Iran wählt - Wächterrat lässt viele Reformer nicht kandidieren

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Von Hamidreza Homayounifar, su mit dpa
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Frust regiert zur Parlamentswahl im Iran: Vor der Wahl hatte der Wächterrat eine Reihe reformfreundlicher Persönlichkeiten, auch Abgeordnete, von der Kandidatur ausgeschlossen. Reformisten fürchten einen unfairen Wettbewerb. Viele Städter überlegen, ob sie überhaupt zur Wahl gehen

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Der Iran wählt an diesem Freitag (21. Februar) ein neues Parlament – selbst Präsident Hassan Ruhani ist nach Medienberichten (ZEIT online) von der mangelnden Auswahl frustriert. "Dies ist keine echte Wahl. Dies ist wie ein Laden, der einen einzigen Artikel feilbietet und davon 2.000 Stück," sagte er demnach auf einer live im Staatsfernsehen übertragenen Kabinettsitzung.

Der ultraorthodoxe Wächterrat hatte knapp die Hälfte der Kandidatinnen und Kandidaten (rund 7.300 von 14.400) nicht zur Wahl zugelassen, darunter auch 90 Mitglieder der ausgehenden 290-köpfigen Volksvertretung.

Weitere Gründe für Wahlfrust: Der Abschuss des ukrainischen Flugzeugs bei Teheran (8. Januar 2020, 176 Tote) und das Vorgehen gegen weit verbreitete Proteste gegen den Anstieg der Benzinpreise im vergangenen November.

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Eine Frau in Teheran:

„Ich gehe nicht wählen, weil die Islamische Republik bisher keine ihrer Versprechen gehalten hat.“

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Ein Mann in Teheran:

„Ich weiß, dass all unsere Erwartungen enttäuscht werden. Und durch die vielen Ausschlüsse in diesem Jahr kommen die, die ein bisschen was bewirken könnten, nicht ins Parlament.“

Andere sind jedoch entschlossen zu wählen und glauben, dass die Wahlurne das beste Mittel ist, um die öffentlichen Interessen in Zukunft abzusichern.

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Ein überzeugter Wähler:

„Wir werden versuchen, den oder die richtigen Kandidaten zu finden und für sie zu stimmen, damit sie den Fortschritt des Landes planen können.“

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Vor der Wahl hatte der Wächterrat eine Reihe reformfreundlicher Persönlichkeiten, auch Abgeordnete, von der Kandidatur ausgeschlossen. Politische Aktivisten und Unterstützer von Reformisten kritisierten das und fürchten einen unfairen Wettbewerb zwischen Fundamentalisten und Reformisten.

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Mostafa Tajzadeh, reformistischer Aktivist:

„Dies könnte die eisigste Wahlatmosphäre sein, die ich in den letzten 40 Jahren erlebt habe, ein Rennen mit einem einzigen Pferd. Eine Seite ist überall präsent, die andere wird gebremst.

In Teheran wurden nicht so viele Kandidaten disqualifiziert, weil die Stadt im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht, aber in anderen Provinzen wurden viele Reformisten als Kandidaten abgelehnt, um im Parlament die Mehrheit zu garantieren.“

Ein Rennen mit einem einzigen Pferd
Mostafa Tajzadeh
reformistischer Aktivist

ABSTIMMUNG PER WAHLBETEILIGUNG

In den vergangenen 41 Jahren gingen im Schnitt 60,5 Prozent der Iraner zur Parlamentswahl. Laut einigen Umfragen sind die Wähler in den Städten dazu immer weniger bereit.

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Hamidreza Homayounifar, Euronews:

„Die Unzufriedenheit mit Wirtschaft und Politik ist seit November 2019 auf dem Vormarsch, die Wahlbeteiligung bei den Parlamentswahlen im Iran wird zur eigentlichen Meinungsäusserung. Viele Menschen Schalten am Freitag ab, das Ergebnis dürfte Öffentlichkeit und Außenpolitik nicht ändern.“

2016 hatten Millionen an der Wahl teilgenommen in der Hoffnung - besonders nach dem Wiener Atomabkommen von 2015 - endlich wieder ein normales und ruhiges Leben führen zu können. Nationale Interessen sollten in den Vordergrund gestellt und politische Spannungen mit dem Ausland sowie Sanktionen endlich beendet werden. Die hohe Wahlbeteiligung führte zu einem Erfolg für die Koalition der Reformer und der moderaten Kräfte bei der Parlamentswahl. Sie versprachen - wie auch Ruhani - eine Versöhnung mit der Außenwelt, wirtschaftlichen

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Aufschwung, neue Arbeitsplätze und Freilassung aller politischen Gefangenen.

Vier Jahre später sieht die Realität ganz anders aus. Das Land befindet sich in seiner schlimmsten Wirtschaftskrise. Die Währung Rial ist nur noch die Hälfte wert. Die

Arbeitslosigkeit ist hoch, vor allem bei qualifizierten Jugendlichen. Auch die Versöhnung mit der Außenwelt klappte nicht. Nach dem Ausstieg der Trump-Regierung aus dem Atomabkommen und den damit verbundenen neuen Sanktionen droht dem Land neben der Finanzkrise auch wieder die internationale Isolierung. Politische Gefangene gibt es auch weiterhin.

Außerdem kam es auch mit Ruhani und den Reformern an der Macht zu mehreren Massenprotesten. Mal richteten diese sich gegen die iranische Nahostpolitik - der Führung wurde vorgeworfen, weniger das Wohl des eigenen Volks als vielmehr das der Araber im Blick zu haben. Mal richteten sich die Kundgebungen gegen das obligatorische Kopftuch für Frauen. Am stärksten waren die Proteste im November 2019 nach der Erhöhung der Benzinpreise um fast das Dreifache. Die führte in dem ohnehin von einer Finanzkrise erschütterten Land zu noch mehr
Inflation. Dabei sollen auch mehrere Demonstranten getötet und verhaftet worden sein. Noch immer will die Regierung zu der Anzahl der Toten und Verhafteten keine genauen Angaben machen. Zu den jüngsten Protesten kam es im Januar nach dem Abschuss einer ukrainischenPassagiermaschine durch das Militär - alle 176 Menschen an Bord kamen ums Leben.

su mit dpa

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