Türkei - Kommunalwahlen mit weitreichenden Folgen

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Bei den Kommunalwahlen in der Türkei am Sonntag geht es um weitaus mehr als nur die Posten von Bürgermeistern und Stadträten. Ministerpräsident Recep Tayyib Erdogan ist nach den ereignisreichen vergangenen Monaten nicht nur gesundheitlich angeschlagen. Die Opposition wittert ihre Chance, Erdogans AKP eine Niederlage beizufügen. Der Regierungschef wiederum erhofft sich durch einen Wahlerfolg seiner Partei Rückendeckung für seinen politischen Kurs.

Bei Massendemonstrationen im Sommer rund um Gezi-Park und Taksim-Platz wurde unter anderem Erdogans Rücktritt gefordert. Umfangreiche Korruptionsermittlungen erfassten auch das Umfeld seiner Regierungsmannschaft. Es rollten Köpfe, ein Kahlschlag im Justizwesen und eine Medienzensur folgten.

Mit einem erfolgreichen Abschneiden seiner Partei will sich Erdogan zusätzlich Schwung für eine mögliche Präsidentschaftskandidatur verschaffen. Im August wird der Staatschef erstmals in direkter Wahl bestimmt.

Der Euronews-Korrespondent fragte die Kolumnistin der Zeitung “Milliyet”, Aslı Aydıntaşbaş :
Es sind Kommunalwahlen in der Türkei
Aber die Parteien geben ihnen eine weit größere
Bedeutung. Zu Recht?

Aslı AYDINTAŞBAŞ / Tageszeitung “Milliyet” Genau, es sind lokale Wahlen. Aber die türkische Demokratie steht am Scheideweg. Diese Wahlen sind in gewisser Weise zu einer Personalentscheidung über Regierungschef Tayyip Erdogan geworden. Es wird darüber abgestimmt, ob wir in der heutigen Türkei den Regierungsstil von Erdogan unterstützen oder nicht. Natürlich sind auch die lokalen Kandidaten wichtig. Gerade in kleinen Orten, wo die Wähler die Kandidaten persönlich kennen, wird ihre Entscheidung von der Frage bestimmt, was sie von wem erhoffen. Aber in den großen Städten, wo heute die Mehrheit der türkischen Wähler lebt, wird diese Abstimmung als Votum für oder gegen Erdogan angesehen. euronews
Die rivalisierenden Parteien sehen diese Wahlen als entscheidend für ihr Überleben an. Was steht auf dem Spiel ? Warum gehen die Parteien so hart aufeinander los?

Aslı AYDINTAŞBAŞ
Ich denke, was auf dem Spiel steht, sind die wichtigsten Rechte und Freiheiten und auch die Demokratie als solche. Aus meiner Sicht ist ein Land keine Demokratie mehr, wenn dort Twitter verboten wird, wenn Unternehmen, die jenen der einflußreichen Leute zu viel Konkurrenz machen, mit hohen Steuerstrafen belegt werden, wenn Journalisten verhaftet und Geschäftsleute bedroht werden. Für freiheitsliebende Menschen wie mich geht es dabei ums Überleben.

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International haben die Twitter-Sperre und die Vorfälle um den Gezi-Park Schlagzeilen gemacht . Wie kann sich das nach diesen Wahlen auf die Türkei auswirken?

Aslı AYDINTAŞBAŞ
Darüber haben wir in der Türkei noch nicht genug diskutiert. Dabei hat die Türkei bereits in den Augen der internationalen Gemeinschaft an Ansehen verloren, leider. Die Twitter-Sperre war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt.
Verschlechtert hatte sich das Image der Türkei schon lange vor der Twitter-Sperre. Die Regierung hat nicht realisiert, welche Folgen die Anwendung von Gewalt hat. Gewalt gegen Personen, die einen Park im Herzen von Istanbul schützen wollten und dafür mit Wasserwerfern angegriffen wurden. Das ist von der öffentlichen Meinung im Westen als Zeichen autoritärer Herrschaft angesehen worden. Die Regierung hat nicht erkannt, wie ernst sich das Twitter-Verbot auf diejenigen auswirkt, die eigentlich in der Türkei investieren wollen.
Ebenso auf die Verbündeten im Westen, auf die Europäische Union, denn formal gesehen hat die Türkei immer noch den Kandidat-Status.

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Welche Rolle werden bei der Wahl die Korruptionsvorwürfe spielen ?

Aslı AYDINTAŞBAŞ
Solange die Wirtschaft gut läuft, verhalten sich die Wähler wie in Entwicklungsländern üblich. Sie schauen nicht so genau hin. Wenn es mit der Wirtschaft aber schlecht läuft, dann nehmen sie die Vorwürfe ernst und strafen die Politiker ab bei Wahlen. Es dauert seine Zeit, ehe sich solche Einsichten verbreiten. Ich glaube nicht, dass in der Türkei schon jeder die Vorwürfe kennt. Aber sie liegen weiterhin auf dem Tisch und wir bewegen uns auf die Präsidentschaftswahlen zu . In der Türkei wird man die Vorwürfe auch weiterhin diskutieren.

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