Umberto Eco: "Berlusconi war ein Charmeur"

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“Kann die Kultur Europa einen Sinn geben?” Das war die Frage, die Umberto Eco kürzlich als Gast beim Forum Libération beantworten sollte. Bei Euronews sprach der italienische

Intellektuelle, Gelehrte und Schriftsteller mit Frédéric Bouchard über das Ende der Ära Berlusconi und die Krise in Europa. Ein Interview ohne Phrasendrescherei mit einem der größten europäischen Intellektuellen.

Frédéric Bouchard für euronews: “Es geht um Fälschungen in ihrem jüngsten Roman “Der Friedhof in Prag”. Sie sagen: Das sind die versteckten Dinge hinter den Dingen. Kann man diese Definition nicht auf Silvio Berlusconi anwenden?”

Umberto Eco: “Nein, in meinem Roman geht es um Fälscher, um die Hersteller von falschen Dossiers. Berlusconi hat zwar falsche Dossiers produziert, um seine politischen Gegner zum Schweigen zu bringen. Wenn Sie wollen, können Sie also einen Bezug finden. Aber da mein Roman von den angeblichen Protokollen der Weisen von Zion handelt, mit allem was sie für die Geschichte der Menschheit repräsentieren, würde ich es nicht zu behaupten wagen, dass Berlusconi so weit gekommen ist.”

euronews: “Wie konnte sich Silvio Berlusconi so lange an der Macht halten in Italien?”

Umberto Eco: “Er war, er ist ein großer Kommunikator. Er ist ein Charmeur, jedenfalls ein Charmeur für ein Publikum mittleren Alters von 50 Jahren aufwärts, d.h. das Publikum, das Fernsehen schaut, das sein Fernsehen schaut. Aber er hatte keine Mehrheit, er hat immer mit 30, 40 Prozent regiert und mit einem Wahlgesetz, das ihm erlaubte, das Parlament zu dominieren. Glücklicherweise…. “

euronews: “…Es sehr lange zu dominieren!”

Umberto Eco: “Sehr lange…Glücklicherweise gelang es dem Rest Italiens, ihm zu widerstehen. Wie konnte Italien Berlusconi akzeptieren – ein deutscher Journalist hat mir dieselbe Frage gestellt. Wie konnte Deutschland Hitler, wie konnte Frankreich das Vichyregime akzeptieren, habe ich ihm geantwortet.

Anfang der 90er Jahre steckten die christlichen Parteien Italiens in einer großen Krise, es gab eine große Leere. Berlusconi hatte die politische Intelligenz und die Fähigkeit, Allianzen ohne ideologischen Hintergrund zu schließen. Es ging ihm lediglich darum, seine Gefolgschaft zu vermehren. Irgendwann haben die Katholiken festgestellt, dass etwas nicht stimmte, sie haben sich von ihm zurückgezogen und das Vakuum verschwand.”

euronews: “Hängt der Machtverlust Berlusconis nicht eher mit einer externen Krise zusammen – der Eurokrise, von der Italien stark betroffen ist – als mit dem Widerstand des italienischen Volkes?”

Umberto Eco: “Dem stimme ich nicht zu, es gab ständig Kritik von fast der gesamten italienischen Presse, von den Intellektuellen. Das hat eine Menge dazu beigetragen, das Image Berlusconis zu zerstören und seine Schwächen aufzuzeigen. Er musste sich der Realität stellen, dass er nicht mehr von den europäischen Staats- und Regierungschefs akzeptiert wurde. Außerdem fiel sein Sturz mit der Tatsache zusammen, dass Italien jetzt von einem angesehenen Mann regiert wird.”

euronews: “Kommen wir auf ihn zu sprechen: Mario Monti. Was ist Ihre Meinung darüber, wie Mario Monti Premierminister wurde? Gibt es keine Krise der europäischen Demokratie?”

Umberto Eco: “Nein, die italienische Verfassung kann vielleicht als eine der fortschrittlichsten der Welt betrachtet werden, weil sie nach dem Krieg beschlossen wurde. Sie kann alle Gefahren einer Diktatur vermeiden, d.h. der Präsident der Republik, der vom Parlament gewählt wird, kann dem Parlament unter gewissen Umständen eine “technische Regierung” vorschlagen, die vom Parlament genehmigt oder abgelehnt werden kann. So ging alles nach den Regeln der Verfassung.”

euronews: “Also gab es keinen von den Finanzmärkten beeinflussten Staatsstreich?”

Umberto Eco: “Nein, aber wenn Sie der Paranoia einer universellen Verschwörung folgen wollen, können Sie sagen, dass die Juden dahinterstecken, die Freimaurer.”

euronews: “Nein, es ging mir vor allem um die soziologische Ebene, das Beispiel von Griechenland, das Beispiel von Italien, das Fehlen eines Referendums in Griechenland?”

Umberto Eco: “Es gab finanzielle Probleme, wie in den anderen europäischen Ländern. Berlusconi war nicht in der Lage sie zu lösen und auch seine Getreuen begannen, sich von ihm zu entfernen. Da schuf er ein Parlament mit einem von ihm genehmigten Gesetz – wirklich verrückt – in dem die Abgeordneten nicht mehr vom Volk gewählt, sondern vom gewählten Präsidenten ernannt wurden. Er umgab sich mit Ja-Sagern, und Ja-Sager sind Menschen ohne Moral, sie waren zum Verrat bereit und sie haben es getan.”

euronews: “Ist die Eurokrise eine Inspirationsquelle für Sie, für ein neues Buch, für einen Roman?”

Umberto Eco: “Nein, Sie haben die schlechte Angewohnheit zu glauben, dass Schriftsteller Orakel sind und dass es Fragen gibt, auf die ein Autor nicht antworten kann. Aber es gibt eine Frage, die ein Schriftsteller stellen kann. Glauben Sie, dass die Eurokrise etwas Positives beinhalten kann, um derartige neue Ideen zu gebären?”

euronews: “Also, gerade jetzt in dieser Krisenzeit, gibt es aus Sicht der Kultur eine Lösung dafür?”

Umberto Eco: “Ich weiß keine Lösung für die Wirtschaftskrise, ich bin ein Opfer wie die anderen (er lacht).”

euronews: “Kann die Kultur Europa einen Sinn geben?”

Umberto Eco: “Ich sage nur, dass es eine europäische kulturelle Identität gibt, die nicht genau definiert werden kann, weil sie nicht greifbar ist. Aber sie existiert. Auf dieser Grundlage können wir anfangen, uns um Europa zu kümmern, um dann an ein politisches und wirtschaftlich vereintes Europa zu denken. Wenn wir einmal an diesen Punkt kommen, wäre ich allerdings schlecht beraten, darüber im Fernsehen zu sprechen, weil ich keinerlei wirtschaftliche Kompetenz habe.”

euronews: “Gerade das wirtschaftliche Europa gerät ins Wanken, hat die Kultur vielleicht Lösungen dafür?”

Umberto Eco: “Nein.”

euronews: “Es gibt gar keine Möglichkeit?”

Umberto Eco: “Nein, ich glaube nicht, dass die Kultur den Börsenkurs beeinflussen kann, nicht einmal Homer hätte das gekonnt.”

euronews: “Ist in dieser sehr schwierigen Zeit für die EU Ihr Zugehörigkeitsgefühl als Bürger dieser Union immer noch stark?”

Umberto Eco: “Sehr stark, ja, seit meiner Jugend ist es sehr stark!”

euronews: “Herr Eco, vielen Dank für das Interview.”

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