Will Putin Weißrussland annektieren?

Alexander Lukaschenko und Wladimir Putin
Alexander Lukaschenko und Wladimir Putin Copyright AP/Mikhail Klimentyev
Von Orlando CrowcroftNaria Davlashyan
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Juniorpartner in einer Union mit Russland will Minsk nicht sein. Doch der Präsident von Weißrussland fühlt sich von Moskau unter Druck gesetzt.

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Als der weißrussische Staatschef Alexander Lukaschenko 1997 ein Abkommen über den schrittweisen Eintritt in einen Unionsstaat mit dem benachbarten Russland unterzeichnete, zeigten der damalige russische Präsident Boris Jelzin und die Europäische Union wenig Interesse an dem postsowjetischen Staat.

Das Abkommen sah vor, dass Weißrussland und Russland eine gemeinsame Währung, eine gemeinsame Außen- und Verteidigungspolitik, ein gemeinsames Parlament, ein einheitliches Steuergesetz, offene Grenzen und die Verpflichtung zur Unterstützung von Sanktionen, die von einer der beiden Regierungen gegen einen anderen Staat verhängt werden, einführen.

In Ermangelung von Alternativen schien eine Symbiose mit dem größeren Nachbarn für Minsk die beste Option zu sein.

"Die EU war an Weißrussland praktisch nicht interessiert", sagte Jewgeni Reschenkow, außerordentlicher Professor am Lehrstuhl für Internationale Beziehungen im postsowjetischen Raum der Staatlichen Universität St. Petersburg.

"[Europa] bot Weißrussland keine attraktiven Alternativen, so dass die politischen Eliten des Landes die zugänglichste und verständlichste Option wählten."

Wir können nicht Teil eines anderen Landes werden.
Alexander Lukaschenko

Doch in den vergangenen 20 Jahren haben sich die Umstände verändert. Die Integration mag immer noch die Sprache der "gemeinsamen" Politik und einer "gemeinsamen" Währung verwenden, aber Wladimir Putins Russland geht weiter als das.

"Die beiden Länder haben sich [seit der Unterzeichnung des Abkommens in den 1990er Jahren] weit voneinander entfernt", sagte Rumen Dobrinsky, ein Weißrussland-Experte vom Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsstudien. "Ich sehe niemanden in Weißrussland, der bereit wäre, [...] ein Teil von Russland zu werden. Weißrussland genießt seine Unabhängigkeit".

Inzwischen weiß Lukaschenko, dass eine Vereinigung mit Putins Russland im Jahr 2020 einseitig wäre.

"Wenn es ein gemeinsames Parlament und eine gemeinsame Regierung gibt, wird diese natürlich von Russland dominiert werden", sagte Dobrinski. "Wenn es eine gemeinsame Währung gibt, wird es der russische Rubel sein, also wird Weißrussland praktisch seine gesamte internationale Unabhängigkeit verlieren."

Hinzu kommt, dass Lukaschenko - der seit der Unabhängigkeit 1991 in Weißrussland regiert - in Putin einen Gegner sieht, den er in Jelzin nie gesehen hat.

"Lukaschenkos Einstellung zur Integration hat sich geändert [...] denn zuvor glaubte er, dass er in den Augen der Russen wie ein geeigneter politischer Führer im postsowjetischen Raum aussah, aber Wladimir Putin erwies sich als populärer", so Treschenkow.

Zu einem bestimmten Zeitpunkt, so Treschenkow, glaubte man sogar, Lukaschenko habe Pläne, nach Jelzin die Macht im Kreml zu übernehmen.

In einer Rede sagte Lukaschenko kürzlich: "Die Weißrussen würden mich bei lebendigem Leibe auffressen", wenn er die Integration mit Russland vorantreiben wolle, und damit könnte er durchaus Recht haben. Die Gespräche zwischen Putin und Lukaschenko im Dezember führten zu wütenden Protesten auf den Straßen von Minsk.

Das Problem für Lukaschenko ist, dass für Putin ein Abkommen ein Abkommen ist. Als Teil des Abkommens von 1997 verpflichtete sich Russland, Weißrussland mit Öl und Gas zu Niedrigpreisen zu beliefern. In den letzten 22 Jahren hat es dies getan, doch am 31. Dezember 2019 drehte Moskau dann den Hahn ab. In den letzten drei Wochen hat Weißrussland keine Energie von seinem Nachbarn erhalten.

In einem Gespräch mit Arbeitern einer Papierfabrik sagte Lukaschenko in der vergangenen Woche, Russland habe die Öl- und Gaslieferungen an Weißrussland gestoppt, um "Weißrussland... in einem brüderlichem Russland aufzulösen".

AP Photo/Vita Jureviciene
Der norwegische Rohöltanker Breiviken wird zum Ölterminal Klaipeda in Klaipeda, Litauen, eskortiert, Donnerstag, 23. Januar 2020AP Photo/Vita Jureviciene

Der weißrussische Präsident fügte hinzu: "Wir haben unser eigenes Land, wir sind souverän und unabhängig. Mit unserem Verstand und unseren Händen verdienen wir, was wir können, wir bauen unser eigenes Land auf. Und wir können nicht Teil eines anderen Landes sein."

Weißrussland verlässt sich bei der Deckung seines Energiebedarfs zu 80 Prozent auf Russland, will aber Vereinbarungen mit den USA, Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten vorantreiben, wie Lukaschenko am Freitag ankündigte.

"Amerika, Saudi-Arabien, die Emirate... Ich habe eine brillante Beziehung zu ihnen, sie sagen, dass sie so viel Öl wie nötig liefern werden'', sagte Lukaschenko und bestand darauf, dass seine Absicht, den Forderungen Russlands nicht nachzugeben, "kein Bluff" sei.

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Aber Aliaksandr Klaskouski, Direktor für analytische Projekte bei BelaPAN und ein weißrussischer Politikexperte, meint, dass Weißrussland zwar versuchen könne, mit anderen Nationen Geschäfte für Öl und Gas abzuschließen, dass aber die weißrussische Wirtschaft weiterhin extrem eng mit Russland verwoben sei.

Demokratisches Defizit

"Minsk musste verhandeln. [...] Es ist unmöglich, die Beziehungen zu Moskau einfach abzubrechen und über Nacht auf neue Märkte umzuleiten", sagte Klaskouski.

Hinzu kommt die Tatsache, dass Lukaschenko sich zwar wirtschaftliche Beziehungen wünscht, die seine Abhängigkeit von Russland verringern würden, aber seine mangelnde Bereitschaft, politische Reformen durchzuführen, hindert ihn daran.

Bei den für das Land typisch fragwürdigen Wahlen im vergangenen Jahr hat kein einziger Kandidat der Opposition einen Sitz im weißrussischen Parlament bekommen. Es ist ein Demokratiedefizit, das Putin - ein Meister der kreativen Methoden, um an der Macht zu bleiben - lieber übersieht als Brüssel.

"Lukaschenko hat Angst, Wirtschafsreformen durchzuführen, ganz zu schweigen von politischen Reformen, weil er um die Stabilität seines Regimes fürchtet", so Klaskouski. "Und das Fehlen von Reformen behindert die Diversifizierung der Wirtschaft, behindert die Annäherung an Europa und bindet Weißrussland an Russland".

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Aber nicht alle sind sich einig, dass Putins Russland die Karten in den Beziehungen zu seinem Nachbarn in der Hand hat.

Mathieu Boulegue vom Chatham House sieht das anders: "Russland braucht Weißrussland in mehrfacher Hinsicht - und mehr als wir denken - besonders in Zeiten internationaler Sanktionen [...]. Russland schätzt ein stabiles Weißrussland mehr als alles andere, besonders jetzt."

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