Doppelagent Putin: Im Westen der 'Böse', in Russland verehrt. Warum?

Doppelagent Putin: Im Westen der 'Böse', in Russland verehrt. Warum?
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Von Joël Chatreau
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Nach 18 Jahren im Kreml will das russische Volk Wladimir Putin auch weiterhin an der Spitze des Staates sehen. Warum wird der Präsident im Westen so heftig kritisiert und gleichzeitig zuhause bewundert? Ein Erklärungsversuch.

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Wladimir Putin ist bereits vor der Wahl am Sonntag wiedergewählter Präsident Russlands, wird im Westen ebenso gehasst wie in seinem Land geliebt. Diese extremen Standpunkte sind miteinander verknüpft, denn je mehr Übel ihm vor allem vonseiten der USA vorgeworfen wird, desto mehr neigen die Russen dazu, sich mit ihm zu vereinen. Das geht zumindest aus Umfragen hervor. Aber warum genau gibt es eine so große Kluft zwischen der Wahrnehmung im Westen und in Russland?

Putin ist seit 18 Jahren an der Macht. Während dieser Zeit hat er diplomatische Spannungen wie nie zuvor ausgelöst. So sehr, dass viele internationale Politikexperten von einem neuen "Kalter Krieg" sprechen oder meinen, dass der offiziell 1989 beendete Konflikt lange nicht zu Ende ist.

Warum ist Putin im Westen immer 'der Böse'?

Der Ukraine-Konflikt

Der Westen hat die russische Intervention in der Ukraine noch nicht verdaut. Anfang 2014 wurde auf dem Maidan in der Hauptstadt Kiew ein Aufstand geboren. Er wurde von den ukrainischen Behörden blutig niedergeschlagen und von Moskau heimlich unterstützt. Dennoch verbreiteten sich die Unruhen im ganzen Land. Der pro-russische Präsident Viktor Janukowitsch floh nach Moskau.

Russland schickt nach internationaler Ansicht Soldaten in die Ukraine, um Separatisten im östlichen Teil des Landes zu unterstützen. Das mutmaßliche Ziel ist es, die ukrainischen Truppen weiter zu destabilisieren. Mindestens 10.000 Menschen kamen bei Gefechten im Donbass ums Leben.

Moskau nutzte das Chaos, um die ukrainische Krim-Halbinsel direkt vor den Augen der westlichen Staaten zu annektieren. Mit einem Referendum, das von der internationalen Gemeinschaft als illegal angesehen wird, wurde die Angliederung aus russischer Sicht besiegelt. Am 18. März 2014 trat das Gebiet "offiziell" in die Föderation ein.

Der Krieg in Syrien

Anfang 2011 begann der syrische "Frühling". Die Rebellion wurde angeführt von Oppositionsgruppen und von einigen westlichen Ländern unterstützt. Gleichzeitig gewann die Terrorgruppe Islamischer Staat in Syrien immer mehr an Boden. Bashar al-Assads autoritäres Regime ist bedroht.

Wladimir Putin gilt als Verbündeter des syrischen Präsidenten. Bei jeder Resolution, die dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen vorgelegt wird, um die Kriegsverbrechen der Regierung in Damaskus zu verurteilen, nutze Russland sein Veto-Recht: Elf Resolutionen wurden so verhindert.

Im Jahr 2015 tritt Russland mit voller Wucht in den Konflikt ein und setzt große militärische Ressourcen auf syrischem Boden ein. Auch hier überrascht Kreml-Chef Putin die westlichen Staats- und Regierungschefs. Die russische Offensive kämpft gegen oppositionelle Rebellengruppen sowie die IS-Miliz, befreite einen Großteil des Territoriums.

Russische Einmischung

  • US-amerikanische Geheimdienste haben massive Cyberangriffe russischer Hacker und Trolle im US-Wahlkampf 2016 ausgemacht. Hillary Clinton, die demokratische Präsidentschaftskandidatin, war auch bekanntermaßen nicht Putins Favoritin. Russland wird beschuldigt, die Wahl von Donald Trump unterstützt zu haben.

 

Donald Trump sagte später, er glaube Putins Beteuerungen, wonach Russland die Wahl nicht beeinflusst habe. "Jedes Mal, wenn er mich sieht, sagt er "Ich habe das nicht gemacht", und ich glaube ihm wirklich, wenn er das sagt, er meint das so", so Trump im November 2017. Allerdings steht Trump selbst unter Druck, von russischer Einmischung in den Wahlkampf gewusst zu haben.

  • Und nicht nur in den USA sollen russische Trolle, die möglicherweise von der Regierung unterstützt wurden, Einfluss genommen. Auch im französischen Präsidentschaftswahlkampf 2017 soll Russland die Finger im Spiel gehabt haben, dieses Mal soll Putins Wunschkandidat die rechtsextreme Front-National-Chefin Marine Le Pen, gewesen sein. Le Pen war sogar zu Gast bei Putin im Kreml.

Sollten die Anschuldigungen stimmen, ist Putins Versuch gescheitert: Emmanuel Macron gewann die Wahl eindeutig am 14. Mai. Der neue französische Präsident beschuldigte Russland, falsche Informationen gestreut zu haben, um ihn zu destabilisieren.

Warum ist Putin immer noch "der Gute" in Russland?

  • Die große Angst einer Mehrheit der Russen besteht darin, in die totale politische und wirtschaftliche Krise zurückzufallen, die in den frühen 1990er Jahren nach dem Fall des Kommunismus herrschte. Wladimir Putin beruhigt die Bevölkerung, vor allem in ländlichen Regionen, in denen das tägliche Leben ungewiss ist. Die Leute wissen, woran sie sind und lehnen eine unbekannte Alternative ab.

  • Der russische Präsident regiert mit eiserner Hand, aber für die Bevölkerung verleiht er dem Land vor allem Stolz und Größe. Russland wird auf der internationalen Bühne wahrgenommen. Die Popularität Putins in der Bevölkerung wurde durch die Annexion der Krim gestärkt. Der 18. März, der Tag der Präsidentschaftswahlen, fällt mit dem vierjährigen Jubiläum des Staatsstreichs zusammen.

  • Das mächtige Militär: Anfang März hielt Putin eine der kriegerischsten Reden seiner 18-jährigen Herrschaft. Er führte neue "unbesiegbare" Waffen vor. Im Falle eines nuklearen Angriffs auf Moskau drohte er Washington mit einer "sofortigen Reaktion".

Putins Hauptgegner Alexei Nawalny darf bei der Wahl am Sonntag nicht antreten, dafür hat Putin gesorgt. Bis 2024 darf der Kreml-Kritiker kein politisches Amt einnehmen. Zu diesem Zeitpunkt wird Putin seine vierte Amtszeit beendet haben und Russland fast ein viertel Jahrhundert regiert haben.

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