Der scheidende Bundeskanzler Olaf Scholz plant einen Besuch in Warschau, bevor der neue Bundeskanzler Friedrich Merz voraussichtlich in der ersten Maiwoche vereidigt wird. Was bedeutet sein Besuch für die deutsch-polnischen Beziehungen?
Olaf Scholz wird den polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk besuchen. Es ist einer seiner letzten Termine als deutscher Bundeskanzler. Es wird erwartet, dass die beiden über europäische Politik, insbesondere Sicherheit und Verteidigung, sprechen.
Das Verhältnis zwischen Scholz und Tusk ist angespannt. Die meisten Staats- und Regierungschefs, darunter der ehemalige US-Präsident Joe Biden, machen auf dem Rückweg von Besuchen in der Ukraine normalerweise in Warschau Station. Der voraussichtliche nächste deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz hat bereits ein Treffen geplant.
Scholz hat jedoch in der Regel einen Zwischenstopp in Polen vermieden. Dies führte zu Spekulationen über ein angespanntes Verhältnis zwischen den beiden Regierungschefs.
Deutsche Medien haben berichtet, dass Merz in den Tagen nach seiner Wahl zum Bundeskanzler eine Reise nach Polen plant. Eine der polnischen Regierung nahestehende Quelle bestätigte Euronews, dass "noch kein Datum" für Merz Besuch feststehe, dieser aber in den nächsten Tagen stattfinden könnte.
Die Mitte-Rechts--Christdemokraten-Union (CDU) sagte Euronews: "Alle Reisen von Merz werden im Vorfeld rechtzeitig angekündigt, bis dahin äußern wir uns dazu nicht." Mit einer Reise nach Polen würde sich Merz von seinem Vorgänger absetzen.
Angespannte Beziehungen zwischen Deutschland und Polen
Deutschland und Polen sind in der Migrationspolitik unter Scholz aneinandergeraten. Tusk stimmte gegen den EU-Migrationspakt. Berlin und Warschau sind sich nicht einig, wie sie die Ukraine unterstützen sollen.
Ein weiterer Streitpunkt zwischen den Regierungen in Deutschland und Polen ist die Forderung der polnischen Vorgängerregierung nach Reparationszahlungen in Höhe von über eine Billion Euro für die deutschen Taten während des Zweiten Weltkriegs.
Scholz stimmte dieser hohen Summe nicht zu, bot jedoch 200 Millionen Euro sowie ein Mahnmal als Entschädigung für die überlebenden Opfer des Nationalsozialismus an. Der Betrag der Entschädigungssumme wurde als "niedrig" kritisiert.
"Die ausdrückliche Erwähnung einer Gedenkstätte für die polnischen Opfer der deutschen Besatzung ist längst überfällig - ein bedeutsamer Schritt, der darauf hindeutet, dass Berlin vielleicht endlich bereit ist, den deutsch-polnischen Beziehungen mehr Respekt und Aufmerksamkeit zu schenken", sagte Dr. Jana Puglierin, Senior Policy Fellow beim European Council on Foreign Relations.
Gemeinsam mit Frankreich bilden Deutschland und Polen das sogenannte Weimarer Dreieck. "Das Weimarer Dreieck, das oft übersehen wird, ist ein vielversprechender Katalysator für eine vertiefte europäische Zusammenarbeit". es wurde 1991 ins Leben gerufen.
Die Wissenschaftlerin betonte, dass der neue deutsche Koalitionsvertrag, der letzte Woche bekannt gegeben wurde, ein "ermutigendes Zeichen für die Zukunft Europas" sei. Sie sieht Gründe dafür in Deutschlands Bestreben zu einer engeren Zusammenarbeit mit Frankreich und Polen als in den letzten Jahren.
Scholz Polenreise als Signal an die USA
Heinrich Brauß, Senior Associate Fellow bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, erklärte gegenüber Euronews, dass Deutschland, Frankreich und Polen innerhalb der NATO und der EU "gemeinsame Initiativen" zur Stärkung der europäischen Verteidigung starten könnten. Dies könnte von Vorteil sein, wenn sich die USA wieder auf sich selbst und China konzentrieren.
Es ist zwar unwahrscheinlich, dass derartige Entscheidungen vor dem Amtsantritt der neuen deutschen Regierung getroffen werden, es ist allerdings ein deutliches Zeichen dafür, dass sich die europäischen Länder darauf vorbereiten, unabhängiger von den USA zu werden.
Polnische Rechte kritisieren geplanten Polen-Besuch von Scholz
Während Deutschland engere Beziehungen zu Polen begrüßen mag, hat die ultrakonservative und nationalistische polnische Partei Recht und Gerechtigkeit den Besuch genutzt, um Tusk zu kritisieren. Ihr Präsidentschaftskandidat Karol Nawrocki sagte: "Der polnische Premierminister kniet vor der deutschen Bundeskanzler nieder."
Die Partei Recht und Gerechtigkeit hat den Verdacht, dass Tusk und seine Regierung nicht loyal zu Polen, sondern zu Deutschland stehen. Sie berufen sich dabei auf die Geschichte, dass Tusks Großvater im Zweiten Weltkrieg in der deutschen Wehrmacht war, aber zwangsverpflichtet wurde. Davor war er fünf Jahre lang Häftling in einer Außenstelle des Konzentrationslagers Stutthof.
Trotz der verbleibenden Spannungen zwischen Berlin und Warschau könnte Scholz Besuch ein Signal der beiden Verbündeten für eine Annäherung sein. Beide Länder stehen zahlreichen sicherheitspolitischen Herausforderungen gegenüber, angefangen bei Russlands anhaltendem Angriffskrieg gegen die Ukraine bis hin zum schwindenden Interesse der USA.