Frans Timmermans: "11 Mio fließen in fossile Brennstoffe, pro Minute!"

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Von Méabh Mc Mahon
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Frans Timmermans, der EU-Klimakommissar und Vizepräsident der Europäischen Kommission, ist das Gesicht des Europäischen Green Deal. In The Global Conversation erklärt er, wie Europa seine Emissionen bis 2030 um mindestens 55 Prozent senken will.

**Frans Timmermans, der EU-Klimakommissar und Vizepräsident der Europäischen Kommission, ist das Gesicht des Europäischen Green Deal. In The Global Conversation gewährt er einen Blick hinter die Kulissen der vergangenen Weltklimakonferenz und erklärt, wie Europa seine Emissionen bis 2030 um mindestens 55 Prozent senken will. **

**Euronews-Reporterin ****Méabh Mc Mahon: **

„Auf der COP26 in Glasgow ging das Bild viral, als Sie ein Foto Ihres einjährigen Enkels Kees zeigten. Es hat einen Nerv getroffen. Ich vermute, Sie wollten damit zeigen, dass auch Technokraten Menschen sind. Sie sagten, dass Kees im Jahr 2050 31 Jahre alt sein wird. Wenn wir heute versagten, würde er dann mit anderen Menschen um Wasser und Nahrung kämpfen. Das sei die nackte Realität. Meine erste Frage ist, wird Kees mit dem Ergebnis der COP26 zufrieden sein?"

Frans Timmermans:

"Ich glaube nicht. Wir haben noch sehr viel Arbeit vor uns. Aber was ich damit sagen wollte, ist, dass das für jeden einzelnen von uns eine persönliche Angelegenheit ist. Nicht nur für mich und meinen Enkel. Sie alle haben geliebte Menschen, Kinder oder Familienangehörige, die unter den Folgen der Klimakrise leiden werden, wenn wir sie nicht lösen."

Euronews:

"Beinahe hätte es keine Einigung gegeben. Geben Sie uns einen Blick hinter die Kulissen von COP26. Was war da los?"

**Frans Timmermans: **

"Ich denke, es ist immer schwierig, auf einer COP eine globale Einigung zu erzielen. Aber dieses Mal waren wir ehrgeiziger als viele Länder erwartet hatten, deshalb hat es ein bisschen gedauert, bis alle zusammenkamen. Vor allem die Formulierung der britischen Präsidentschaft zur Kohle war für einige Länder, die Kohle produzieren, etwas zu viel. Deshalb mussten wir das umformulieren, wir haben dabei ein hohes Maß an Ehrgeiz erhalten aber ein paar andere Worte verwendet. Aber das Ende der Kohle ist abzusehen und das ist das Wichtigste."

**Euronews: **

"Wir haben einen emotionalen COP26-Präsidenten gesehen. Alok Sharma sagte, es sei nur ein 'schwacher Sieg'."

Frans Timmermans:

"Ja, er war emotional, weil wir in letzter Minute von mehreren Ländern überrascht wurden, die das Endergebnis plötzlich nicht mehr unterstützen wollten. Wir mussten also gemeinsam mit diesen Ländern eine schnelle Lösung finden, was uns glücklicherweise auch gelungen ist."

Euronews:

"Zu den Klima-Reparationen: Warum zögert Europa so sehr bei einem Schadensausgleich für die Länder, die vom Klimawandel betroffen sind, ihn aber nicht verursachen?"

Frans Timmermans:

"In den Industrieländern gibt es niemanden, der mehr für die Anpassung an den Klimawandel und für Schäden und Verluste tut als die EU. Wir haben andere Industrieländer dazu gedrängt, mehr Geld auf den Tisch zu legen. Wir haben zusätzliches Geld für Verluste und Schäden auf den Tisch gelegt. Wir haben mehr Geld in den Anpassungsfonds gesteckt. Wir in den Industrieländern sind also führend in diesem Bereich, aber wir müssen noch viel mehr tun, denn wir sprechen hier von Billionen an Anpassungsgeldern, die notwendig sein werden, um den Planeten auf das vorzubereiten, was bereits passiert, den Klimawandel."

"Andere haben noch keinen Plan - wir haben einen."

Euronews:

"Während Sie drinnen waren, standen bei der COP26 draußen Aktivisten. Sie richteten die Frage an die EU: ‚Auf welcher Seite steht ihr? Auf der Seite der fossilen Brennstoffe oder der Klimagerechtigkeit?‘ Was antworten Sie ihnen?"

Frans Timmermans:

"Wir stehen auf der Seite der Klimagerechtigkeit und wir stehen auch auf der Seite des Ausstiegs aus den fossilen Brennstoffen. Diese Formulierung wurde in die Abschlusserklärung aufgenommen, das gab es vorher noch nie. Und wir haben die politischen Maßnahmen, um das zu untermauern. Wir sind der einzige Teil der Welt, der tatsächlich einen Plan hat, wie wir unsere Emissionen bis 2030 um mindestens 55 Prozent reduzieren können. Viele andere Länder haben zwar erklärt, dass sie Mitte des Jahrhunderts kohlenstoffneutral sein wollen, aber sie haben immer noch keinen wirklichen Plan, wie sie dieses Ziel erreichen wollen. Und wir haben einen."

Euronews:

"Und hat der Plan den nötigen Schwung? Denken Sie, dass Ihr 55-Prozent-Paket vor der COP27 in Scharm El-Scheich angenommen wird?"

Frans Timmermans:

"Ich hoffe es. Wir haben noch eine Menge Arbeit vor uns. Nicht jeder einzelne Vorschlag wird bis dahin vollständig angenommen sein, aber ich hoffe, dass wir bis dahin den Punkt erreicht haben, an dem es kein Zurück mehr gibt. Das EU- Parlament und der Rat, in dem alle Mitgliedstaaten vertreten sind, werden uns ihre volle Unterstützung für das Gesamtpaket zusagen. Das wäre vor der COP 27 von großer Bedeutung."

"Gas kann nur eine Übergangslösung sein"

Euronews:

"Hier bei Euronews haben wir in letzter Zeit über den Anstieg der Energiepreise berichtet, während die Unternehmen, die Gas fördern, zusätzliche Gewinne in Milliardenhöhe verzeichnen. Weshalb fördert die Europäische Kommission so genannte 'neue Gasprojekte von gemeinsamem Interesse'? Werden Sie Nord Stream 2 unterstützen und genehmigen?"

Frans Timmermans:

"Wir müssen den Ländern helfen, von der Kohle auf erneuerbare Energien umzusteigen. Aber manche Länder können das nicht auf einen Schlag schaffen. Sie werden Erdgas als Übergangsenergie benötigen. Und deshalb unterstützen wir einige dieser Projekte. Aber wir wollen nicht, dass sie auf Erdgas angewiesen sind. Es kann also nur eine Übergangslösung sein. Und wir werden dafür sorgen, dass unsere Gesetzgebung dafür zweckgebunden ist, damit wir in den Ländern, die es brauchen, den Übergang von der Kohle über das Erdgas zu den erneuerbaren Energien schaffen."

Euronews:

"Aber kann man Erdgas wirklich als grün bezeichnen?"

Frans Timmermans:

"Nein, kann man nicht. Es ist ein fossiler Brennstoff. Aber er ist auch ein Energieträger, den wir für den Übergang zu umweltfreundlichen Technologien brauchen."

Euronews:

"Und was ist mit Atomenergie?"

Frans Timmermans:

"Die Kernkraft hat den großen Vorteil, dass sie keine Emissionen verursacht. Das ist ein riesiger Vorteil. Aber gleichzeitig basiert sie auf fossilen Brennstoffen und ist mit unglaublich hohen Kosten verbunden."

Euronews:

"Was würde ihr Enkel Kees zu den radioaktiven Abfällen sagen?"

Frans Timmermans:

"Ja, in der Tat. Die Kosten sind enorm. Sie wissen, dass die Kosten für den Bau von Kernkraftwerken immer weiter steigen. Die Kosten für den Bau erneuerbarer Energiequellen sinken dramatisch. Man braucht kaum öffentliche Gelder, um in erneuerbare Energien zu investieren. Für Investitionen in die Kernenergie braucht man riesige Mengen an öffentlichen Geldern."

"Wir investieren heute 11 Mio Dollar in fossile Brennstoffe - pro Minute!"

Euronews:

"Sollte Europa Unternehmen, die fossile Brennstoffe nutzen, das Sponsoring von Medien-, Kultur- und Sportveranstaltungen verbieten?"

Frans Timmermans:

"Wir sollten deutlich machen, dass wir wollen, dass Investitionen weg von fossilen Brennstoffen und hin zu erneuerbaren Energien fließen. Und das könnten dieselben Unternehmen sein, die dann in die erneuerbaren Energien einsteigen. Warum nicht? Der IWF hat berechnet, dass wir heute etwa 11 Millionen Dollar in fossile Brennstoffe investieren - pro Minute! Und das muss sich ändern, und zwar schnell."

Euronews:

"Wir Menschen auf den Straßen von Belgien, den Niederlanden und in Österreich gesehen, um gegen Covid-19-Maßnahmen zu protestieren. Sie waren teilweise extrem und sogar gewalttätig. Ist Europa bereit, eine Klimakrise zu überstehen?"

Frans Timmermans:

"Wichtig ist, dass wir unsere Bürger nicht nur mit den Kosten des Übergangs konfrontieren, sondern vor allem mit den Kosten, die entstehen, wenn wir den Übergang nicht vollziehen, und die werden enorm sein. Das menschliche Leid wird unermesslich sein, wenn wir unseren Weg nicht ändern. Natürlich wird dieser Übergang schwierig, aber wir müssen dafür sorgen, dass er fair ist. Wir müssen dafür sorgen, dass wir niemanden zurücklassen. Wir müssen unseren Bürgern zeigen, dass das, was wir von ihnen verlangen, fair ist, und dass wir sicherstellen, dass diejenigen, die mehr beitragen können, auch tatsächlich mehr beitragen, und dass diejenigen, die das nicht können, zum Beispiel vor Energiearmut geschützt sind."

Euronews:

"Haben Sie das Gefühl, dass die Covid-19-Pandemie Ihren EU-Green-Deal ein bisschen zunichtemacht?"

Frans Timmermans:

"Natürlich hat die Covid-Pandemie großen Einfluss darauf, welche Sorgen die Menschen heute haben. Aber interessanterweise zeigen alle Untersuchungen, dass eine Mehrheit der Menschen, befragt nach ihrer Hauptsorge, die Klimakrise nennen und nicht Covid."

Euronews:

"Und Greta Thunberg, ist sie eine Heldin?"

Frans Timmermans:

"Sie ist eine Heldin, auf jeden Fall. Ohne sie und die Fridays for Future-Bewegung gäbe es keinen europäischen Green Deal."

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