Alle neun EU-Beitrittskandidaten müssen bei Technologie und Digitalgesetzen nachbessern, um die Vorgaben der EU zu erfüllen. Wie weit sind sie damit?
Um der Europäischen Union beizutreten, müssen Staaten das EU-Acquis übernehmen, also die Sammlung von Gesetzen, Verordnungen, Standards und politischen Vorgaben des Blocks.
Dazu gehören Anforderungen an Technologie und digitale Infrastruktur. Etwa digitale Brieftaschen und Online-Verwaltungsdienste. Außerdem braucht es Cybersicherheitsvorkehrungen auf EU-Niveau und Regeln für neue Technologien wie künstliche Intelligenz (KI).
Euronews richtet demnächst seinen EU-Erweiterungsgipfel aus. Wir haben uns deshalb angesehen, wie die Kandidatenstaaten in zentralen Technologiefeldern vorankommen und wie sie sich an die EU annähern.
Digitale Brieftaschen
2024 hat die EU eine Regelung verabschiedet. Sie fordert die Mitgliedstaaten auf, binnen zwei Jahren digitale Brieftaschen einzuführen, als Teil eines breiteren Online-Angebots für Bürgerinnen und Bürger.
Digitale Brieftaschen geben EU Bürgerinnen und Bürgern Zugriff auf ihre digitale Identität. So können sie sich ausweisen und wichtige Dokumente speichern, teilen und elektronisch unterzeichnen.
Die Wallets müssen alle EU-Vorgaben zum Datenaustausch erfüllen und den Schutz der Privatsphäre nach der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) gewährleisten.
In einigen Beitrittskandidaten laufen bereits Tests, etwa in Bosnien, Nordmazedonien und der Republik Moldau. Bis 2026 wollen die Ukraine, Serbien und Albanien digitale Brieftaschen bereitstellen.
Die Republik Moldau entwickelt ihre Wallet mit europäischer Unterstützung über ein Programm namens „We Build Consortium“. Auf der staatlichen Online-Plattform EVO entsteht dafür ein Dokumente-Bereich, der als Wallet dienen soll. Eine Anwendung für elektronische Signaturen wird bereits erprobt.
Nordmazedonien kündigt an, bis Jahresende eine „Super-App“ namens m.Uslugi bereitzustellen. Sie bietet Fristerinnerungen, ein digitales Postfach und einen zentralen Dokumentenspeicher.
Unterdessen meldeten albanische Medien, Premierminister Edi Rama habe erklärt, die digitale ID werde von der staatlichen Firma Identitek entwickelt. Bürgerinnen und Bürger sollen ihren amtlichen Ausweis auf Handy oder Computer als multifunktionale Wallet nutzen können.
Einige Kandidaten wie die Türkei bieten bereits digitale Dienste der Verwaltung für einen Großteil der Bevölkerung. Ein belastbarer Plan, wie sie die EU-Standards erfüllen wollen, liegt jedoch nicht vor.
Cybersicherheit
Auch bei der Cybersicherheit müssen Länder nachziehen und mehrere Rechtsakte umsetzen, etwa die Richtlinien zu Netz- und Informationssystemen (NIS), die die Aufsicht in achtzehn Sektoren vereinheitlichen.
Gefordert ist unter anderem eine nationale Cybersicherheitsstrategie. Dazu kommt eine Liste kritischer Dienste, die besonderen Schutz brauchen – etwa in Energie, Verkehr, Gesundheitswesen, Finanzsektor und digitaler Infrastruktur.
Nach der Cybersicherheitsstrategie der EU müssen Staaten zudem in der Lage sein, bei großen Angriffen Bedrohungsinformationen bereitzustellen und anderen EU-Mitgliedern zu helfen.
Die Ukraine zeigt das mit einem Abkommen von 2023 zwischen ihrem Koordinationszentrum für Cybersicherheit und der EU-Agentur für Cybersicherheit (ENISA), um mehr Fachkräfte auszubilden und Informationen auszutauschen.
Die EU hat zudem ein Cyber-Labor für die ukrainischen Streitkräfte eingerichtet und die Initiative des Tallinn-Mechanismus unterzeichnet, um den kurz- und langfristigen Cyber-Kapazitäts-aufbau in der Ukraine zu unterstützen.
Andernorts haben Albanien, Montenegro, die Türkei, Georgien, die Republik Moldau und Nordmazedonien nationale Cybersicherheitsstrategien, die teilweise – teils vollständig – an die EU-Vorgaben angelehnt sind.
Ein Beispiel aus der digitalen Verwaltung: Die Republik Moldau tritt der künftigen Cybersecurity-Reserve von ENISA bei. Das ist ein Pool vertrauenswürdiger Dienstleister im gesamten Block, die bei bedeutenden oder groß angelegten Cyberangriffen eingreifen können.
Montenegros nationale Strategie umfasst seit 2022 ein Zentrum für Cyber-Kapazitätsaufbau für den Westbalkan. Es ist ein gemeinsames Projekt mit den Behörden Frankreichs und Sloweniens.
Nicht alle Strategien sind jedoch EU-konform. In der Türkei kam das Konzept in die Kritik. Die Opposition warnt laut Medienberichten vor umfassender Überwachung und Einschränkungen der Meinungsfreiheit.
Serbien erarbeitet mit EU-Unterstützung eine Strategie gegen Cyberkriminalität. Sie soll Hightech-Kriminalität und digitale Beweise besser adressieren.
Neue Technologien
Zu den jüngsten EU-Regeln gehört der EU AI Act. Er legt ein risikobasiertes Regelwerk für Systeme künstlicher Intelligenz fest.
KI in Bereichen wie Bildung, Arbeit, Gesundheit und Strafverfolgung muss strenge Auflagen zu Sicherheit, Transparenz und Datenschutz erfüllen.
Die Staaten müssen zudem nationale Aufsichtsstellen einrichten. Sie prüfen die Einhaltung der Regeln und stellen sicher, dass eigene KI-Systeme prüfbar und nachvollziehbar sind.
Albanien, die Republik Moldau, Serbien und die Ukraine verfügen über KI-Strategien. Gesetzliche Regelungen gibt es bisher nicht.
Albaniens Strategie sieht den Einsatz von KI im Energiesektor, bei der öffentlichen Beschaffung und im Kampf gegen Steuerhinterziehung vor, berichteten lokale Medien.
Zudem hat das Land nach eigenen Angaben die weltweit erste KI-Ministerin eingesetzt und schafft bald 83 politische Assistentinnen und Assistenten. Sie sollen Politikerinnen und Politiker im Tagesgeschäft administrativ unterstützen.
Die Ministerin heißt Diella. Sie trifft alle Entscheidungen zu öffentlichen Ausschreibungen. Laut Premier Edi Rama sollen diese damit „100 Prozent korruptionsfrei“ werden.
Kritikerinnen und Kritiker der KI-Ministerin sagten Euronews, das Modell könne, wie andere KI-Modelle, Verzerrungen aufweisen und damit Ergebnisse beeinflussen.
Neben der nationalen Strategie hat Serbien ethische Leitlinien für den Einsatz von KI erlassen. Ein Fachrat arbeitet an einem formellen KI-Gesetz.