Albin Kurti: "Gerechtigkeit sollte vor Ort ausgeübt werden"

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Von Jack Parrock
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Der Ministerpräsident des Kosovo plädiert in "The Global Conversation" für eine Stärkung der nationalen Gerichte.

Die Amtsübernahme des früheren Oppositionspolitikers Albin Kurti bedeutet eine Zeitenwende im Kosovo. Das Land wurde bislang von ehemaligen Mitgliedern der Bürgerkriegsmiliz UCK regiert. Mit seiner linken Partei Vetevendosje hatte Albin Kurti im Herbst 2019 die Parlamentswahlen gewonnen. Es folgten zähe Verhandlungen, um Anfang Februar eine Einigung zu erzielen und eine Regierung auf die Beine zu stellen. Kurti regiert zusammen mit der konservativen Demokratischen Liga des Kosovos (LDK) und einigen Parteien der ethnischen Minderheiten. Jahrelang hat der "Rebell" Kurti mit seinen Protestaktionen das Parlament in Pristina aufgemischt. Der 44-Jährige mit dem Spitznamen "Che Kosovar" war früher Studentenführer, er saß unter Slobodan Milošević im Gefängnis.

Jack Parrock, euronews-Reporter:
Der neue Ministerpräsident des Kosovo ist seit Anfang Februar im Amt. Wichtigste Aufgabe seiner Regierung ist eine Verhandlungslösung mit Serbien über die Unabhängigkeit des Kosovo. Albin Kurti ist mein Gast in The Global Conversation. Herr Ministerpräsident, wie sieht Ihr Plan für die Verhandlungen mit Serbien aus?
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Albin Kurti, Ministerpräsident des Kosovo:**
Wir wollen einen echten Dialog führen, der gut vorbereitet ist und Regeln folgt. Natürlich fordern wir die Anerkennung unserer Republik. Meiner Meinung nach sollte sich Serbien seiner eigenen Vergangenheit stellen, all den Missetaten und Verbrechen während des Krieges. Ich denke, dass wir durch die Aufarbeitung der Vergangenheit gute Bedingungen für Frieden und Stabilität in der Region schaffen können. Was Serbien betrifft, so wollen wir Gleichheit. Wir wollen Gegenseitigkeit.

Euronews:
Was werden Sie anders machen können als frühere Regierungen?
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Albin Kurti:**
Ich bin über zwei Jahrzehnte in der Opposition gewesen. Ich kenne Serbien sehr gut. Sie kennen mich auch sehr gut. Ich saß zwei Jahre und sieben Monaten in ihren Gefängnissen. Das war während der Zeit von Milošević , aber auch später. Die Zeit ist reif für einen neuen Dialog, um eine Einigung zu erzielen, die sowohl die zukünftigen Werte als auch die Fakten aus der Vergangenheit berücksichtigt.

Inhalt des Abkommens mit Serbien ist wichtiger als der Zeitrahmen

Euronews:
Wie sieht Ihr Zeitplan dafür aus?

Albin Kurti:
Wir können sofort damit anfangen. Sobald die neue Regierung in Serbien steht. Aber noch einmal, der Inhalt dieses Abkommens ist wichtiger als der Zeitrahmen.

Territoriale Lösungen sind nur Ursachen für neue Konflikte, nicht für den benötigten Frieden.
Albin Kurti
Ministerpräsident des Kosovo

Euronews:
Wie stehen Sie zu einem etwaigen Gebietsaustausch mit Serbien? Wären Sie bereit, darüber zu verhandeln?

Albin Kurti:
Das Kosovo kann einen wie auch immer aussehenden Gebietsaustausch oder eine territoriale Änderung nicht akzeptieren. Entsprechende Projekte sind in der Vergangenheit gescheitert und werden auch in der Zukunft scheitern - besonders jetzt, wo wir an der Macht sind. Territoriale Lösungen sind nur Ursachen für neue Konflikte, nicht für den benötigten Frieden.

Euronews:
Sie haben gesagt, dass Sie bereit sind, die hundertprozentigen Zölle auf serbische Waren zu beenden. Das fordern auch die USA, aber ohne weiteren Bedingungen. Ist das möglich?

Albin Kurti:
Es gibt eine enorme Vielfalt an nicht-tarifären Barrieren, die Serbien den Exporten des Kosovo auferlegt. Wir wollen keine Gegenseitigkeit als Vergeltungsmaßnahme, sondern Gegenseitigkeit als Prinzip konstruktiver, gesunder bilateraler Beziehungen. Die Menschen haben für Gegenseitigkeit gestimmt. Wir können die hundertprozentigen Zölle nicht einfach aufheben.

"Wir sind von der EU umzingelt"

Euronews:Sie streben eine EU-Mitgliedschaft des Kosovo an. Ihre unmittelbaren Nachbarn, Nordmazedonien und Albanien, werden von der Europäischen Union hingehalten. Hat das die Einstellung des Kosovo, hat das Ihre Einstellung zum EU-Beitrittsprozess verändert?

Albin Kurti:
Wir stehen natürlich hinter Albanien und Nord-Mazedonien, und die Entscheidung, keine Verhandlungen mit diesen beiden Ländern aufzunehmen, hat uns enttäuscht. Aber wir respektieren sie. Die EU sollte um den Westbalkan erweitert werden. Wir sind keine Nachbarn der EU. Wir sind von der EU umzingelt.

Euronews:
Sie trafen sowohl den EU-Außenbeauftragten Josep Borrell als auch den US-Sondervermittler Richard Grenell. Glauben Sie, dass sie auf der gleichen Wellenlänge sind, was die Beziehungen zwischen Kosovo und Serbien betrifft?

Albin Kurti:Herr Grenell bestand auf einer Vereinbarung, die im Laufe dieses Frühjahrs zustande kommen sollte. Natürlich wäre das großartig. Aber wir sollten die Beziehungen und den Dialog als solchen nicht durch Vereinbarungen gefährden, die vielleicht zu schnell getroffen werden, um akzeptabel zu sein.

Euronews:
Die Europäische Union hat gerade den slowakischen Außenminister Miroslav Lajčák zum Sondergesandten für den Dialog ernannt. Josep Borrell kommt aus Spanien. Beide Länder erkennen die Unabhängigkeit des Kosovo nicht an.

Albin Kurti:
Es liegt nicht an uns zu entscheiden, wer welche Positionen in Brüssel bekleidet. Aber ja, es hat bei den Kosovaren und bei uns als neue Regierung eine gewisse Skepsis ausgelöst, dass diese Ämter von zwei sehr hohen Beamten aus zwei Ländern eingenommen werden, die uns nicht anerkennen. Ich hoffe, dass sie nicht ihre Länder, sondern die EU vertreten werden.

Euronews:
Ist das realistisch? Josep Borrell hat sich in der Vergangenheit eindeutig geäußert.

Albin Kurti:
Vielleicht sollte er die gesamte Problematik des Westbalkans im Sinne einer europäischen Lösung neu überdenken. Die Unabhängigkeit des Kosovo ist eine Tatsache. Wer die Realitäten nicht sehen und eine Lösung anstrebt, ohne diesen Staat oder den Willen der Menschen hier zu akzeptieren, der fügt sich selbst den größten Schaden zu.

Euronews:
Ihre Partei hat gegen die Einrichtung des internationalen Kosovo-Sondertribunals in Den Haag gestimmt. Von Ihnen wird eine Zusammenarbeit mit diesem Tribunal erwartet. Sind Sie bereit dazu?

Albin Kurti:
Da kann ich nicht viel tun. Wenn man bedenkt, dass Sondertribunale zu einer internationalen Verpflichtung geworden sind. Sie wurden vor fast fünf Jahren in unserem Parlament mit einer Zweidrittelmehrheit befürwortet. Das ist eine sehr einzigartige Art von Gericht, dem es meiner Meinung nach an Transparenz mangelt.

Euronews:
Sie würden es vorziehen, dass das Kosovo-Sondertribunal von Den Haag in Pristina angesiedelt wird?
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Albin Kurti:**
Ich möchte unsere nationalen Gerichte stärken, normale Gerichte. Meiner Meinung nach sollte Gerechtigkeit vor Ort ausgeübt werden.
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Euronews:**
Sie werden also mit dem Kosovo-Sondertribunal in Den Haag voll und ganz zusammenarbeiten?
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Albin Kurti:**
Unser Justizministerium hat kooperiert. Das Sondertribunal hat Macht: Aber gerade scheint sein Ziel mehr darin zu bestehen, UÇK-Kommandeure (Befreiungsarmee des Kosovo), die heute mächtige Politiker sind, zur Rechenschaft zu ziehen, als Opfern Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.

Euronews:
Aber Sie kooperieren mit dem Tribunal und geben alle geforderten Informationen?

Albin Kurti:
Das ist eine internationale Verpflichtung für uns.

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