"Lernen durch Schmerz" - Athen hat die EU-Geschäftsführung inne

"Lernen durch Schmerz" - Athen hat die EU-Geschäftsführung inne
Von Euronews
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Ausgerechnet Griechenland, das die Euro-Zone in eine tiefe Krise stürzte, hat die Geschäftsführung der EU für das nächste halbe Jahr inne. Beim Empfang in Athen verbreiteten beide Seiten – die griechischen Gastgeber sowie die Brüsseler Kommission – viel Optimismus. Griechenland, das ohne die EU pleite gegangen wäre, will keine neuen Kredite, einige Schuldenerleichterungen hingegen schon. Nun, man wird sehen. Das Budget für den EU-Vorsitz ist jedenfalls das kleinste, seit es eine EU-Geschäftsführung gibt, obwohl Athen unter anderem die im Mai anstehenden Europa-Wahlen vorbereiten muss. Mehr dazu sowie zur Erneuerung der EU-Institutionen und zu den Aussichten für Europa in diesem Jahr in einem Gespräch mit Jan Techau von der Brüsseler Denkfabrik Carnegie Europe.

euronews:
Griechenland hat die halbjährige EU-Ratspräsidentschaft übernommen. Was soll nun geschehen? Müssen wir alle sparen oder dürfen wir bedenkenlos Schulden machen, wie Athen es getan hat?

Jan Techau:
Sparen müssen wir in Europa sowieso alle ganz furchtbar, denn wir haben ja in den letzten drei, vier Jahrzehnten ganz massiv, systematisch über unsere Verhältnisse gelebt und das rächt sich jetzt, das ist ganz klar. Die Eurokrise ist teilweise auch eine Schuldenkrise – nicht nur aber auch – und die Frage ist jetzt: Wie können wir sparen, ohne gleichzeitig die Wirtschaft total abzuwürgen und gleichzeitig noch das politische Kapital zu erhalten, um Reformen durchzuführen, um unsere Länder wettbewerbsfähiger zu machen und um wieder Jobs zu schaffen.

euronews:
Die deutsche Bundeskanzlerin Merkel will Reformverträge, um Europa wettbewerbsfähiger zu machen…

Jan Techau:
Es ist ein typisch deutsches Konstrukt, der Glaube daran, dass wenn man etwas kodifiziert, also vertraglich oder gesetzlich regelt, dass das dann automatisch sozusagen auch eine politische Wirkung entfaltet. Zu politischen Reformen und zu wirtschaftlichen Reformen haben sich die EU-Mitgliedsstaaten ja vielfach, in vielen Dokumenten selbst verpflichtet und sind diesen Verpflichtungen oft nicht nachgekommen.

euronews:
Wie kann die Euro-Zone insgesamt dynamischer gestaltet werden?

Jan Techau:
Am Ende geht es nur über die Einsicht, dass alle in dieser Euro-Krise mehr zu verlieren haben, wenn sie nicht gemeinsam zusammenarbeiten. Es ist sozusagen ein Lernen durch Schmerz. Die Frage ist, ob noch genug Schmerz im System ist, in diesem Krisen-System, um diese schwierigen Reformen durchzuführen, oder ob Europa jetzt, wo es ein bißchen besser aussieht, die Zügel wieder schleifen lässt.

euronews:
Im kommenden Mai sind Europa-Wahlen anberaumt und es ist jetzt schon klar, dass die populistischen und die europafeindlichen Parteien starken Zulauf haben werden. Wie kann man den Bürgern Europas dieses Europa wieder schmackhafter machen?

Jan Techau:
Es gibt immer zwei Möglichkeiten, die Bürger mit an Bord zu bekommen: Erstens indem man Mehrwert für sie erzeugt, man hat ein politisches System, das gute Dinge für Bürger erzeugt. Ich glaube, auf der Seite muss sich die EU nicht verstecken. Die andere Möglichkeit ist, Bürger am politischen System teilhaben zu lassen, das heißt über echten politischen Wettberwerb in das System reinzuholen. Die Bürger fühlen in Europa, dass sie nicht Teil dieses europäischen Systems sind, dass sie bei der Willensbildung, wie man so schön sagt, bei den Entscheidungen, die hier gefällt werden, nicht wirklich mit am Tisch sitzen.

euronews:
Ja, aber wie soll das geschehen?

Jan Techau:
Das geht im Grunde nur über eine größere, vielleicht sogar revolutionäre politische Reform in Europa, die Wahlen auf gesamteuropäischer Ebene denkt und möglich macht, so dass wir paneuropäische, wirklich echte Wahlen bekommen, bei denen es darum geht, welchen Kurs Europa macht.

euronews:
Die Europäische Kommission wird einen neuen Präsidenten bekommen, wir werden in diesem Jahr auch einen neuen Präsidenten des Europäischen Rates haben, es wird einen neuen Parlamentspräsidenten geben und es wird nicht zuletzt auch eine neue Außenbeauftragte oder einen neuen Außenbeauftragten geben. Wird all das den Kurs Europas verändern?

Jan Techau:
Es werden ja nicht nur diese Figuren ausgetauscht. Es wird sich die gesamte Kommission verändern, es werden ganze Programme sich verändern, neue Leute bringen neue Schwerpunkte hinein. Die Mitgliedsstaaten bezwecken mit der Auswahl ihrer Kandidaten für diese Posten bestimmte Agendapunkte. Das heißt, wir haben nicht nur Personalveränderungen, sondern im Grunde haben wir die Chance 2014, Europa in vielen Facetten – von der Fiskalpolitik und der Wirtschaftspolitik bis hin zur Außenpolitik – neu zu denken und neue Ideen aufzugreifen. Das ist im Grunde ein kompletter Erneuerungsprozess, der da ablaufen kann und alle hoffen, dass am Ende dieses Prozesses, Ende dieses Jahres 2014, eine eindrucksvolle Personalriege steht, die auch inhaltlich für etwas Neues, Interessantes und auch für einen neuen Aufbruch stehen kann. Das wäre dringend erforderlich, auch schon als Signal an die Bürger, die sehen wollen, dass Europa sich natürlich verändert und reagiert auf diese krisenhafte Zuspitzung.

euronews
Herr Techau, haben Sie vielen Dank für dieses Gespräch!

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