Georgiens Präsidentin: "Es gibt keine Alternative zur europäischen Anziehungskraft"

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Von Anelise Borges  & Sabine Sans
Georgiens Präsidentin: "Es gibt keine Alternative zur europäischen Anziehungskraft"

Unter dem Schutz des großen russischen Nachbarn hat es in Abchasien Präsidentschaftswahlen gegeben. Georgien bezeichnet die Wahl als irrelevant, weil die Region völkerrechtlich zu Georgien gehört. In Paris war Georgiens Präsidentin Salome Surabischwili zu Gast im euronews-Programm "The Global Conversation" mit euronews-Reporterin Anelise Borges.

euronews-Reporterin Anelise Borges:

Die Präsidentschaftswahlen in Abchasien wurde von meinem heutigen Gast als irrelevant und als eine Verletzung der nationalen Souveränität Georgiens bezeichnet. Frau Präsidentin Salome Surabischwili vielen Dank, dass Sie euronews ein Interview geben. Abchasien ist in Ihrem Land ein umstrittenes Thema. Die abtrünnige Region...

**Georgiens Präsidentin Salome Surabischwili:

Es ist kein umstrittenes Thema, es ist eine besetzte Region. euronews:
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Völkerrechtlich gehört die Region zu Georgien, aber es gibt Nationen wie Venezuela, Nicaragua, aber auch Syrien und natürlich Russland, die sie als unabhängigen Staat anerkennen. Das ist natürlich ein Thema - diese Region, und auch Südossetien - sind zentrale Themen in Ihren Beziehungen zu einem sehr mächtigen Nachbarn - Russland. Der kurze, aber kostspielige Krieg, um die abtrünnigen Regionen wieder einzugliedern, ist schon über zehn Jahre her. Können Sie uns mehr über diese Wahl und auch darüber erzählen, wie Sie mit diesen beiden umkämpften Regionen umgehen?

Salome Surabischwili:

Diese sogenannte Wahl, denn wir werden sicherlich nicht anerkennen, dass unter diesen Bedingungen Wahlen stattfinden. Aber ich bin der festen Überzeugung, dass in naher Zukunft in ganz Georgien Wahlen stattfinden werden, bei denen die Bürger - die in Abchasien lebenden Bürger - an einer freieren Wahl teilnehmen können, die die Zukunft ihrer Region in Georgien bestimmt.

euronews:

Sie haben es einmal eine Tragödie genannt - eine nationale Tragödie, eine Tragödie, die bis heute andauert - die Tatsache, dass diese beiden Regionen umstritten sind.

Salome Surabischwili:

Was man meiner Meinung nach besonders beachten sollte, ist die Tragödie, die es für die dort lebenden Menschen bedeutet: Sie dürfen ihre Sprache nicht mehr sprechen, ihre Identität wird bedroht, es gibt eine Politik der Russifizierung - also es ist eine sehr schwierige Situation. Besonders auch für die an der Grenze lebenden Dorfbewohner - manchmal werden sie entführt, dort ist die Situation sehr angespannt. Aber gleichzeitig, und das ist das Wichtigste, ist es Georgien gelungen, seinen Weg nach Europa, seine wirtschaftliche Entwicklung, seine demokratische Entwicklung fortzusetzen. Und wenn das Ziel - und meiner Meinung nach war das Ziel dieses Krieges und der darauffolgenden Besatzung - darin besteht, Georgien von dieser Richtung abzubringen, von unserer gewählten Richtung Westen, dann haben wir gewonnen.

euronews:

Lassen Sie uns gleich über Europa sprechen. Aber zunächst würde ich gern wissen, wie kompliziert es für Sie ist, ein relativ kleines Land zu führen, in Anbetracht dessen, dass Sie einen Nachbarn mit so großen Ambitionen haben. Haben Sie jemals den russischen Präsidenten Vladimir Putin getroffen? Stehen Sie in Kontakt mit ihm?

Salome Surabischwili:
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Sie wissen, dass wir seit und aufgrund des Krieges sowie der besetzten Gebiete keine diplomatischen Beziehungen mehr haben. Ich habe oft gesagt, dass wir, um die Kontakte - erneute Kontakte - wieder aufzunehmen, ein klares Zeichen brauchen, dass sich die Einstellung Russlands zu dem kleinen Nachbarn, der wir sind, geändert hat. Außerdem muss es die Erkenntnis geben, dass nachbarschaftliche Beziehungen nicht gewalttätig ablaufen sollten. Wenn wir also klare Zeichen in diese Richtung sehen, bin ich sicher, dass wir in Zukunft für einen Dialog bereit sein werden._

Ist es schwierig, Präsidentin eines solchen Landes zu sein? Georgien hat 27 Jahrhunderte Erfahrung damit, allen Arten von Imperien widerstanden zu haben - fast allen von ihnen. Teile unseres Territoriums waren zu verschiedenen Zeiten der Geschichte von verschiedenen Imperien besetzt. All das haben wir überlebt. Ich bin also sicher, dass wir überleben werden. Ich bin sicher, dass wir uns weiter Richtung Europa, zu einer Mitgliedschaft Europas bewegen werden. Dafür sind wir einen langen Weg gegangen. Was mir sehr wichtig ist und was vor 15 Jahren niemand vorhergesagt hätte: Erstens nimmt Georgien an der Europäischen Nachbarschaftspolitik teil und ist zweitens Mitglied der vertieften und umfassenden Freihandelszone (DCFTA). Niemand hätte das Assoziierungsabkommen mit der EU vorhergesagt oder dass wir ein freies System, freien Handel haben werden. Alle haben gedacht, dass das unmöglich ist. Aber meiner Meinung nach ist es möglich und deshalb ist es eine Herausforderung, Präsidentin dieses Landes zu sein, aber ich bin sehr optimistisch."

"Georgier fühlen sich als Europäer. Sie streben nicht danach, sie sind Europäer."
Salome Surabischwili
Präsidentin Georgiens

euronews:

Sie haben auch gesagt, dass Ihre Wahl zur Präsidentin ein Zeichen ist, dass Georgien Richtung Europa strebt. Sie sind Europäerin, - in Paris geboren und aufgewachsen - etwa 80 Prozent der Georgier sind nach jüngsten Umfragen für einen EU-Beitritt. Und das in einer Zeit des Brexit! Warum will Ihrer Meinung nach - während in Europa die schwierige Scheidung mit Großbritannien Thema ist - warum will Georgien EU-Mitglied werden?

Salome Surabischwili:

Zuerst einmal möchte ich betonen, dass ich nicht trotz meiner französischen Wurzeln und der Tatsache, dass ich Europäerin bin, gewählt wurde, sondern gerade deshalb. In der georgischen Mentalität ist sehr tief verwurzelt, dass die Georgier sich als Europäer fühlen. Sie streben nicht danach, sie SIND Europäer. Sie sind auch sehr optimistisch in Bezug auf Europa, weil sie der Meinung sind, dass es keine Alternative zur europäischen Anziehungskraft gibt. Was man aus europäischer Sicht manchmal übersieht. Aber die Europäer sollten sich einmal vorstellen, es gäbe kein Europa, man müsste zur Situation zurückkehren, die vorher herrschte. Dann würden sie sicherlich erkennen, dass das ein Alptraum wäre. Europa ist also eine sehr wichtige Konstruktion - eine sehr erfolgreiche Konstruktion - auch wenn es Krisenzeiten gibt. Ein interessanter Gedanke ist meiner Meinung nach auch, dass alle Fortschritte Europas wegen der Krise gemacht wurden - wiederum nicht trotz der Krise, sondern wegen der Krise und als Folge der Krise. Der Brexit ist sicherlich eine sehr große Herausforderung -, aber ich bin sicher, er wird Europa neue Möglichkeiten, einen neuen Reformwillen eröffnen. Ich bin Optimistin, ich bin sicher, das wird uns neue Türen öffnen.

euronews:

Und - mit der Bitte um eine kurze Antwort - ist das etwas, was Sie genau beobachten, der Brexit sowie die Krisen der EU mit all ihren Chancen?

Salome Surabischwili:

Sehr genau, wir müssen unseren Weg Richtung Europa, - den ich bisher beschrieben habe - fortsetzen. Und wir werden ihn fortsetzen. Um Mitglied in der EU zu werden, müssen wir genau wissen, wo wir uns im neuen Gefüge der EU positionieren. Also müssen wir die Europäische Union sehr gut kennen und dabei gleichzeitig sehr realistisch und sehr ambitioniert sein.