliert, weil der Boden abgedichtet ist und praktisch das gesamte Niederschlagswasser an der Oberfläche abläuft", erklärt sie.
Die meisten der gefährdeten Gemeinden liegen in den Regionen Tejo und Oeste, aber auch entlang der Flüsse Vouga, Mondego und Lis. „Wenn Gebäude und Menschen exponiert sind, ist es nur natürlich, dass in einer Extremsituation die materiellen und menschlichen Schäden zunehmen"“, so Nunes. Städte müssten in Zeiten immer extremerer Wetterereignisse genauer hinschauen. Intensivere und konzentriertere Regenfälle träfen hier auf zunehmend versiegelte Flächen, auf denen Wasser nicht versickern kann und deshalb an der Oberfläche abfließt.