Hourcade: "Irans Atompolitik wird sich nicht ändern"

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Von Euronews
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Am 14. Juni finden im Iran die Präsidentschafts- und Kommunalwahlen statt. Euronews-Reporter Said Kamali hat mit Bernard Hourcade über die Unruhen, die das Land nach der umstrittenen Wiederwahl von Mahmud Ahmadinedschad 2009 ereilte, und über die wichtigen Fragen rund um das Atomprogramm und die internationalen Sanktionen auf wirtschaftlicher Ebene gesprochen.

euronews: “Sie sind Direktor des Nationalen Zentrums für wissenschaftliche Forschung in Frankreich, Geograph und Iran-Experte. Und Sie haben eine Professur der Iranischen Geographie am Institut für Orientalische Sprachen und Zivilisationen in Paris inne. Einfache Frage: Was machen die Wahlen im Iran für Sie aus?”

Bernard Hourcade: “Es wird oft gesagt, dass die Wahlen nichts bringen und manipuliert sind, meist stimmt das auch. Aber die Besonderheit im Iran ist, dass man das Ergebnis vorher nicht kennt. Selbst wenn die iranischen Wahlen innerhalb eines relativ kleinen institutionellen Rahmens stattfinden, sind sie ein wichtiges politisches Thema, eine wichtige politische Debatte und für die Zukunft des Landes ein wichtiges Ereignis. Auch wenn man diese Wahlen nicht mit Wahlen in Frankreich, Belgien, Spanien oder anderswo vergleichen kann.”

euronews: “Mehr als 600 Personen aller Gesellschaftsschichten haben sich als Präsidentschaftskandidaten beworben. Das ist jedem möglich, man benötigt lediglich seine Geburtsurkunde, eine Fotokopie seines Ausweises sowie zwölf Passbilder; und man muss älter als 18 Jahre alt sein. Ergibt das für Sie einen Sinn? Warum ist diese Tür für jedermann geöffnet?”

Hourcade: “Das ist ein Teil der Propaganda. Die Regierung und die Verfassung lassen jeden Bürger als Kandidaten zu – das ist eine sehr gute Sache. Aber es gibt auch einen unstrittigen Willen der Bevölkerung zur politischen Beteiligung. Seit der Islamischen Revolution 1979 nehmen die Iraner am politischen Leben teil. Es gab zwar einige Unterdrückungen des Volkes, aber es nimmt teil. Es gibt dort eine große politische Dynamik. Der Iran ist ein Land, in dem die politische Debatte existiert und diesmal sind es also über 600 Kandidaten. 2001 waren es 1075, wenn ich mich richtig erinnere, oft sind es 300, 400, 500. Das Hauptproblem betrifft den Wächterrat, wie Sie wissen. Dieser wählt die Kandidaten aus. 99% der Bewerber werden aussortiert – es bleiben vier, fünf, sechs, höchstens zehn übrig. Die Kriterien für die Auswahl sind offenbar zufällig.”

euronews: “Nach dem, was 2009 passiert ist: Was charakterisiert die anstehende Wahl? 2009 gab es Unruhen, in den vergangenen vier Jahren wurden schwere wirtschaftliche Sanktionen gegen das Land verhängt, dazu immer der Streit um das Atomprogramm. Im Vergleich zu vorher, was charakterisiert diese Wahl?”

Hourcade: “Es sind reife Wahlen. Seit 34 Jahren wird jeden zweiten Tag der Zusammenbruch der Islamischen Republik verkündet – aber es gibt sie immer noch. Und die Regierung ist das stabilste System im Nahen Osten – das sieht man vor allem nach dem arabischen Frühling. Und es ist ein Land, dass die Möglichkeiten hat voranzukommen. Es wird immer berichtet, dass der Oberste Führer der Islamischen Republik nach seinen Gunsten entscheidet, aber es ist noch etwas komplizierter. Es besteht ein Verhältnis der Kräfte im Iran; und die Reformbewegung, von der Sie sprachen, die Grüne Revolution, war keine Bewegung. Das ist eine sehr, sehr starke Dynamik innerhalb der Gesellschaft, aber sie ist nicht organisiert. Es gibt keine Partei der Grünen Bewegung, es gibt keine grünen Institutionen. Und die Iraner, die 2009 gegen Mahmud Ahmadinedschad demonstrierten, standen plötzlich alleine da, wurden verhaftet oder sogar hingerichtet.”

euronews: “Eines der wichtigsten Probleme des Landes ist sicherlich der Atomstreit. Said Dschalili, Irans Chefunterhändler bezüglich des iranischen Atomprogramms, hat kürzlich gesagt, dass es – wer auch immer der künftige Präsident des Landes wird – keine Änderung in der Atompolitik des Iran geben und auch die Uran-Anreicherung nicht unterbrochen werde. Was erwarten Sie bezüglich der Atompolitik?”

Hourcade: “In beiden Fällen – sollte ein Reformer oder ein Konservativer gewinnen – glaube ich, dass die Politik, was das Verhältnis zu den USA bezüglich des Atomprogramms betrifft, unverändert bleibt. Jeder im Iran stimmt zu, dass das Land das Recht hat, Uran anzureichern. Selbst Israels Ministerpräsident Netanyahu ist damit einverstanden und hat gesagt: Nicht mehr als 20 Prozent. Den 3,5 Prozent, die der Iran beansprucht, stimmt Netanyahu also zu. Der französische Außenminister Laurent Fabius hat vor einigen Tagen betont, wenn der Iran der Urananreicherung unter internationaler Kontrolle zustimmt, wäre er einverstanden. Also kann im Prinzip jeder damit leben. Diejenigen, die nicht damit einverstanden sind, sind die westlichen Länder, die den Sturz des iranischen Regimes wollen, von deren Seite gibt es keinen Willen zu Verhandlungen. Zum ersten Mal sind die Iraner zu ernsthaften Gesprächen bereit und man weiß, dass dies auf amerikanischer Seite ein wesentlicher Faktor ist. Deshalb besteht der Wille, zu einer Lösung im Atomstreit zu kommen, denn diese Auseinandersetzungen verschlechtern die Situation im Nahen Osten, wo der Bürgerkrieg in Syrien und der arabische Frühling grundlegende Fragen aufwerfen. Ich bin sehr optimistisch – wie das Ergebnis der Wahl auch aussehen mag – dass die Amerikaner und die Iraner einhellig der Meinung sind, dass dieses Thema, das die ganze Welt vergiftet, abgeschlossen wird.”

euronews: “Glauben Sie, dass die Sanktionen gelockert werden? Diese sind derzeit das größte Problem…”

Hourcade: “So ist es. Es liegt am Westen, der dem Iran bilaterale Sanktionen auferlegt hat – die Sanktionen der Vereinten Nationen – diese allmählich aufzuheben. Das ist ohne Zweifel die absolute Bedingung dafür, dass es beidseitiges Einverständnis gibt. Es geht nicht darum, dass der Iran alles akzeptiert und im Gegenzug nichts erhält. Die Aufhebung der Sanktionen und ein Programm zur Normalisierung des Verhältnisses zwischen Iran und USA sind die entscheidenden Aspekte. Wenn das Verhältnis geklärt ist, ist auch der Rest klar. Diese Frage liegt derzeit auf dem Tisch. Beide Seiten haben geäußert, man diskutiere über die Verhandlungsbedingungen, ansonsten sei man sich über die Grundsätze einig.”

euronews: “Das wurde bereits unter dem Reformer Khatami versucht, aber es hat nicht funktioniert…..”

Hourcade: “2003, als die Europäer und der Iran eine Vereinbarung unterzeichneten, waren die Amerikaner dagegen. Die Amerikaner wollten den Sturz des iranischen Regimes. Man hat keine Lösung gefunden, weil sich die westlichen Länder untereinander nicht einig waren. Und es gab ein zweites Problem im Iran, denn Khatami und Khamenei waren sich nicht einig. Man weiß sehr genau, dass Ahmadinedschad drei Mal eine Einigung mit den USA in der Atomfrage erreicht hätte, aber Khamenei zog nicht mit. Wenn jetzt der Präsident und der geistliche Führer aus dem gleichen Lager kommen, verfolgen sie die gleiche Politik und ihre Macht vereinigt sich. Das bedeutet zwar keine paradiesischen Zustände, aber zumindest gibt es keine interne Spaltung und der Westen bzw. die USA können auf den Iran zugehen, denn die Wirtschaftskrise zwingt sie zu einem gewissen Konsens.”

euronews: “Lassen Sie uns über die Innenpolitk des Landes sprechen, über das, was zwischen dem geistlichen Führer und dem scheidenden Ahmadinedschad stattgefunden hat. Wie sehen Sie die politische Zukunft von Ahmadinedschad, nach all den Problemen, die er mit dem geistlichen Führer gehabt hat?”

Hourcade: “Man irrt sich gewaltig in Ahmadinedschad. Er ist überhaupt nicht der ultra-konservative Irre, er ist kein Konservativer. Ganz im Gegenteil. Er ist dynamisch, vielleicht reaktionär, aber eine hyperaktive Person. Er verordnete dem Iran wirtschaftliche Reformen, die sehr hart waren, aber vom Internationalen Währungsfonds begrüßt wurden. Er hat mehrmals versucht, sich mit den USA im Atomstreit zu einigen. Und was ich heute im Iran beobachte, ist eine Opposition der Menschen aus den Provinzen, der kleinen Städte, der Dörfer. Also der Menschen, die sich ignoriert fühlen von der Aristokratie der Revolution. Egal ob damit Reformer, Konservative oder die alten Wächter der Revolution, die das Establishment der islamische Republik waren, gemeint sind. Vielleicht haben wir heute eine zweite Stufe erreicht, eine Phase der sozialen Spaltung, eine Revolution oder eine Wende, ausgehend von einer Oppostion, die zwischen den Enterbten des Irans und einer bestimmten Aristokratie oder einem Bürgertum, das sich über die Jahre unmäßig bereichert hat, entstanden ist.”

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