Fußball-Legende Eric Cantona: "Es muss Solidarität entstehen"

Fußball-Legende Eric Cantona: "Es muss Solidarität entstehen"
Von Euronews
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Eine Fußball-Legende, ein “König” gar, wie ihn die Fans von Manchester United nannten: Tausendsassa Éric Cantona ist auch ein Schauspieler und

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Eine Fußball-Legende, ein “König” gar, wie ihn die Fans von Manchester United nannten: Tausendsassa Éric Cantona ist auch ein Schauspieler und Regisseur. In Lyon, wo er seine Dokumentation “Fußball und Immigration – 100 Jahre gemeinsame Geschichte” vorstellte, sprach er mit euronews über Fußball, Extremismus und das Attentat auf “Charlie Hebdo”.

Euronews-Reporter Diego Giuliani: “Angesichts der Ereignisse der vergangenen Tage komme ich nicht umhin, mit einer Frage zu dem Anschlag auf “Charlie Hebdo” anzufangen. Zuerst einmal: Wie geht es Ihnen damit?”

Éric Cantona: “Es ist dramatisch, es ist schlimm, aber leider ist es nicht das erste Mal, dass die Meinungsfreiheit angegriffen wurde. 1988, im Oktober 1988 wurde ein Brandanschlag auf das Kino Saint Michel verübt. Es lief eine Vorstellung des Films “Die letzte Versuchung Christi” von Martin Scorsese. Das waren katholische Fundamentalisten, das war 1988 in Frankreich, in Paris. Es gab 40 Verletzte, vier Schwerverletzte. Es war ein Attentat mit dem Ziel, 50 Personen zu verbrennen.”

Euronews: “Aber genau deshalb: Fast 30 Jahre später, und nichts hat sich geändert?”

Éric Cantona: “Ich meine, man darf jetzt nicht das, was gerade passiert ist, gegen den Islam verwenden. Fanatismus gibt es überall, aber das sind nur wenige Menschen. Der Rest sind einfach nur Katholiken, Buddhisten und Muslime. Meiner Meinung nach ist es wichtig, es zeitlich einzuordnen. Wenn wir uns nur auf die aktuellen Geschehnisse konzentrieren, wenn wir nur darauf schauen, ist es, als hätte es die Dinge vorher nie gegeben. Es ist wichtig, daran zu erinnern, dass es das schon mit nicht-islamistischen Terrorgruppen gegeben hat.”

Euronews: “Befürchten Sie nicht, dass die aktuelle Situation, die Fakten, mehr Angst, mehr Spannungen, mehr Rassismus schaffen könnten?”

Éric Cantona: “Es besteht die Gefahr, alle Muslime über einen Kamm zu scheren. Aber ich bin davon überzeugt, dass sich gerade jetzt 90 Prozent aller Muslime unwohl fühlen und sich dafür schämen, was passiert ist. Es ist wichtig, einen Muslim nicht als “moderat” zu bezeichnen, wenn er nur ein Bürger wie Sie und ich ist. Denn was heißt das? Bedeutet das, dass der Islam eine extremistische Religion ist? Das wäre eine latente Provokation, oder? Und das ist sehr gefährlich. Man darf nicht alle in einen Topf schmeißen.”

Euronews: “Der Zulauf, den extremistische und rassistische Gruppen erfahren, der Aufstieg der extremen Rechten, macht Ihnen das Angst?”

Éric Cantona: “Ich glaube, dass das alles mit der Wirtschaftskrise zusammen hängt. Ich glaube, wenn es nicht die Krise 1929 gegeben hätte, wäre Hitler niemals an die Macht gekommen. Und leider verzweifeln die Menschen in Krisen. Sie wissen nicht mehr, an was sie glauben können und das alles bewirkt einen Anstieg des Extremismus. Und was gefährlich daran ist – noch einmal – ist, von der Verzweiflung der Menschen zu profitieren, um extremistische Ideen zu verbreiten. Diejenigen, die das tun, erzeugen Hass für politische Zwecke, um Macht zu erlangen. Ich finde das verwerflich.”

Euronews: “Lassen Sie uns über das Thema Einwanderung sprechen. Sie erwähnen das im Titel ihrer Dokumentation “Fußball und Immigration – 100 Jahre gemeinsame Geschichte (“Foot et Immigration – 100 ans d’histoire commune”). Kann Fußball heute noch – und ich spreche nicht nur von Frankreich – zur Integration beitragen?”

Éric Cantona: “Ja, ich glaube, der Sport im Allgemeinen und Fußball im Besonderen tun das. Denn wenn Sie im Sport besser als andere sind, dann sind Sie dabei. Das ist das Schöne im Sport. Was aber bedauerlich ist, wie Jean Tigana (ehemaliger franz. Fußballspieler) es am Ende des Dokumentarfilms sagt, ist, dass sobald man den Fußballplatz verlässt – als Trainer, in Fußballorganisationen – ist die Situation wie sonst in der Gesellschaft: Ist die Farbe deiner Haut nicht ‘die Richtige’, bekommt man möglicherweise nicht die Stelle, die man verdient. Wenn es in der Gesellschaft Modelle gäbe, wenn die Jugendlichen in den Banlieue-Schulen, in schwierigen Schulen Vorbilder von erfolgreichen Geschäftsmännern, von erfolgreichen Juristen hätten. Es gibt heutzutage keine solchen Modelle. Sie existieren nicht, weil unsere Gesellschaft meiner Meinung nach ungerecht ist.”

Euronews: “Sie haben gesagt, ich zitiere: ‘Wenn man in die Enge getrieben wird, zeigt sich, ob man ein Mann ist oder nicht’. Angesichts der sich häufenden rassistischen Vorfällen in den Stadien, sind die Maßnahmen der UEFA und der FIFA ausreichend? Mit Ihren Worten gesprochen, verhalten sie sich ‘wie Männer’?”

Éric Cantona: “Sie tun, was sie können. Sie entwickeln Platzstrategien, das ist schon mal etwas. Das Problem sind Fans, die keine echten Fans, keine Fußballfreunde sind. Seit der Fußball so präsent in den Medien ist, wird er dafür benutzt, andere Botschaften zu übermitteln. Das hat es immer schon gegeben, dagegen muss man ankämpfen und ich denke, man tut es bereits. Vielleicht nicht genug, aber ich kann Ihnen jetzt nicht sagen, wie man dagegen kämpft. Wenn Sie wollen, können wir uns gemeinsam darüber Gedanken machen.”

Euronews: “Abgesehen davon, gefällt Ihnen der heutige Fußball noch, haben Sie noch Spaß daran? Erkennen Sie darin die Werte einer Schule des Lebens, die einem beibringt, gemeinsam zu spielen, zu gewinnen und auch zu verlieren?”

Éric Cantona: “Die großen Spieler waren schon immer große Spieler. Die großen Spieler waren immer vernarrt in den Fußball, egal wie viel Geld sie verdient haben. Wenn Sie Messi spielen sehen, Ronaldo, das sind Spieler, die unheimlich Spaß auf dem Platz haben. Man sieht schöne Sachen im Fußball. Wenn sich mächtige Geschäftsleute um Chelsea kümmern oder Berlusconi den AC Mailand benutzte, um Politik zu machen, all diese Leute gibt es, weil der Fußball dermaßen medialisiert ist. Verantwortlich sind also erstmal die Medien und diejenigen, die die Spieler beschuldigen, so viel Geld zu verdienen.”

Euronews: “2010, auf dem Höhepunkt der Wirtschaftskrise, haben Sie dazu aufgerufen, gleichzeitig viel Geld von der Bank abzuheben, um das Bankensystem zu treffen. Heutzutage spürt man teilweise immer noch die Auswirkungen der Wirtschaftskrise. Ist Ihre Antwort darauf immer noch dieselbe? Die, die Sie damals “eine stille Revolution, ohne Blut und Waffen” genannt haben.”

Éric Cantona: “Ich habe nur gesagt, wenn Millionen von französischen Bürgern gegen die Rentenreform demonstrieren, wenn man wirklich ernstgenommen werden will, sollten wir die Basis des Systems, die Banken, treffen. Natürlich sollten wir nicht so weit gehen, aber es könnte eine ‘Abschreckungswaffe’ sein. Aktuell hoffe ich darauf, dass Solidarität entsteht. Und wenn sie nicht gerade entsteht, muss sie entstehen.”

Euronews: “Eine letzte Frage: Die Cantona-Legende beruht auch auf Ihrem Temperament, Ihren Wutausbrüchen. In wenigen Tagen, am 25. Januar, ist es genau 20 Jahre her, Ihr berühmter Kung-Fu-Tritt gegen einen Fan während eines Spiels gegen Crystal Palace. Ich würde gern wissen: Verspüren Sie keine Reue? Stehen Sie noch immer dazu?

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Éric Cantona: “Was soll ich Ihnen darauf antworten? Das ist mein Leben. Mein Leben besteht aus Dingen, die geschätzt werden, und Sachen, die nicht gefallen, gute, schlechte Dinge. Was ist gut, was ist schlecht? Es ist, wie es ist. Man muss es nur annehmen, weitermachen. Mein Leben ist so. Wo ich heute stehe, ist das Ergebnis des Weges, den ich eingeschlagen habe. Wenn ich nicht all das erlebt hätte in meinem Leben, wäre ich nicht da, wo ich heute stehe. Und ich bin sehr glücklich hier heute vor Ihnen.”

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