Gestohlene Babies - ein unaufgeklärter Skandal in Spanien

Gestohlene Babies - ein unaufgeklärter Skandal in Spanien
Von Euronews
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Diese beiden Spanierinnen verbindet der Schatten der Vergangenheit. Der lange verschwiegene Skandal um die gestohlenen Babies. Unter der Herrschaft von Diktator Franco “verschwanden” aus der Klinik Santa Cristina in Madrid, einem Krankenhaus für Arme, Kinder gleich der Geburt. Was damals in den 1950er und 60er Jahren den Müttern gesagt wurde, ist kaum noch nachzuvollziehen. Meistens hieß es wohl, das Neugeborene sei tot. Auch nach Spaniens demokratischem Wandel Mitte der 70er Jahre hat sich lange keine staatliche Autorität dafür interessiert. Paloma Pérez Calleja, heute 57 Jahre alt, hat sich vor zehn Jahren Gewißheit verschafft.
Mit einer Zahnbürste jener Frau, die sie, solange sie denken konnte, für ihre Mutter hielt. Man mag sich den Schock vorstellen, als sie das Ergebnis der DNA-Analyse sah. Das solange gehütete Familiengeheimnis sei bei einem Streit offenbart worden, als der Frau, die sie für ihre Mutter hielt, die Worte entrutschten: “ Du gehörst gar nicht zur Familie.” Über ihre leibliche Mutter hörte sie, die sei eine Prostituierte gewesen und habe das Kind nicht gewollt. Nachdem sie Kontakt zu anderen “gestohlenen Babies” aufgenommen hatte, wandten sich die Betroffenen 2010 gemeinsam an die Justiz, um ihre Herkunft zu klären. Die Akten wurden wieder geschlossen. Jetzt, nach weiteren vier Jahren, greift die oberste spanische Berufungsinstanz den Fall wieder auf. Paloma sieht es als die Pflicht der Behörden an, ihre echte Familie zu finden, nachdem sie im Alter von zwei Stunden zur Adoption gegeben worden war.
Juani Fernández sucht nach ihrem kleinen Bruder.
Ihre Mutter hatte den Jungen 1963 in der Klinik Santa Cristina geboren. Die Hebamme sagte ihr, das Kind sei kurz nach der Geburt gestorben.
Nach den Enthüllungen um diese Klinik wurde die Familie mißtrauisch. Immer wieder tauche die Klinik Santa Cristina in den Berichte auf, sagt sie. In ihrer Familie hieß es, der Bruder sei gestorben. Sie habe nun nach Dokumenten gesucht, nach einer Geburtsurkunde oder einem Taufschein – und dabei reichlich Widersprüche gefunden. Der Taufschein erwies sich als falsch, der Bruder war demnach niemals getauft worden. Das Papier, das das Büro des Erzbischofs von Madrid ausgestellt hatte, wurde von Fachleuten untersucht und erwies sich als Fälschung. Andere Papiere enthielten falsche Angaben zur Zeit der Geburt und stimmten auch nicht mit dem überein, was man der Mutter als Todeszeit genannt hatte. Zwei Jahre habe der Untersuchungsrichter damit zugebracht, die vielen Widersprüche und Fälschungen zu ermitteln. Für Juani Fernandez ist es unfassbar, dass so etwas einfach ins Archiv gelegt wurde. Ihre Reaktion:
“Warum wurde nicht weiter gesucht? Ich kann die spanische Justiz einfach nicht verstehen!”

Beatriz Beiras. Euronews
Um etwas Licht ins Dunkel der Affäre um die gestohlenen Babies zu bringen, sprechen wir mit
Guillermo Peña in Madrid.
Sie vertreten als Anwalt die Vereinigung
“SOS Gestohlener Babies Madrid”. Zuerst erschreckt die lange Zeit, von den 50er bis in die 80er Jahre. Wie war es möglich, die Kinder so einfach ihren Müttern wegzunehmen? Und warum geschah das?

Guillermo Peña
Ich glaube, das hat mit der Nachlässigkeit der verantwortlichen zu tun. Dazu zähle ich alle, die in dieser Zeit mit Personenstandsfragen zu tun hatten, die letztlich den Kindern ihre Identität zu geben hatten: Ärzte, Hebammen und auch Beamte vom Personenstandsregister. Diese Nachlässigkeit zog sich auch noch bis zum Beginn der demokratischen Zeit hin, bis zum Ende der 80er Jahre.

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Gab es finanzielle Motive?

Guillermo Peña
Zweifellos. Zu Beginn, in den 40erJahren gab es auch politische Motive. Oder auch eine falsch verstandene Wohltätigkeit. Je weiter sich diese Sachen entwickelte, um so mehr kamen auch ökonomische Gründe dazu. Es gab Leute, die aus dem Entzug von Kindern ein gutes Geschäft machten. Und auch hier half die allgemeine Nachlässigkeit in der Verwaltung, Spuren zu verwischen. Darum haben die Opfer im Moment größte Schwierigkeit, zu ihren Lieben, ihren richtigen Eltern, zu finden.

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Wovon sprechen wir denn nun genau?
Von gestohlenen Babies, illegalen Adoptionen oder gar Kinderhandel?

Guillermo Peña
Zuerst sind da die Familien, die ihre Kinder suchen, die angeblich noch in der Klinik gestorben sein sollen – deren Körper sie aber nie gesehen haben.
Als sie nach Dokumenten fragten, merkten sie, dass etwas nicht stimmt. Es gibt kein Grab im genannten Friedhof. Und dann sind da unrechtmäßigen Adoptionen. Da wurde für ein Neugeborenes “Eltern unbekannt” angegeben, damit dann eine Familie, die gern ein Kind wollte, es adoptieren konnte. Gegen geltendes Recht.
Die biologischen Eltern haben nie ihre Einwilligung zu dieser Adoption gegeben. Und dann bleiben da noch die ebenfalls unter “Eltern unbekannt” eingetragenen Kinder, die niemals adoptiert wurden.

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Die Betroffenen beklagen sich sehr über die Justiz, die ihnen nicht zuhörte, ihre Fälle ungeprüft zu den Akten legte. Warum ist es so schwer, hier Gerechtigkeit zu erlangen? Wie weit müssen die Betroffenen noch gehen?

Guillermo Peña
Der Wahrheit kann man auf zwei Wegen auf die Spur kommen. Zum einen müssen alle Dokumente der Kliniken und der Register genau geprüft werden
Und der zweite Weg führt über die DNA-Bestimmung. Auf Druck unserer Anwälte hin verlangt jetzt die Justiz alle Dokumente von den Kliniken. Die antworten immer wieder, in ihren Archiven sei nichts mehr aufzufinden. Diese Verzögerung, diese Bedinderungstaktik schafft den Betroffenen enorme Probleme. Aber ohne alle Beweise zusammen zu haben, kann man nicht vor Gericht gehen.

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