Nach IOC-Entscheidung zu Russland: "Betrüger haben gewonnen"

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Die Entscheidung des Internationalen Olympischen Komitees die russische Olympia-Mannschaft nicht komplett zu sperren, stößt auf breite Kritik.

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Die Entscheidung des Internationalen Olympischen Komitees die russische Olympia-Mannschaft nicht komplett zu sperren, stößt auf breite Kritik.
Anti-Doping-Agenturen, Medien und Doping-Fahnder weltweit haben die Entscheidung des IOC angesichts der erdrückenden Beweislast hinsichtlich eines systematisch organisierten Staatsdopings heftig kritisiert.
Auch die Weiterleitung der Verantwortung an die internationalen Fachverbände für die Olympia-Nominierungen der russischen Athleten trifft auf großes Unverständnis.
Nach der IOC-Entscheidung müsse nun der Nachweis erbracht werden, dass russische Athletinnen und Athleten regelmäßig unangekündigt vor den Olympischen Spielen kontrolliert und nicht nur im internationalen Wettkampf getestet wurden.
Die russische Läuferin Julia Stepanowa hatte maßgeblich zur Aufdeckung des systematischen Dopings in der russischen Leichtathletik beigetragen. Trotz ihrer Mithilfe darf Stepanowa bei den Spielen in Rio nicht starten. Der Antrag der Leichtathletin, im August als neutrale Athletin unter Olympischer Flagge antreten zu dürfen, lehnte das IOC ab. Als Grund nannte das IOC die Doping-Vergangenheit von Julia Stepanowa. Damit trifft der Olympia-Bann ausgerechnet die Sportlerin, die mit ihren mutigen Enthüllungen das Dopingsystem in Russland entlarvte.
Für ARD-Dopingexperte Hajo Seppelt hat diese Entscheidung des IOC eine fatale Botschaft, denn somit wird klar, dass jemand, der gegen Doping auspackt, bestraft wird. Seppelt hatte mit seiner ARD-Doku-Reihe “Geheimsache Doping” den ganzen Skandal in Russland aufgedeckt und mit den Aussagen von Stepanowa erhärten können.

euronews

“Herr Seppelt, sie haben immer wieder das russische Staatsdoping scharf kritisiert. Wie bewerten Sie die Entscheidung des IOCs?”

Hajo Seppelt

“Es ist ein Offenbarungseid im Anti-Doping-Kampf. Es ist eine Niederlage für den sauberen Sport, und es ist ein Gewinn für Sportbetrüger. Das ist die Botschaft des gestrigen Tages, der Entscheidung des IOCs. Denn letztendlich hat man vor dem russischen Bären einen großen Knicks gemacht, einen Kotau. Man hat Staatsdoping, aus meiner Sicht der schlimmsten Sorte, eigentlich nur vergleichbar mit dem, was vor dreißig Jahren in der DDR war, ich will nicht sagen salonfähig gemacht aber zumindest nicht energisch in die Schranken verwiesen. Man hat die Verantwortung nun für russische Olympia-Teilnehmer in Rio in die Händer der internationalen Sportverbände delegiert, die nun ihrerseits prüfen sollen, innerhalb von zwölf Tagen, ob überhaupt Teilnehmer aus Russland in Frage kommen. Sie sollen jetzt praktisch ermitteln, ob die Athleten, die auf der Liste der potentiellen Olympia-Teilnehmer Russlands stehen, ob die denn Teil des Staatsdoping-Systems waren oder nicht. Das ist völlig unmöglich innerhalb von zwölf Tagen durchzuführen.

euronews:

“Für die internationalen Fachverbände bleibt wenig Zeit, die einzelnen Dopingvorwürfe zu überprüfen. Doch wäre es nicht falsch alle Sportler zu sperren, wenn ein systematisches Staatsdoping nicht lückenlos nachgewiesen werden kann. Sie selbst haben wiederholt betont, es gebe sicherlich auch in Russland ungedopte Sportler. Gilt dann nicht die Unschuldsvermutung?”

Hajo Seppelt:

“Es werden hier ja nicht Sportler gesperrt, es wird hier ein Verband gesperrt oder ein Russisches Olympisches Komitee, unter dem diese Sportler trainieren, unter dem sie agieren, unter dem sie an Wettkämpfen teilnehmen. Wenn ein Verband nicht garantieren kann, dass seine Sportler, die in seinem Einzugsbereich sind, sauber sind, weil das System in dem sie trainieren, das System unter dem sie auf Doping kontrolliert werden, verseucht und korrupt ist, dann kann es kein “Level Playing Field”, keine Chancengleichheit geben. Dann muss man davon ausgehen, dass potentielle Betrüger oder sogar reale Betrüger am Start sind. Deswegen gibt es den “Welt-Anti-Doping-Code”. Der verpflichtet alle Mitgliedsorganisationen, sich an die Regeln zu halten. Die Russen haben sie elementar gebrochen, in einem historisch beispiellosen Ausmaß. Und insofern stellt sich die Frage, ob man dann, bedauerlicherweise, auch Unschuldige, die in diesem System sicherlich auch unterwegs sind, ob man die dann bedauerlicherweise in diese Kollektivstrafe mit einbeziehen muss.”

euronews:

“Was denken Sie, bedeutet die IOC-Entscheidung für die Zukunft der Olymischen Spiele? Hat das Folgen?”

Hajo Seppelt:

“Es ist hier das ‘Worst Case Scenario’ eingetreten, als man feststellen musste, dass es offensichtlich im Jahr 2016 und den Jahren zuvor – zumindest über etliche Zeiträume – massives Eingreifen des Staates in Russland gegeben hat, politisch gesteuerter Sportbetrug von ganz oben. Athleten wurden in geheimen Dopingprogrammen vorbereitet . Ihre Dopingproben sind vertuscht worden, oder sie sind einfach verschwunden, zerstört worden, wenn sie denn auffällig oder gar positiv gewesen sind. Alles ist in großem Stil vom russischen Sportministerium angeleitet worden, konspirativ abgesichert durch den russischen Geheimdienst. Wenn dieser Level des Betrugs, der Manipulation, nicht ausreicht zu sagen, man muss ein Russisches Nationales Komitee sperren, dann weiß ich nicht, was noch passieren muss, um im Kampf gegen Doping Konsequenz zu zeigen. Und diese Konsequenz hat das IOC missen lassen, und es hat gestern eigentlich die Botschaft in die Welt gesendet: ‘Sehr her, ihr könnt noch so betrügen wie ihr Lust und Laune habt, trotzdem seid ihr herzlich willkommen bei den Olympischen Spielen.”

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