Spaniens Schnellzüge: Komfortabel, modern - tödlich?

Spaniens Schnellzüge: Komfortabel, modern - tödlich?
Von Euronews
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Modern, komfortabel und schnell sollte sie sein. Mit dieser Erwartung wurde 1992 Spaniens erste Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Madrid und Sevilla in Betrieb genommen.

Die Schnelllinien erstrecken sich über mehr als 3000 Kilometer – das hat kein anderes europäisches Land zu bieten. Weltweit ist nur das chinesische Netz noch umfangreicher. Rund 23 Millionen Fahrgäste befördern die spanischen Hochgeschwindigkeitszüge Jahr für Jahr – mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 222 Kilometern pro Stunde.

Trotz der wirtschaftlich schwierigen Zeiten wurden in diesem Jahr zwei weitere Linien eingeweiht. Im Januar kam die Verbindung zwischen Barcelona und Figueres nahe der Grenze zu Frankreich hinzu. Damit wurde die Möglichkeit geschaffen, von Barcelona nach Paris nur in Hochgeschwindigkeitszügen zu reisen.

Knapp sechs Monate später wurde auch die Verbindung zwischen Madrid und Alicante in Betrieb genommen.

Zwischen 2005 und 2013 ist Spaniens Hochgeschwindigkeitsnetz um das Fünffache gewachsen, die Zahl der angeschlossenen Städte erhöhte sich von sieben auf 31.

Der Anschluss Galiziens an das Netz jedoch ist noch nicht abgeschlossen. Aber bereits seit 2001 fahren die Schnellzüge auf der Strecke von Ourense über Santiago de Compostela nach La Coruña.

Der Unfall ereignete sich rund vier Kilometer vor Santiago. Und zwar in einer Kurve in Angrois, in der die Geschwindigkeit auf 80 Kilometer pro Stunde begrenzt ist. Der Unglückszug des Modells Alvia S730 allerdings war mehr als doppelt so schnell.

“Wir brauchen eine unabhängige Untersuchung”

Gespräche mit Ricard Riol, Ingenieur aus Barcelona und Vorsitzender des Verbands zur Förderung des öffentlichen Personennahverkehrs.

Beatriz Beiras, euronews

Herr Riol, es ist noch zu früh, um Aussagen zu den Ursachen des Zugunfalls zu machen. Einige Umstände sind aber schon jetzt klar. So war der verunglückte Zug ein Schnellzug, aber kein Hochgeschwindigkeitszug vom Typ AVE. Welche Unterschiede gibt es zwischen den Zugtypen?

Ricard Riol

Grundsätzlich liegt seine Höchstgeschwindigkeit mit maximal 250 km/h unter der eines AVE-Zugs, und er kann auf Hochgeschwindigkeitslinien ebenso fahren wie auf konventionellen Strecken.

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Wie konnte der Zug in genau diesen Streckenabschnitt, so kurz vor dem Bahnhof von Compostela, mit 190 Stundenkilometern einfahren?

Ricard Riol

Normalerweise ist so etwas auf einer Hochgeschwindigkeitsstrecke gar nicht möglich, etwa bei der Strecke Madrid-Barcelona oder Madrid-Sevilla. Aber diese Strecke hat nun die Besonderheit, dass Züge, die Santiago de Compostela anfahren, nicht durchgehend vom Signalsystem überwacht werden, sie werden nur punktuell kontrolliert.

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Ist das ein automatisches System?

Ricard Riol

Das ist ein automatisches System, das einen Zug nur dann kontrolliert, wenn er über einen Detektor in der Schiene fährt. Dagegen ist es bei Hochgeschwindigkeitsstrecken normal, dass das System von einem zentralen Punkt aus über Funk kontinuierlich darüber wacht, dass die gefahrene Höchstgeschwindigkeit immer unter der erlaubten Höchstgeschwindigkeit liegt.

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Wenn das System funktioniert, was passiert dann, wenn ein Zug schneller als erlaubt fährt?

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Ricard Riol

Bei einem durchgängigen Kontrollsystem wie dem europäischen System ERTMS werden die Züge automatisch abgebremst, wenn sie die zulässige Höchstgeschwindigkeit auch nur minimal überschreiten. Das ist bei jeder Hochgeschwindigkeitsstrecke so. Dieses System ist an sich auch auf der Unfallstrecke zwischen Ourense und Santiago im Einsatz, allerdings verschwindet es drei oder vier Kilometer vor dem Bahnhof von Santiago, und zwar zugunsten eines Systems, mit dem nur konventionelle Strecken ausgerüstet sind. Der Unfall hat sich eben dort ereignet, wo dieses System fehlt.

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Hat die Unfallkurve Ihrer Meinung nach einen Einfluss auf die Schwere dieses Unfalls? Und ist es normal, dass es eine solche Kurve auf einer Hochgeschwindigkeitsstrecke gibt?

Ricard Riol

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Die Kurve erklärt sich dadurch, dass die Strecke sich hier einer bewohnten Ortschaft nähert. Es gibt diese Kurven auf Hochgeschwindigkeitsstrecken deshalb, um die Züge zu den Orten mit hoher Nachfrage zu bringen. Das Problem ist, dass diese Kurve nicht durch ein durchgängiges Signalsystem gesichert ist, das den Zug durchgehend überwacht, sondern nur an einzelnen Stellen in den Gleisen. Das Problem ist nicht die Strecke, sondern – womöglich – das Signalsystem über diesem Streckenabschnitt. Das Sicherheitssystem muss sich anpassen können, muss flexibel sein, und zwar auf jedwedem Streckentyp. Neben den geraden Strecken für die schnelle Fahrt muss ein Hochgeschwindigkeitszug auch auf konventionellen Gleisen fahren können, er muss Städte anfahren können, um einen Nutzen zu haben. Daher geht es nicht nur darum, eine schnurgerade Strecke zu haben, sondern sie muss von Anfang bis Ende sicher sein.

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Die mit dem Schienenverkehr in Spanien betrauten Stellen haben eine Untersuchung eingeleitet. Wird das Ihrer Meinung nach ausreichen?

Ricard Riol

Ich denke, dass auch eine unabhängige Untersuchung notwendig ist, die nichts mit dem Verkehrsministerium zu tun hat. So können beide Ergebnisse verglichen werden und man kann Lehren aus den Fehlern ziehen, die zu dieser Tragödie geführt haben. Im Schienenverkehr ist ein Unfall praktisch nie Folge eines einzelnen Fehlers, sondern einer Reihe von Fehlern. Daher muss es mehrere Untersuchungen geben, unabhängige, wie im Falle des Zugs von Limoges nach Paris, um die Verantwortlichkeiten zu umreißen und die automatischen Sicherheitssysteme zu verbessern.

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Spanien hat das zweitlängste Hochgeschwindigkeitsnetz der Welt. Glauben Sie, dass nach diesem Unfall das spanische Infrastrukturkonzept neu überdacht werden muss?

Ricard Riol

Das Erste, worum es der Eisenbahn gehen muss, ob Hochgeschwindigkeit oder nicht, ist die Sicherheit der Passagiere. Daher müssen alle Unterlagen überprüft werden, besonders die zu den Signalanlagen, und zwar sowohl, was laufende wie auch abgeschlossene Projekte angeht, und auch neue, die noch anstehen. Wenn nötig, muss der Bau neuer Strecken gestoppt werden, bis es neue Berechnungen gibt. Das Wichtigste ist sicherzustellen, dass die Eisenbahn weiterhin das sicherste Transportmittel auf dem Landweg ist.

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