António Costa tritt im Rahmen des neuen institutionellen Zyklus der EU am 1. Dezember das Amt des Präsidenten des Europäischen Rates an.
In Brüssel hat eine Wachablösung stattgefunden. Charles Michel, der scheidende Präsident des Europäischen Rates, hat den Staffelstab (d.h. in diesem Fall die Glocke) an seinen Nachfolger António Costa übergeben. In der kurzen Zeremonie am Freitag rief Costa zur politischen Einigkeit im Angesicht der Widrigkeiten auf.
"Der einzige Weg, wirklich patriotisch zu sein, besteht darin, die Souveränität zu sichern und ein gemeinsames Europa aufzubauen. Denn nur gemeinsam können wir für Sicherheit, Stabilität und Frieden auf unserem Kontinent eintreten. Nur gemeinsam können wir Wohlstand, Wirtschaftswachstum und den Klimawandel erreichen", sagte Costa vor dem Publikum aus Beamten und Diplomaten.
"Einigkeit ist das Lebenselixier der Europäischen Union."
Costa, der frühere portugiesische Premierminister, wird sein Amt am 1. Dezember antreten, zeitgleich mit dem Beginn der Amtszeit von Ursula von der Leyen, die die Europäische Kommission leitet. Seine Amtszeit wird zweieinhalb Jahre dauern, mit der Möglichkeit einer einmaligen Verlängerung.
Von der Leyen und Michel hatten eine notorisch frostige Beziehung, die auf die sogenannte Sofagate-Episode in der Türkei zurückgeht. Damals, im April 2021 in Ankara, hatte der türkische Präsident Erdogan EU-Ratspräsident Michel einen Stuhl hingestellt, während Kommissionschefin von der Leyen weiter entfernt auf einem Sofa Platz nehmen musste. Michel spielte das Spiel mit, ohne etwas zu sagen und wurde danach auch EU-weit kritisiert.
Costa will dieses Kapitel abschließen und "eng" mit von der Leyen zusammenarbeiten, um "die Maßnahmen des jeweils anderen zu verstärken", so ein hoher EU-Beamter.
Als Präsident des Europäischen Rates wird er EU-Gipfel vorbereiten und moderieren, auf denen die Staats- und Regierungschefs die politische Agenda für die Zukunft der Union festlegen. Das Amt ist nicht mit Exekutivbefugnissen ausgestattet und dient hauptsächlich der Repräsentation und Koordination.
In seiner Rede stellte sich der neue Präsident als Brückenbauer dar und argumentierte, dass die "Meinungsverschiedenheiten" zwischen den Mitgliedstaaten, die häufig und zahlreich sind, respektiert und nicht als "Problem" behandelt werden sollten.
"Wir haben 27 verschiedene Geschichten und Kulturen, und wir betrachten die Welt von verschiedenen geografischen Standorten aus. Diese Vielfalt ist ganz natürlich. Sie bereichert uns, und wir können sie sogar nutzbar machen. Sie ist die Stärke Europas", so der 63-Jährige.
Janis A. Emmanouilidis, stellvertretender Geschäftsführer des European Policy Center (EPC), ist der Meinung, dass Costa seine Ansichten lautstark vertreten und gleichzeitig die Staats- und Regierungschefs auf einer Wellenlänge halten wird.
Costa "wird versuchen, Kompromisse zu schließen, einen Konsens zu finden - hoffentlich aber keine Kompromisse auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner, denn das ist nicht das, was Europa zum jetzigen Zeitpunkt braucht", so Emmanouilidis gegenüber Euronews.
Sobald er im Amt ist, wird Costa zusammen mit Teresa Ribera, der ersten Vizepräsidentin der Kommission, die prominenteste Figur der sozialistischen Familie in Brüssel sein. Für die Sozialdemokraten sind diese beiden Ernennungen von entscheidender Bedeutung, denn sie erhalten damit ein gewisses Maß an Einfluss aufrecht, während der Block seinen Rechtsruck fortsetzt.
Die Agenda von António Costa
Zu Costas obersten Prioritäten gehören die Unterstützung der Ukraine, die Verteidigungspolitik, die Wettbewerbsfähigkeit, das Migrationsmanagement und die Reform des EU-Haushalts - Themen, die auch von der Leyen für ihre zweite Präsidentschaft hervorgehoben hat.
"Frieden kann nicht Friedhofsruhe bedeuten. Frieden darf nicht Kapitulation bedeuten. Frieden darf Aggression nicht belohnen. Der Frieden in der Ukraine muss gerecht sein. Er muss von Dauer sein. Er muss auf dem Völkerrecht beruhen", sagte er am Freitag. "Dieser Krieg findet auf europäischem Boden statt, aber auf dem Spiel stehen die universellen Prinzipien, die in der Charta der Vereinten Nationen verankert sind".
Ein weiterer Schwerpunkt wird die Erweiterung sein, ein sensibler Bereich, wo Einstimmigkeit zwischen den Staats- und Regierungschefs unerlässlich ist, um Fortschritte zu erzielen.
Albanien, Bosnien und Herzegowina, Georgien, Moldawien, Montenegro, Nordmazedonien, Serbien, die Türkei und die Ukraine sind derzeit Kandidaten für den Beitritt zum Block (die Bewerbung der Türkei liegt seit langem auf Eis, die Georgiens wurde erst kürzlich auf Eis gelegt).
Costa ist der Ansicht, dass die Beitrittsverhandlungen ohne "künstliche Zeitvorgaben, aber auch ohne unangemessene Hindernisse" vorankommen sollten. Damit weicht er vom Ansatz Charles Michels ab, der bekanntlich eine Frist bis zum Jahr 2030 für die Erweiterung setzte, die aber die Kommission, deren Aufgabe es ist, die Fortschritte der einzelnen Bewerberländer zu bewerten, nicht akzeptieren wollte.
"Die Erweiterung um die westlichen Balkanstaaten und unsere östlichen Nachbarn ist ein wirksames Instrument für Frieden, Sicherheit und Wohlstand und ein geopolitisches Gebot", sagte er.
Im Gegensatz zu Michel will Costa dafür sorgen, dass die EU-Gipfel nur noch einen statt zwei Tage dauert und dass die Schlussfolgerungen bereits ausgearbeitet sind, wenn die Staats- und Regierungschefs an einem Tisch sitzen. Auch wenn sich dies bei zentralen Themen wie dem Haushalt als nicht umsetzbar erweisen könnte.
Der neue Präsident möchte auch "informelle Klausurtagungen" außerhalb der grauen institutionellen Sphäre Brüssels veranstalten, um den Staats- und Regierungschefs die Möglichkeit zu geben, die wichtigsten Themen der Tagesordnung "ohne Entscheidungsdruck" zu erörtern. Die erste Klausurtagung wird voraussichtlich am 3. Februar stattfinden und dem Thema Verteidigung gewidmet sein. Auch NATO-Generalsekretär Mark Rutte wird daran teilnehmen.
"Diese Klausurtagungen werden es ermöglichen, die Ideen in eine bestimmte Richtung zu lenken", erklärte der Beamte.
Costa, dessen Vater halb französisch-mosambikanischer und halb indischer Abstammung ist, ist die erste nicht-weiße Person, die in der Geschichte des Blocks ein Spitzenamt innehat.